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Thomas Feuerstein - Futur II: Kunst & Kohle

Wieder fügt Thomas Feuerstein seinem evolutiven Kosmos ein neues Detail hinzu. Im Zentrum seines aktuellen Ideenkomplexes steht die Kohle, als eine Mutation seiner schon bekannten Grünalgen. In zwei Bioreaktoren wird die Alge Chlorella vulgaris produziert und in transparente Schläuche gepumpt, die sich gleich einer aktivierten grell-grünen Zeichnung am Boden winden und in einen Hochdruckreaktor münden. Darin erzeugt Feuerstein aus den Algen Kohle. Gefilterte Algen wie Kohle dienen ihm dann als Pigment für „Erntebilder“ oder Zeichnungen. Eine offensichtlich rein technische Angelegenheit zur Materialgewinnung, wäre nicht Thomas Feuerstein mit satirischer Doppelbödigkeit am Werk. Die Bioreaktoren sind eigentlich Hybriden, in Gestalt von Stehlampen in modernistischer Form. Das Aussehen wirft allerlei Assoziationen bzw. Fragen auf, wie etwa die unterschiedlichen metallenen Endungen der Schläuche, in welchen der Algenlauf zurückgeführt wird. Einige Male sind es harpunenartige Spitzen, zwei mal löffelförmige Ausformungen – ein leiser Hinweis auf die Ambivalenz des transportierten Materials Alge oder ganz simpel kurioses Resultat einer „künstlerischen Eingebung“? Thomas Feuerstein stellt die Alge Chlorella vulgaris hier als Fcience Fiction¬–Pflanze vor, die theoretisch die effektive Nahrungsquelle schlichthin sein könnte, was er mit dem futuristischen Aussehen der Apparaturen bekräftigt. Und sie speist den zentral platzierten Hochdruckreaktor, die „Time Machine I“. Dort wird die lebendige Flüssigkeit zu einem Endpunkt geführt, an dem sie in einem beschleunigten Prozess für die Ewigkeit erstarrt. Feuersteins „Time Machine I“ ist ein funktionstüchtiger Prototyp, präsentiert in spektakulärem, den Kitsch streifenden Design, das die Ernsthaftigkeit der gesamten Installation wieder untergräbt. Unzählige funktionslose Schalthebel umrahmen kugelartig den aktiven Kern der Maschine; eine formale Dramatisierung und Mystifizierung, aber auch der Verweis auf Handlungsmöglichkeiten. Der Eindruck wird noch verstärkt durch die zwei entgegengesetzt angebrachten Glaskugeln. In die eine läuft die algendurchsetzte Flüssigkeit ein, auf der anderen Seite setzt sich in feinen Partikeln die Kohle ab. Das Gebilde ist an einem gelben, auf Rädern stehenden Kran in Augenhöhe aufgehängt. Die „Time Machine I“ lässt sich nicht verorten, weder stilistisch in einer Zeit, noch örtlich im Raum. Das, was in ihr vorgeht, setzt sich über die natürlichen Gegebenheiten hinweg, ein Prozess von unzähligen Jahren wird im Inneren zu wenigen Stunden komprimiert. Gegenüber dieser Inszenierung der Materialgewinnung tischt Feuerstein deren Kontext narrativ auf. Eine Fülle von Referenzen, die Kritik an politischen, ökologischen und sozialen Verhältnissen üben, sind bildlich verarbeitet. Am „Laboranten“, einem Arbeitstisch, werden die Algen in diversen Aggregatszuständen und Gefäßen anschaulich in einer quasi-Laborsituation vorgeführt. Dazwischen sind wie kleine Monumente Skulpturen aus Anthrazitkohle aufgestellt: detailgetreue Abbilder eines Mikroskops, einer mechanischen Schreibmaschine, eines antiquierten Radiogeräts und darauf abgelegter Bücher, zukünftige Artefakte des gegenwärtigen Fortschritts. Die ganze Ansammlung wird getragen von einem riesigen Pseudomolekül – wieder ironische Aufhebung der sich so seriös gebenden Angelegenheit. Unübersehbar werden ähnliche, aus Anthrazitkohle geformte Gegenstände in einer historistischen Vitrine als Fossile der Zukunft musealisiert: ein Zylinderkopf, eine Nähmaschine. Als Sockel dienen ihnen Stapel der dazugehörigen Patente. So beweisführend dieses Schaustück, so amüsant ist manches im Ensemble der gehängten Werke. Eine Zeichnung in selbst hergestellter Kohle stellt einen „Signifikanten“ dar, ein seltsames Ding, das an U-Boote oder Ufos erinnert, eine Maschine sein könnte, aber auch ein Lebewesen. Was der Signifikant bezeichnen soll, bleibt dahingestellt. Eine Fotoarbeit zeigt ein Armaturenbrett eines älteren Helikopters. Feuerstein hat an Stelle der alten Beschriftungen mit brisanten Definitionen einen „Psychoäther“ formatiert. Unter dem wachenden Auge des Tachometers „JHVH“ bieten diverse Schalthebel und Schaltstellen die Möglichkeit menschliche Befindlichkeiten zu steuern und damit die Gesellschaftsform zu organisieren. Die angepeilte „Macht“ führt zur „Evolution“, hier ist der Hebel auf „Individualität“ eingestellt, in der „Welt“ ist die „Matrix“ gewählt, unter „Gen“ der „Bastard“, in der „Genesis“ die „Materie“. Eine Reihe gibt die Option, die „Sexualität“ vom „Begehren“ bis zur „Zeugung“ zu schalten. Ein kleiner Knopf zündet die „Erlösung“. Vor allem gibt es mit den Anschlussstellen „Input“ und „Output“ das Verkabelungsangebot. Thomas Feuerstein erklärt den Ausstellungstitel „Futur II“ als zukünftigen Rückblick. Referenzen auf verschiedene historische wie futuristische Stadien von Zeitlichkeiten sind miteinander verwoben zu einem nicht entwirrbaren Geflecht, aus dem bildliche „Signifikante“ herausragen. Realität, Utopie und Fiktion sind dasselbe. Wissenschaft, Kunst, Design, Einfall und Kritik reagieren in Feuersteins temporärem künstlichem Labor mit unterschwelliger Ironie zu einer lustvollen, durchaus stimulierenden Mixtur – scheinbar unendlich blubbert die Substanz fröhlich in ihrem frischen Grün durch die gläsernen Gefäße und Schläuche.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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Thomas Feuerstein - Futur II
19.11.2013 - 25.01.2014

Kunstraum Bernsteiner
1020 Wien, Schiffamtsgasse 11 (Hof)
Tel: +43 664 3077097
Email: mail@friendsandart.at
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Öffnungszeiten: Mi-Fr 16-19 h


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