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Krim - Goldene Insel im Schwarzen Meer. Griechen - Skythen - Goten: Eurasiens entdeckte Drehscheibe aus Lack und Gold

Natürlich Joseph Beuys. 1943 über der Krim-Halbinsel der damaligen Sowjetunion abgeschossen, ist er vielleicht tatsächlich mit Hilfe der Krimtataren durch die Naturheilkräfte von Fett und Filz gerettet worden. Und vielleicht entstand so die schamanistische Materialbasis für seine soziale Plastik. Dies interessiert eine Ausstellung im Bonner Rheinischen Landesmuseum ganz und gar nicht. Denn was die Avantgarde-Kunstgemeinde mittlerweile beim Begriff „Krim“ unisono assoziiert, wird durch diesen Ausstellungstitel gleichsam kulturhistorisch entmythologisiert: „Die Krim – Griechen, Skythen, Goten“. Das bedeutet ganz offensichtlich Grundlagenforschung und äußert sich im Ausbreiten von Kulturzeugnissen aus 1000 Jahren, beginnend im 5. Jahrhundert v. Chr. . Handelt es sich doch hier, dem nördlichen Schwarzmeerraum, um eine bislang wenig bekannte eurasische Drehscheibe der Kulturen, von chinesischen Einflüssen via Seidenstraße bis hin zu griechischen Besiedlungen, die bereits im 6.Jahrhundert v. Chr. einsetzten. Davor gab es das Nomadenvolk der Taurer – Stichwort Goethes „Iphigenie auf Tauris“. Den Besuchern bietet sich ein Krim-Spektrum aus griechischer Architektur, chinesischen Lackkästchen, sarmatischem Goldschmuck, römischen Bronzen, prachtvollem Zierrat der Hunnen oder etwa Adlerknopfschnallen mit Halbedelsteinen, die bei gotischen Damen ungemein beliebt waren. Das Publikum wird beim Betreten des Bonner Hauses zunächst ins Blaue geschickt. Denn die entsprechend gefärbte Bodenlandkarte macht den Schwarzmeerraum begehbar, verschafft vor allem grafische Einblicke in die griechische Besiedlung. Die klassische Arroganz der Athener Zivilisatoren spricht zunächst von einem kaltem Klima jenen dunklen gespenstischen „Sumpf“ (Platon), um den griechische Siedler wie Frösche hocken, bedroht von den „die Fremden schlachtenden Skythen“. Aus der griechischen Vorliebe für Fabelwesen und Heldenepen resultiert vermutlich ein weibliches Skulpturengemisch aus Nixe und Fruchtbarkeitsgöttin, entstanden im 2.Jahrhundert n. Chr. Es handelt sich um die Mutter von Skythes, den Stammvater des Reitervolks der Skythen. Darüber hinaus transportiert die Figur mit den zwei Schwänzen den inzwischen gewandelten Blickwinkel: der wirtschaftlich gezogene Nutzen aus der Fruchtbarkeit der Krim-Halbinsel, deren Küstenregion subtropische Klimabedingungen bieten und daher nicht zuletzt zur Kornkammer Athens wurde. Die Ausstellung beschreibt gerade das Spannungsfeld zwischen den Griechen und reiternomadischen Steppenvölkern aus dem Nordosten. Das Verhältnis dieser Gruppen war ein stetiger Wechsel aus kriegerischen Phasen und ebenso regem kulturellem und wirtschaftlichen Austausch. Zwei antike Orte auf der Krim fokussieren diesen Dualismus. Zum einen das südlich gelegene antike Chersonesos, 600 Kilometer entfernt von Athen, das im griechischen Sinne demokratisch strukturiert war, ausgestattet mit einem „Scherbengericht“ und gerade erst ins Weltkulturerbe der Unesco aufgenommen wurde. Im Westen lag Pantikapaion („Weg der Fische“), ein feudal geprägter Ort, beherrscht von Familienclans. Zum maritimen Namen verhalfen dem Ort die riesigen Schwärme des Krimherings in der Meerenge zwischen dem Asowschen und Schwarzen Meer. Gräberfunde liefern der Bonner Ausstellung die spektakulären Schauobjekte, die zum Teil die heutige Ukraine noch nie verlassen haben. So etwa das Prachtschwert mit goldener, reich ziselierter Scheide aus Besitz eines sehr reichen Skythenkönigs, dessen Formensprache eine Werkstatt vermuten lässt, die besonders auf Kundenwünsche im griechischen Stil spezialisiert war. Vor allem die Nekropole Ust’-Al’ma aus dem spätskythischen 2. Jahrhundert v. Chr., die erst innerhalb der letzten zehn Jahre freigelegt wurde, setzt dem Krim-Panorama mit seinen weit über 500 Ausstellungsstücken nicht nur goldene Lichter auf. Denn als sensationell eingestuft werden müssen die im Jahr 1996 innerhalb des Gräberfelds entdeckten chinesischen Lackkästchen, die gleichsam als antikes Beauty-Case mit doppeltem Boden (Stapeldose) dienten und aus der Han-Zeit (um 100 v. Chr.) stammen. Lack, ein Statussymbol der chinesischen Oberschicht ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. , baut sich aus bis zu 200 polierten Schichten auf. Die Substanz des dünnen Materialfilms, den man zunächst für Leder hielt, wird grundsätzlich aus den Sekreten des chinesischen Lackbaums gewonnen. Wann und wie auch immer das chinesische Kleinod über die Seidenstraße auf die Krim gelangt ist: die Untersuchungen der ukrainische Co-Kuratorin Valentina Mordvinceva, die 2008 im Rahmen eines Humboldt-Stipendiums am Bonner Universitätsinstitut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie forschte und über die Funde berichtete, signalisierten, dass die Krim eine bislang weitgehend ignorierte Drehscheibe der Kulturen zwischen Asien und dem Schwarzmeerraum war. Bislang sind derartige Lackkästchen nicht weiter westlich als in Afghanistan gefunden worden.
Mehr Texte von Roland Groß

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Krim - Goldene Insel im Schwarzen Meer. Griechen - Skythen - Goten
04.07.2013 - 19.01.2014

Rheinisches LandesMuseum
53115 Bonn, Colmantstr. 14-16
Tel: +49 (0) 228 / 2070 - 0, Fax: +49 (0) 228 / 2070 - 299
Email: rlmb@lvr.de
http://www.rlmb.lvr.de
Öffnungszeiten: Di., Do., Fr. und Sa.:
10.00 - 18.00 Uhr
Mi.: 10.00 - 21.00 Uhr
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