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Pikten

Zu den Selbstvergewisserungen, wie man sie braucht in seinem Dasein, gehört für mich eine Szene wie die folgende: Man sitzt auf einem Schiff, man wartet auf die Abfahrt, man ruft „Leinen los“, und sogleich schallt es zurück: „Leinen sind los“. Da weiß man, dass man nicht allein ist auf der Welt, im Gegenteil, man gehört zur Millionenschaft der Leser von Asterix. Besagtes Kommando gibt es in „Asterix als Legionär“, meinem Lieblingsheft. Die Präferenz für Band 10 der Serie kann ich mit Figuren wie dem Ägypter „Tennisplatzis“, der glaubt, die Kaserne wäre ein Hotel und der Feldzug ein Ausflug, begründen, mit wunderbaren Referenzen wie den schiffbrüchigen Piraten, die drapiert sind nach den verlorenen Seelen auf Géricaults „Floß der Medusa“, oder aber eher mit der ganz lebensweltlichen Tatsache, dass das Heft das erste war, das ich einigermaßen bewusst, konzentriert und unter Hinwegfügung störender Faktoren wie Eltern oder Nachbarsbuben einer Lektüre unterzog. Unsereiner wurde von Asterix in seinem Werdegang begleitet wenn nicht geleitet, und immer noch lasse ich mich liebend gern bei einem Wort aus dem enzyklopädischen Fundus der antiken Sprachschöpfer erwischen. Eine solche Sozialisation haben auch Didier Conrad und Jean-Yves Ferri erfahren, die für den gerade erschienenen Band 35 „Asterix bei den Pikten“ verantwortlich sind. Die beiden sind Jahrgang 1959 und damit genauso alt wie ihr gallischer Vorfahr, und wer hätte irgendwann in seiner kulturellen Laufbahn nicht davon geträumt, die Geschichten aus der Zeit um „50 v. Chr.“ in ihrer Unermesslichkeit weiter zu führen. Es sei alles ganz einfach gewesen, gibt Ferri, der Texter, zu Protokoll, man hätte nur vom Schlussbild mit dem obligatorischen, diesmal in seiner Gestaltung etwas lapidar ausgefallenen Bankett nach vorne erzählen müssen. Zum ersten Mal kommt ein Asterix-Band ohne seine Erfinder aus, René Goscinny ist ja schon lange tot, und Albert Uderzo hat sich, von einer salbungsvollen Widmung und der einen wunderbaren Figur eines Baumstamm schleudernden Obelix auf dem Einband (was dazu führt, dass das Cover von Uderzo und von Conrad signiert ist) abgesehen, zurückgehalten. Quelle: "Asterix" / Egmont Comic Collection / Les Éditions Albert René Conrads Beitrag gefällt mir besser als der von Ferri. Seine Bilder knüpfen nahtlos an die von Uderzo an, der Detailreichtum ist gewahrt, die Mimiken und Gesten sitzen, und wie üblich schleicht sich die eine oder andere bekannte Physiognomie ein. Mac Aphon, der freundliche Schotte, etwa, der das Geschehen in Gang bringt, erinnert an Umpahpah, den Indianer, eine ganz einschlägige Goscinny/Uderzo-Schöpfung; der bitterböse Gegenspieler Mac Aberh trägt Züge von Frankreichs Vorzeige-Akteur Vincent Cassel, und einer der schottischen Barden, die man in Anspielung auf ihr Outfit „Rockmusiker“ nennt, kleidet sich in die Gestalt von, nun ja, Johnny Hallyday. Offenbar hat Goscinny alle seine Zeichner, Morris bei Lucky Luke, Sempé beim kleinen Nick und eben Uderzo, bezaubert und zu Kongenialitäten herausgefordert. Gerade bei Asterix war es wichtig, dass gegen die eine überdrehte Grundidee mit der kontrafaktischen Überlegenheit der Gallier über die Römer, die sie einem Zaubertrank zu verdanken haben, schlichte, alltägliche, nachvollziehbare Einzelgeschichten und entsprechend gestaltete Kleinigkeiten gesetzt sind. Als Uderzo 1977 allein verantwortlich wurde, begegnete er der Basisphantastik mit Detailphantastik, und alles verlor sich in der Manie der Überzeichnung. Sichtlich möchte Jean-Yves Ferri das jetzt rückgängig machen, die Story soll wieder verankert werden in der Nachvollziehbarkeit einer historischen Situation. Leider aber wird er dabei geschwätzig. Kriterium eines guten Comcis ist die Verständlichkeit der Illustrationen auch für sich allein – nicht in allen Einzelheiten, aber als gleichsam automatisches Weiterreichen des Handlungsstrangs von Bild zu Bild. In diesem Sinn versteht man im neuen Asterix überhaupt nichts, die Schauplätze sind die ewig gleichen und die Darstellungen zum Ausgleich überfüllt mit ausuferndenen Sprechblasen. Und die Geschichte ist eher das Gerüst aller Geschichten: Den Galliern wird ein Anlass zu einer Reise an den Strand gespült, diesmal ist es ein Schotte, man fährt los, ihn zurück zu bringen, das obligatorische Abenteuer zu bestehen und den obligatorischen Gegenspieler zu besiegen. Eingebaut sind ein paar nette Anspielungen, auf den Tätowierungswahn der Gegenwart oder auf die britische Monarchie: Der schottische Held hat analog zu „The King's Speech“ Probleme mit seiner Sprache, die Angebetete heißt im Deutschen Camilla (was im Original mit Camomilla allerdings nur eingeschränkt funktioniert). Ganz selbstreferentiell wird auch auf auf die eigene Tätigkeit des Bilderfindens angespielt. Pikten nämlich war die römische Bezeichnung für die Schotten: die Bemalten, aber auch die Gemalten. Schon im Titel wird also das Generelle dieses speziellen Asterix-Bandes benannt. Gemalt sind sie alle.
Mehr Texte von Rainer Metzger

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