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PARALLEL Vienna: Trashig, dreckig aber durchaus gelungen

Während die VIENNAFAIR auf der Messe Wien die Prominenz der Kunstszene einlädt und sie geschickterweise in ihr Programm engagiert und dieses auf dem wohlgenährten Standard einer öffentlich wie privat gesponserten Institution mit internationalem Anspruch abläuft, zieht eine eigenwillige alternative Veranstaltung nicht weniger Kunstinteressierte an. Einen Tag vor der VIENNAFAIR wurde im Alten Telegrafenamt die PARALLEL 2013 eröffnet. Die Initiatoren der PARALLEL kommen mit unterschiedlichem beruflichem Hintergrund: Ausstellungsmacher Stefan Bidner, Daniel Haider, Geschäftsführer einer PR-Agentur und der Galerist Max Lust. Ihre Ambition ist mit der PARALLEL VIENNA 2013 „eine Plattform für innovative Präsentationsformen zeitgenössischer Kunst“ darzustellen. Der momentane Zustand des Alten Telegrafenamtes hat die Situation noch verschärft. Die Verantwortlichen der vorangegangenen Veranstaltung wollten das Gebäude nur widerwillig der PARALLEL überlassen, nun überlagern sich Trash–Ambiente mit Trash–Kunst und mit gezwungenermaßen übernommener Trash–Dekoration. Aber genau diese Mischung macht die PARALLEL noch spezieller und noch spannender. Das Publikum ist zu erhöhter Aufmerksamkeit gezwungen, der Besuch des von seiner Geschichte gezeichneten Gebäudes ist von sich aus faszinierend, und Trash hat seine eigenen Qualitäten. Außerdem ist die PARALLEL gut durchsetzt mit Positionen, die konzeptuelle, reduktive oder minimalistische Tendenzen verfolgen bzw. aufnehmen und weiter entwickeln. Auf der PARALLEL wird keine vordergründige Marktstrategie oder hierarchische Ordnung betrieben, sie will sich als spontanes Pilotprojekt einer „kritischen Messe“ verstanden wissen. Offspaces oder artist run spaces, die abseits des Marktes agieren, präsentieren sich neben etablierten Galerien, die sich zur selben Zeit auf der VIENNAFAIR finden. Nur ist der Rahmen im Alten Telegrafenamt alles andere als proper und clean. Den teilnehmenden Institutionen wie KünstlerInnen wurde größtmögliche Freiheit geboten, eine sogenannte Kuratierung fand nicht statt, sie schränkt sich auf die Selektion der AusstellerInnen ein. Allerdings mussten die Geladenen eigene Strategien entwickeln um mit den Räumlichkeiten zu kooperieren. Denn ein sich gelassen besetzen lassender white cube ist weit entfernt von den zu Verfügung stehenden Zimmern im Alten Telegrafenamt. Lösungen wurden gefunden. Deren Qualität ist nicht konstant auf hohem Niveau, aber das lässt sich von keiner Messeveranstaltung behaupten. Einige Resultate, beachtliche künstlerische Leistungen sind auf der PARALLEL durchaus gelungen. Aufsehen erregte vor allem eine Intervention von Milan Mladenovic. Eine vom Plafond hängende Kalbslunge wird in Intervallen von einem Staubsauger aufgeblasen, dahinter hängt an einem Haken ein Hemd des Künstlers, das er in akribischer Detailarbeit mit kleinformatigem Muster bezeichnete. Die Installation ist vielschichtig durchdacht, sie dreht sich unter anderem um die Rolle des Künstlerstatus, die gesellschaftliche Relevanz seiner Kunst in Bezug auf seine menschliche Existenz oder um die Proportion des eifrig betriebenen Tierschutzes angesichts permanentem nicht selbst verantwortetem menschlichem Elend. Andreas Duschas Arbeit transportiert in formaler Ästhetik politische Kritik. Auf Titelseiten aktueller US-Tageszeitungen ist das Akronym COINTELPRO (COunter INTELligence PROgram) einer verdeckten FBI Operation übertragen, die gegen verschiedenste liberale Bewegungen auf menschenfeindlichen Wegen vorgegangen ist. Das Unkenntlichmachen der Schrift ist eine Referenz an den Vorgang des Geheimdienstes. Angelika Loderer hat eine temporäre Installation von sachlich–materieller Sinnlichkeit geschaffen, die alludierend auf das Gebäude, dessen Vergänglichkeit wie auf die der Skulptur selbst und deren Begrifflichkeit Bezug nimmt. Verschieden farbige Sandsäulen wachsen aus Sockeln, die Basis für die Skulptur als kunstwürdiges Objekt sind, dabei selbst unfertig gestrichen. Als autonome Stelen bestimmen die Arbeiten den Raum, selbst gegen jede Berührung fragil und abbröckelnd, mit dem Abbau der Messe wieder verschwunden. Anna–Maria Bogner präsentiert den von ihr für die artmagazine Edition gestalteten OscART. In dem zarten, dennoch robusten skulpturalen Objekt aus Glas auf einer Metallkonstruktion entsteht ein multiples Möglichkeitsfeld Raum wahrzunehmen. Die räumlichen Überschneidungen und gegenseitigen Durchdringungen innerhalb der Skulptur können auf die gegenwärtige Situation der strukturellen Vielfalt der PARALLEL an sich, wie auch im viel weiteren Sinn gelesen werden. An der Wand ist eine Skizze zum OscART installativ umgesetzt, mit einfachsten Mitteln, eingeschraubten Ösen und einem verspannten Gummiband, werden Raumkompartimente miteinander in poetisch schwebenden Zustand versetzt, einander verhaftet, ineinander greifend und dennoch eigenständig. Cornelis Van Almsick kuratierte einen Raum, in welchem vor allem die Arbeit von Marcin Zarzeka überzeugt. Er demontierte diverse Kabelkanäle, behielt die unübersehbaren Spuren an der Wand als Zeichnung am Gemäuer und setzte seine Antwort darüber, eine klare Bahn aus weißem Gips, darüber bildhafte Objekte aus begipsten Holzplatten und Glas, welche das Bild als solches, die Relevanz der Leere in Korrespondenz zum Bildgehalt in einem stillen meditativen Zustand vermitteln. Zwischen den zwei im Alten Telegrafenamt bespielten Geschoßen intervenieren Theo Altenberg und Karl Iro Goldblat mit Transparenten. Im Stiegenhaus schraubt sich ein Zwiegespräch hoch, das via Internet unter dem Titel MULTI PLE NEU ROSE seine aufreizende Form gefunden hat. Sprache soll als Ausdrucksform mit frei und künstlerisch nutzbarem Potenzial zu einem lebendigen aber bewussten Umgang in die allgemeine Aufmerksamkeit gerufen sein. „Kunst am Schauplatz“ bietet Kunst zum Verweilen, an der Schnittstelle von Kunst und Funktion, mit Arbeiten von Gisela Stiegler, Niki Weitzner und Ronald Zechner. Die Galerien Thoman, Konzett und Ruberl wurden für eine Beteiligung an der PARALLEL gewonnen. So renommiert wie deren Programm an ihren permanenten Standorten in Wien, ist auch ihr Beitrag im Alten Telegrafenamt. Konzett und Ruberl zeigen Otto Mühl und Arnulf Rainer. Thoman ließ das abgebrannte Klavier von Julia Bornefeld für ihre Installation anliefern. Das Videoclip „Final Play“ wird auf die am Flügel aufgelegte Partitur projiziert, es zeigt musikalisch unterlegt das brennende Klavier, die sich deformierende Tastatur in poetisch, melancholischen Bildsequenzen. Max Lust präsentiert ihm nahestehende KünstlerInnen, mit denen er schon in New York die Ausstellung „The abortion of tragedy“ formierte: Peter Fritzwallner, Ronald Kodritsch, Angelika Loderer, Markus Proschek. Stefan Bidner residiert mit seiner Wiener Art Foundation im ersten Stock des Telegrafenamtes. Auf rotem Teppich in purpurroter Szenerie im ruinösem Ambiente, hat die Präsentation ihren aparten Charme. Er umgibt sich mit Werken von Heimo Zobernig, Hans Weigand, Franz Graf, Tjorg Douglas Beer, Herwig Weiser, Anna Jermolaewa und Marko Lulic. Die auf der PARALLEL gezeigte Kunst beinhaltet nicht nur einen weiten Fächer von aktuellen Kunstströmungen, die sich innerhalb Wiens abspielen. Der beginnt bei sehr prägnanten Positionen und reicht bis zu rein malerischen Standpunkten, wie sie auch die so genannte „Richter–Gang“ (auch wenn sie nicht alle bei Daniel Richter studierten) ausübt, die im Raum des „Studio Mühl“ nahezu geschlossen präsentiert wird (Alexander Ruther, Rade Petrasevic, Christian Rosa, Björn Segschneider u.a.). Der Fokus der PARALLEL liegt auch auf der Präsentation von non-profit orientierten Organisationen, welche die Kunst–Szene der Stadt beleben und auch nähren; die sich manchmal am Rande des finanziell Möglichen bewegen und aus Enthusiasmus und Leidenschaft ihre Energie und Engagement holen. So etwa besetzen HHdm (Hinter Haus des Meeres), Mauve und Archiv für Gegenwart (AfG) jeweils Räume, zeigen Kollaborationen und Einzelpositionen von KünstlerInnen, die sich zum Teil noch in Ausbildung befinden, aber deren Zukunft vielleicht das österreichische Kunstgeschehen mit bestimmen wird. Das utopische Experiment, ohne jede Hierarchie Kunst und Kunstschaffenden und ihrer Repräsentation freien Raum zukommen zu lassen, ist trotz organisatorischer Schwierigkeiten nicht im beliebigen Chaos versunken, sondern durchaus gelungen.
Mehr Texte von Margareta Sandhofer

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PARALLEL Vienna
09 - 13.10.2013

Ehemaliges K&K Telegrafenamt
1010 Wien, Börseplatz 1
http://www.parallelvienna.com
Öffnungszeiten: täglich 12-19 Uhr


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