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Glam! The Performance of Style, Musik, Mode, Kunst: Gezähmte Style-Revolte

Pop war auf einmal gespalten in der ersten Hälfte der 1970er Jahre, als Roxy Music die Bühne betraten und David Bowie als Ziggy Stardust reinkarnierte. Auch trivialer daher kommende Gruppen wie The Sweet, Slade oder – in der progressiven Lade – T.Rex gehörten bald zum Stammpersonal der britischen BBC Fernsehshow Top of the Pops, wo sie Transen aus dem Big Apple, wie den New York Dolls, Konkurrenz machten. Mit Glitterrock war eine androgyn aufgeladene Style-Revolte im Gang. Der Look aus ausgewaschenen Jeans, langem Haar oder erdigen Stiefeln, wie ihn Greatful Dead, The Doors oder Ten Years After repräsentierten, gehörte plötzlich anderen Zeit und anderen Kultur an. Als diskursives Thema ist Glam-Pop in Ausstellungen lange Zeit nur mäßig ernst genommen worden. Auch für die Kulturwissenschaft mit Fokus auf politische Re-Codierungsprozesse schien Punk offenbar ergiebiger. Hingegen: Kommerzielle Musik plus Fashion? Außerdem alles so weibisch? Vielleicht ein Motiv für die relativ späte Bearbeitung des Phänomens Glam. Vielleicht brauchte es erst die breitere Etablierung von »transgender« als kritisch diskursiven Topos. Kurator Darren Pih rollt Glam als emanzipatorisches Remix-Style-Phänomen auf, das für die Transformation sozialer Werte im ökonomisch devastierten England der 1970er steht. Er geht von der Postmoderne-These von Charles Jencks aus, der den Eklektizismus und das Pastiche nach dem Zusammenbruch überkommener Fortschrittsideologien (insbesondere in der Architektur) hervorgehoben hat. Daraus erklärt sich der Hedonismus und die Lust am Spiel mit ikonografischen Zeichen, die bis ins Repertoire der dekadenten 1920er Jahre zurückreichten. Forciert wurde der Durchbruch ästhetischer Aspekte, die Lust am Schminken, öffentlich gemachten Kleidertausch und laszives Verhalten durch die Entkriminalisierung der Homosexualität 1967 in Großbritannien. Als Spielfläche für Identitätswandel wurde Glam zu einem zentralen Narrativ von Pop. Der Aufbruch in eine imaginierte schillernde, dystopische Zukunft erfolgte durch Transversale Überlagerungen von Pop und Style, von Fotografie, Design und Kunst. Der Barrieren zwischen E und U, zwischen Kunst und Musik aufreißend, knüpft die von der Tate-Liverpool produzierte Ausstellung Fäden von zentralen Protagonisten wie David Bowie oder Brian Eno in Richtung übergreifend prägender Künstler wie Richard Hamilton oder Andy Warhol. Stylisten, Modedesignern und Filmemachern werden Nan Goldin, Cindy Sherman oder Gilbert & George gegenübergestellt. Kalkulierten Exzess und Performance der Überschreitung im US-amerikanischen Kontext repräsentieren Iggy Pop, MC5, Alice Cooper, The New York Dolls oder The Tubes zumeist über dokumentarische oder inszenierte Fotografie oder anhand von Schallplattencover und Plakaten. Auch Andy Warhol und Velvet Underground fehlen da nicht. Aspekte der Performance in der Fotografie repräsentieren Jürgen Klauke oder Ulay (Frank Uwe Laysiepen). Man merkt der Ausstellung schnell an, dass sie nicht bloß den Trend, in sämtlichen Netzwerken und Kollaborationen dokumentieren, sondern einen kulturwissenschaftlichen Diskurs führen möchte. Atmosphäre wird jeweils angedeutet. An vielen Ecken wird klar, mit welcher Mühe einzelne Pop-Phänomene wie etwa The Tubes oder Alice Cooper auf nur wenige Belege – Fotos und Plakate – zusammengedrängt werden mussten. Die Herausforderung war, eine entsprechende Gewichtung zu finden: also Pop zwar zentral einzubeziehen, aber den Fotografien eines Billy Sullivan, der Sirpa oder Wayne County in geschlechtlicher Unbestimmtheit ablichtete, ebenso Raum zu geben. Interessant, weil von Glam als Oberflächenphänomen abrückend, sind die zahlreichen filmischen Einsprengsel, die allerdings relativ kleinformatig präsentiert werden. Streifen wie »Leuchtende Kupplerin (Luminous Procures)« von Steven Arnold, 1972, oder »Moody and the Menstruators« aus dem Jahr 1974 stechen da hervor. Assoziativ aufgebaute Collagen, teils mit exzentrischen Kostümen, teils improvisiert. Verführung, Sex, Begehren, Überschreitung der Geschlechterrollen sind natürlich Hauptthema in mit faszinierendem Kitsch überfüllten Szenarien. Auch frühe kurze Streifen von Gilbert & George, von General Idea, Jack Goldstein oder Derek Jarman zeigt das Projekt. Doch sonst eher Coolness, analytischer Blick aus dem Abstand. Als kuratorische Entscheidung durchaus nachvollziehbar. Doch mehr Pop- und Film in Form von Konzertaufnahmen oder Videoclips in ihrer simplen Ästhetik hätten dem Projekt gut getan um Glam als Massenphänomen und populärkulturellem Trend näher zu rücken.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Glam! The Performance of Style, Musik, Mode, Kunst
19.10.2013 - 02.02.2014

Lentos Kunstmuseum Linz
4020 Linz, Ernst-Koref-Promendade 1
Tel: +43 70 7070 36 00
Email: info@lentos.at
http://www.lentos.at
Öffnungszeiten: täglich außer Mo 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr


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