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Forever young - Über den Mythos der Jugend: Detonierte Schulbank

Einhundert Jahre ist das Gebäude der Kunsthalle Nürnberg Mitte Oktober alt geworden. Kuratorin Harriet Zilch jedoch blickt zum Jubiläum auf junges Gemüse. Die Beschäftigung bildender Künstler mit dem Erwachsenwerden hat es immer gegeben. Vieles ist jedoch seit den Hülsenbeckschen Kindern von Philipp Otto Runge (1805-06) passiert und passé. Das zeigt die entmystifzierende Ausstellung mit dem augenzwinkernden Titel "Forever Young. Über den Mythos der Jugend" in der Nürnberger Kunsthalle, die mit ihr belegt, dass sie zwar irgendwie jung geblieben ist, aber forsches Experimentieren oder Grenzen ausloten anderen überlässt. Nichts gegen die Schau, die bewegt und bereitet Freude, jedoch geben viele abgesegnete Positionen ein Stelldichein: Rineke Dijkstra, Hans Peter Feldmann, Tobias Rehberger, Elmgreen und Dragset, Teresa Hubbard und Alexander Birchler, Andreas Slominski, Tamara Grcic. Die Ausstellung präsentiert 18 Künstler, die Kindheit und Jugend zum Glück nicht in verklärendem Licht zu einem Reservat der Erwachsenensehnsucht stilisiert. Im Gegenteil. Erwachsen zu werden, rüttelt und zerrt an einem. Übergang, Unsicherheit, Vertrauenssuche, Zweifel und viele scheinbare Enttäuschungen, weil man meint, alles längst verstanden zu haben, und doch spürt, nichts zu kapieren. Das spiegeln die meisten der Exponate. Etwa die Arbeiten der 1974 geborenen belgischen Künstlerin Sofie Muller. "Clarysse" (2011). Sie zeigt eine Reihe von fünf Schulbänken. Alles Fundstücke, die eingeritzten Hakenkreuze und der "Death"-Schriftzug sind authentisch. Am vorletzten Tisch sieht man ein vornüber gebeugtes Mädchen in Schuluniform. Sie ist keineswegs in einen Schulschlaf gefallen, selbst wenn es so ausschaut. Schlimm, denn ihr Kopf scheint explodiert zu sein und ist nur noch ein rußiger, runder Schatten angesengten Holzes. Die nach vorn folgenden Pulte werden immer verkohlter. Was hat zu der fürchterlichen Detonation geführt? Pink Floyds "We don't need no education" weht durchs Hirn, aber auch Ray Bradburys "Fahrenheit 451", in dem eine Heldin, Clarisse, das krude Unterdrückungssystem hinterfragt und Zweifel sät. Herrlich ätherisch dagegen Mullers "Smoke Drawings" aus Wachs und Asche. Auch dies sind allesamt Zeugnisse jener Fragilität der wolfslichtigen Übergangszeit zwischen Kindheit und Erwachsenendasein. Einen größeren Raum nimmt die Fotografie ein. Den Auftakt der Ausstellung und ein Hinweis auf das Jubiläum des Hauses bildet Hans Peter Feldmann bereits klassisches "100 Jahre". Angefangen mit der achtwöchigen Felina fotografierte der Künstler von 1996 bis 2000 Menschen bis ins Alter von 100 Jahren. Ein Mensch, ein Lebensjahr. Hinzu kommt ein Geburtstagsstrauß in einer Glasvase. Wolfgang Burat, Spex-Mitgründer und fotografierender Chronist der 80er und 90er Jahre, zeigt Stars des Underground wie Blixa Bargeld, Beate Bartel oder Fad Gadget, gemischt mit den coolen Clubbern und zerschundenen Turnschuhen von Skatern aus der Zeit. Die Ansätze der Künstler sind verschieden und teilweise komisch. Claus Richter spielt in seiner Installation aus Tonnen von schrägem Spielzeug mit den Präsentationsweisen des Museums. Er verbeuge sich damit vor der Unvernunft, erklärt er. Diese Star Wars-Maschinen, Disney-Schlösser und Myriaden von kleinen bunten Plastikfigürchen seien das Material, von dem man weiß, dass es Blödsinn ist, man es als Kind trotzdem haben wollte. In diesen Gegenständen spiegele sich gleichfalls der schwindende Abstand zwischen persönlichen Bezügen zu den Dingen und der Warenwelt. Die Schau greift Orte der Kindheit, etwa den Spielplatz, auf. Marc Brandenburgs subtile Zeichnungen von genormten Geräteansammlungen nahe amerikanischer Fastfood-Restaurants entlarven deren Uniformität, in dem er sie wie fotografische Solarisationen verfremdet. Oder Corinna Schmitt, die einen schrägen Spielplatz vor einer merkwürdigen Mauer in Los Angeles, vielleicht an einem Parkplatzrand, ausfindig machte und im Zeitraffer filmte. Gelegentlich kommen Kinder vorbei, dann läuft die Zeit normal ab. Die aber wissen nicht, was sie mit der Rutsche und dem merkwürdigen Haus mit dem Plastikfelsen anfangen sollen. Und selbst ein Hund verschmäht das Gerät und hebt nicht sein Bein. Solche Apparaturen helfen nicht bei der Verausgabung in Zeiten der Adoleszenz. Sie taugen aber auch nicht als Sehnsuchtsorte erwachsen gewordener Kinder. Vielmehr spiegeln sie die Tristesse der Vorstellungsgabe von Herstellern. Somit hinterlassen auch die witzigeren Arbeiten in der Ausstellung Nachdenklichkeit. Und nötigen einem die Verpflichtung ab, als Großer das Projizieren des Großen auf die Kleinen hübsch bleiben zu lassen. Als Ergänzung sollte unbedingt "Alphabet" von Erwin Wagenhofer, der Mitte Oktober in die Kinos kam, angeschaut werden.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Forever young - Über den Mythos der Jugend
31.10.2013 - 19.01.2014

Kunsthalle Nürnberg
90402 Nürnberg, Lorenzer Straße 32
Tel: +49 911 231-2853, Fax: +49 911 231-3721
https://www.kunstkulturquartier.de/kunsthalle/
Öffnungszeiten: Di - So 10.00 - 18.00, Mi 10.00 - 20.00


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