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Kleopatra. Die ewige Diva: Projektionsfigur durch die Jahrhunderte

„You remember me?“ - Michael Jacksons Tanzrhythmen und der rasante MTV-Clip im Pharaonen-Outfit zum gleichnamigen Musiktitel gehen auch im Ambiente der Bonner Bundeskunsthalle, über Kopfhörer und gar nicht so leise, direkt in die Beine. Nicht weit von Jacko entfernt, die Pop-Ikone Madonna in altägyptischer Kluft auf einem Foto vom Superbowl des Jahres 2012. Keine Frage, der Mythos lebt bis in die audiovisuellen Welten der Gegenwart. Die von beiden mental gar nicht so weit entfernte kulturgeschichtliche Urmutter aller Divenmythen steht im Mittelpunkt einer opulenten Ausstellung: „Kleopatra, die ewige Diva“ – so auch der Titel der rasanten Inszenierung aus high and low culture. Denn versammelt sind hier eben auch barocke Schlangenbiss-Fantasien von Künstlern wie Guido Reni, Artemisia Gentileschi oder Guido Cagnacci, Tiepolo und Jan Steen, bis hin zu Andy Warhols „Blue Liz as Cleopatra“ aus dem Jahr 1962. Der Pop-Künstler reiht den blau getonten Kleopatra-Kopf eines Liz Taylor-Fotos auf seinem Großformat: das bekannte Warhol-Gemisch aus klaren und diffusen Konturen der Wiederholung stimmt ein auf die Spurensuche-Ästhetik des Bonner Ausstellungskonzepts zur berühmtesten Unbekannten der Weltgeschichte. Mit der meterhohen Replik der südlichen Außenwand des Hathor-Tempels von Dendera und Andy Warhols Adaption beginnt ein rasanter Ausstellungs-Parcours, der gleichsam das Zitieren von Posen und Gesten in immer anderen Medien und Epochen ins Bewusstsein des Betrachters hebt: von der historischen Figur, über die bildende Kunst, das Kostümbild, den Film und die Werbung bis hinein in die Sphären der Musikvideos. Denn es soll hier keinesfalls um die abermalige Verwurstung des Goldes der Pharaonen oder um archäologische Erkenntnisse gehen, da die Faktenlage um die letzte ägyptische Herrscherin Kleopatra VII. (69 – 30 v. Chr.) im Zeitalter Marc Antons und Cäsars eher dürftig ist und bleibt. Wobei an diesem historischen Punkt, mit dem definitiven Ende Ägyptens und dem gleichzeitigen Beginn der Vorherrschaft des römischen Reiches, wiederum ein anderer Mythos einsetzt: der Gründungsmythos der europäischen Geschichte. Nebenher verbindet ein brisanter Dreier in der Figur der Kleopatra afrikanische Herkunft - die Wissenschaft diskutiert übrigens hartnäckig eine dunkelhäutige Kleopatra –, griechisch-römische Historie und westliche Rezeption. Rückblickend auf vergleichbare Bonner Ausstellungsanalysen zu Dschingis Khan, Karl V. und Napoleon, lässt sich feststellen, dass mit den Gründungsmythen offensichtlich stets charismatische Figuren einhergehen. Die beiden Ausstellungsmacherinnen Elisabeth Bronfen und Agnieszka Lulinska fokussieren die Rezeptionsgeschichte zur Erschaffung eines Mythos vor dem Hintergrund der Frage: Welche Bedürfnisse offenbart die jeweilige Epoche durch die spezielle Gestaltung ihres Kleopatra-Bildes? Vor allem die europäische Rezeptionsgeschichte, nicht nur die der Kleopatra-Kultivierung, belegt das Phänomen der „schönen toten Frau“, dem sich Elisabeth Bronfen bereits wissenschaftlich angenommen hat. Gerade Kleopatra wird als Tote zum mythischen Zeichensystem, einem verfügbaren Bausatz, der etwa als Projektionsfläche für weibliche Machtphantasien ebenso taugt wie für erotische Rollenmuster. Ganz im Sinne des barocken Zeitgeists wird über das Bildmotiv der Kleopatra, die bei einem Luxusgelage für ihren Cocktail eine Perle in Essig auflöst (funktioniert tatsächlich), das extrem verschwenderische Leben verbunden mit dem vanitashaften Umkippen in den Tod. Wobei die Zoologie längst einen Blick auf jene Schlangenspezies geworfen hat, von der vermutlich ein Duzend Bisse nicht ausgereicht hätten, die schöne Ägypterin zu entleiben. Liebestod trifft auf Erklärungsnot. Michelangelos Renaissance-Zeichnung im Zeitalter der Wiedergeburt der Antike erschafft ein Kleopatra-Outfit im all’antica-Look. In napoleonischer Zeit und nach den Ägypten-Feldzügen wird aus der femme orientale eine femme fatale, die als umfunktioniertes Lust-Ventil im krassen Gegensatz steht zum gesellschaftlich sanktionierten Weiblichkeitsideal um 1800. So kreierte man etwa nicht nur im Barock aus dem letztlich nicht eindeutig geklärten Kleopatra-Tod rasante Bildszenarien mit (phallischem) Schlangenbiss und entblößter Brust. Das Spiel mit den Identitäten am Beginn der bewegten Filmbilder, besonders während der Stummfilm-Ära, erinnert an an eine Art mimischen Kostümverleihs: die Batterie der manirierten Theater- und Filmfotos wirkt erschlagend aufschlussreich, der Zusammenschnitt legendärer Filmszenen nicht minder. Die „Jazz-Cleopatra“ Josephine Baker instrumentalisierte den Kleopatra-Mythos übrigens gegen den Rassismus in den USA. Liebigs Fleischextrakt sog auf seinen Sammelbildchen die letzten Vermarktungssäfte aus der Dame vom Nil. Die Kosmetikfirma Revlon propagierte 1962, begleitend zum Film mit Liz Taylor, „The New Cleopatra Look“, fotografiert von Richard Avedon – dazu die Textzeile: „If Looks can kill this one will“. Und Shakespeare bringt es in „Antonius und Kleopatra“ mal wieder auf den Punkt: „ Kein Alter kann sie welken, noch Gewohnheit fad sie machen in ihrer grenzenlosen Vielfalt“. Und Vorhang.

Mehr Texte von Roland Groß

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Kleopatra. Die ewige Diva
28.06 - 06.10.2013

Bundeskunsthalle Bonn
53113 Bonn, Museumsmeile Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4
Tel: +49 228 9171–200, Fax: +49 228 234154
Email: info@bundeskunsthalle.de
http://www.bundeskunsthalle.de
Öffnungszeiten: Di-Mi 10-21h, Do-So 10-19h


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