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Orte und Wände

Vor der Moderne, so lässt sich grob berichten, hatten die Bilder ihren Genius Loci. Sie waren unverbrüchlich verbunden mit dem Ort, an dem sie sich befanden, auch wenn dieser Ort womöglich eine aristokratische Sammlung war. Dynastisch, hagiografisch, über Geschichte und Geschichten hingen sie an der Lokalität, die ihnen angestammt war. Es gab eine Tiefenschichtung, eine Sedimentierung, eine Verbindung in der Vertikalen, an der sie fixiert waren. In der Moderne wird eine Vorstellung von Ort greifbar, die nicht mehr von der Stratifikation, sondern von der Planimetrie ausgeht, von der Organisation von Oberfläche und der artifiziellen Zuordnung einander durchaus synthetischer Dinge. Statt Sedimentierung gilt nun Möblierung. An die Stelle von Hierarchie ist das Prinzip Balance getreten, Selbstregulierung, die Egalität planvoll ins Werk gesetzter Koexistenzen. Freiheit, die neue, gleichsam demokratische Öffentlichkeit eines zwanglosen Miteinanders, gilt gerade auch in der Ausstellung, die ihrerseits disponibel geworden ist. Lokalität als fixer Ort ist ersetzt von der Situation. Es wäre nicht eine Postmoderne, würde man nicht versuchen, diesen Gegensatz ungeschehen zu machen. Joseph Beuys hat in einer seiner besten Arbeiten, der „Straßenbahnhaltestelle“, die er für die Biennale 1976 realisierte, vom deutschen Pavillon aus nach unten gegraben, bis zum Wasser der Lagune, um den Nazibau gewissermaßen zu erden und ihn zu exorzieren durch seine Verbindung mit der Topografie einer immer schon internationalen Stadt. Und das Mahnmal gegen den Faschismus, das Esther und Jochen Gerz 1986 in Hamburg-Harburg aufstellten, bestand aus einer mit Bleiplatten ummantelten Stele, die dazu einlud, irgendwelche Spuren auf der Oberfläche zu hinterlassen, Markierungen der Betroffenheit oder der Revierverteidigung als ganz unmittelbare Dokumente von Präsenz; war die Ummantelung angefüllt, wurde die Stele ein Stück im Boden versenkt; heute ist davon eine Bodenplatte zu sehen sowie durch ein Fenster ein Teil der Kundgaben. Beide Male ging es um die Nazi-Thematik, die offenbar bevorzugt dazu einlud, Tradition, die über die ominösen zwölf Jahre hinausging, mit ganz traditionellen Mitteln zu beschwören. Eine ambitionierte Zusammenarbeit der beiden Kunsthallen in Baden Baden und in Bielefeld lotet nun eine weitere Dimension des Prinzips Sedimentierung aus. Die Richtung geht dabei nicht nach unten, sondern nach hinten. Im Lauf der Präsentationen haben sich allerhand Hinterlassenschaften an den Wänden abgelagert, Malereien, Ritzungen, künstlerische Interventionen jedenfalls, die übertüncht und ungeschehen gemacht wurden in den Routinen des Wechselausstellungsbetriebs. Jetzt sollen sie wieder offengelegt werden, auf dass sich ein Palimpsest ergebe, ein Gefüge an Schichten, dank dessen sich wiederum Geschichte geltend macht. Eben eine Institutionengeschichte: „Auf Zeit“ nennt sich das Duett, das einmal Aktionen von Hamish Fulton, Daniel Buren oder Karin Sander, das andere Mal von Sol LeWitt, Richard Tuttle oder Palermo zum Vorschein bringt. Ergänzt wird das Programm jeweils durch aktuelle, also neu konzipierte Beiträge. Wir brauchen „Lieux de mémorie“, heißt es in Pierre Noras Einleitung zu seinem monumentalen Projekt der „Erinnerungsorte“ aus den 80ern, weil wir keine „Milieux de mémoire“ mehr haben. Die beiden Häuser, die wie allen, denen der Blockbuster keine Option ist, der Wind ins Gesicht bläst, wollen wiederum zeigen, dass sie solche Milieus gerade verkörpern. Und immerhin heißt Milieu ja Mitte. www.kunsthalle-bielefeld.de www.kunsthalle-baden-baden.de
Mehr Texte von Rainer Metzger

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