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60 Jahre Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg

„Das schönste Atelier“ in der „schönsten Stadt der Welt“ Das fast zeitgleich mit den Salzburger Festspielen angelaufene Programm der Internationalen Sommerakademie für Bildende Kunst sucht heuer „Das Terrain der Kunst“ de profundis zu erkunden: nicht allein nämlich in den 21 ein- bis vierwöchigen künstlerischen Kursen, sondern zudem über ein ambitioniertes Angebot diskursiver Formate, das alle Interessierten vor Ort anspricht und den konkreten städtischen Raum inkludiert. So bieten Salzburger Kulturschaffende sehr spezielle Stadtspaziergänge an, die sich in der vom Hochkulturtourismus geprägten Sommersaison bewusst eher abseitigen, „wilden“ Gegenden und abjekten Aktivitäten in der sonst so pittoresken Mozartstadt widmen, wie die von sogenannten „Wastedivers“ unternommene Exkursion zu den heimischen Mülllandschaften. Weiters steht eine Abendaktklasse nicht nur den regulären Kursteilnehmer_innen offen, sondern auch all jenen, die sich in der Arbeit mit Modellen versuchen möchten; desgleichen richten Lunch Lectures sich an ein breites kunstaffines Publikum. Die Grenzen zwischen Kunst-, Theorie- und Wissensproduktion, zwischen kuratorischen und künstlerischen Konzeptionen, zwischen Kunstvermittlung und Vermittlungskunst sind mittlerweile schließlich ebenso fluide geworden wie die zwischen „amateurhaften“ und „professionellen“ Medienproduktionen. „Professionell, dilettantisch, genial?“ Diese als Denkanstoß gestellte Frage steht folglich auch über allen Aktivitäten des heurigen Veranstaltungsprogramms, das aus Anlass des 60-jährigen Bestehens der Institution zudem kritisch an die Intentionen ihres Gründungsdirektors Oskar Kokoschka erinnert. Dessen für die Nachkriegszeit typisch humanistische Haltung, unabhängig von Herkunft und Vorbildung alle künstlerisch Ambitionierten zu den Kursen zuzulassen, gilt bis heute als Alleinstellungsmerkmal der Sommerakademie – wenn freilich der zunehmend prekären Situation vieler Anwärter_innen und der erforderlichen Flexiblität im mittlerweile globalisierten Kunstbetrieb durch eine entsprechende Bandbreite an kürzeren Kursen Rechnung getragen wird. Darüber hinaus kann man sich neuerdings auch in „kuratorischer Praxis“ üben. Das runde Jubiläum war der amtierenden Direktorin Hildegund Amanshauser auch Anlass, eine Buchveröffentlichung herauszugeben, in der erstmals eine kritische Gesamtdarstellung der Institutionengeschichte unternommen wird. Neben ihrem auf Basis schriftlicher Quellen geführten fiktiven Interview mit Kokoschka und den resümierenden Stimmen einiger mittlerweile sehr prominenter Kursteilnehmer_innen, widmet sich ein wissenschaftlicher Essay von Martin Fritz explizit den auch die Sommerakademie dominierenden personellen Kontinuitäten vom NS-Regime bis weit in die Nachkriegszeit hinein. Die sorgsam recherchierte Darstellung der Historie dieser Sommerschule und ihrer weit reichenden Wirkung für das Gros der Teilnehmer_innen wie für auch für Salzburgs kulturelle und kulturpolitische Entwicklung liest sich mitunter wie eine Kriminalgeschichte. Zugleich wird in einem exemplarischen Schnitt die für das Österreich der Wiederaufbauzeit insgesamt charakteristische gesamtgesellschaftliche Leugnung der aktiven Beteiligung an den Kriegsverbrechen freigelegt. Diese ermöglichte paradoxerweise nach einer nur kurzen Phase der „Entnazifizierung“ die höchst produktive Zusammenarbeit eines zuvor als „entartet“ qualifizierten Künstlers, dem aus dem Londoner Exil zurückgekehrten Oskar Kokoschka, mit dem NS-Profiteur, Kunsthändler und Galeristen Friedrich Welz. Dieser betreute nicht nur Kokoschkas Œuvre bis zu dessen Lebensende umfassend (und keineswegs uneigennützig). Als umtriebiger und bestens vernetzter Organisator bildete er im ersten Jahrzehnt der 1953 gegründeten „Schule des Sehens“ mit Kokoschka als künstlerischem Leiter ein geradezu kongeniales Gespann. „Mit dem eigenen Auge sehen“ Untergebracht in einem Trakt der Festung auf dem Mönchsberg dominierte bis 1963 Kokoschkas eigener Kurs das Lehrprogramm, wobei der subjektiven „Anschauung“ der Primat vor der bildnerischen Umsetzung zukam. Die Abstraktion galt ihm als liebster Feind, worin er sich stimmig in den antimodernen Grundtenor der der Salzburger Kunstszene fügte, die von den Avantgarden der Jahrhundertwende bis in die 70er Jahre weitgehend unbeeindruckt blieb. Friedrich Welz dagegen demonstrierte über seinen Kunstgeschmack eine wesentlich stärkere Aufgeschlossenheit und sorgte über prominente Namen für ein ansprechendes Kursprogramm. So wurde zumindest auf Nebenschauplätzen wie der bald eingerichteten „Graphischen Versuchswerkstätte“ im Künstlerhaus auch abstrakt arbeitenden Proponenten wie Slavi Soucek entsprechender Raum gegeben. Nach Kokoschkas altersbedingtem Abgang1963 schlug Welz den ehemals höchsten NS-Kulturfunktionär in Österreich, Herrmann Stuppäck, als „administrativen Direktor“ vor, um die künstlerische Leitung künftig für sich zu reklamieren. Die beiden hatten wohl spätestens 1946 im Internierungslager Glasenbach im Süden Salzburgs Bekanntschaft miteinander gemacht. Als freiberuflicher Journalist und Kritiker hatte Stuppäck sich in den frühen sechziger Jahren über ein bemerkenswertes Interesse an aktueller bildender Kunst hervorgetan; seit 1962 fungierte er als Präsident des damals noch am Leitbild einer Künstlervereinigung ausgerichteten Salzburger Kunstvereins. Als effizenter Netzwerker verfügte er über Beziehungen bis in höchste künstlerische Sphären – was sich für seine eindrucksvolle Nachkriegskarriere als Atout erwies. „Gleichberechtigung des Ungleichartigen“ Über ein pluralistisches Konzept etablierte Stuppäck sich in den 17 Jahren seiner Leitung als „neutraler“ Ermöglicher, während die Idee einer dominanten „genialischen“ Künstlerpersönlichkeit à la Kokoschka in den Hintergrund getreten war. Ob dieser betonte Pluralismus psychologisch als kompensatorische Konfliktbewältigung eines Ex-NSDAP-Funktionärs zu deuten wäre, sei dahingestellt; bemerkenswert jedoch ist, dass sich so gut wie keine der zeitgenössischen Stimmen an der belasteten Vergangenheit Stuppäcks stieß. Das programmatische Geltenlassen des Unterschiedlichen, ein lediglich noblerer Ausdruck für ästhetische Indifferenz, war vielmehr die zeittypische kulturelle Handlungsmaxime im neutralen Österreich, das bemüht war, zwischen den Antagonismen des Kalten Krieges möglichst unbeschadet zu existieren. Parallel zum Proporzdenken auf politischer Ebene war man auch kulturell um Interessenausgleich bemüht, was im gleichberechtigen Nebeneinander abstrakt-expressionistischer Tendenzen US-amerikanischer Prägung und sowjetideologisch konnotiertem Realismus seinen Ausdruck fand. So erklärt sich auch das Bemühen Stuppäcks um den prominenten Vertreter des Informel und das zugleich rare Beispiel eines abstrakten Kommunisten, Emilio Vedova, der als künstlerisches Zugpferd nach zwischenzeitlich sinkenden Teilnehmer_innenzahlen einen neuen Aufschwung bewirkte. Daneben wurden in den sechziger Jahren über Architekturklassen die Bezüge zum aktuellen Planungsgeschehen in der Stadt forciert. Damals bargen Kontroversen um die Bewahrung des historischen Altstadtkerns und die Erhaltung von Naturräumen im Stadtgebiet bei gleichzeitig dringlicher urbaner Erweiterung kein geringes Konfliktpotenzial. Als Think Tanks trugen Lehrende der Sommerakademie mit ihren Klassen auf hohem Niveau zu den lokalen Diskussionen bei – begleitet von den einschlägigen städteplanerischen Streitschriften Hans Sedlmayrs, der sich als Ordinarius des örtlichen Instituts für Kunstgeschichte so wie Stuppäck als gleichfalls „Ehemaliger“ über eine demonstrativ vorgetragene „Weltoffenheit“ (bei gleichzeitig tief antimoderner Haltung) in diesen Diskurs einmischte. Auch angewandte Kunst, in Form eines Schmuckkurses anfangs, integrierte er ins Angebot der Sommerakademie; eine „Dramatische Werkstatt“ und Bühnenbildklassen sollte folgen, die teils eng mit den Festspielen kooperierten. Die Einrichtung eines Fotografie-Lehrgangs wurde 1976 realisiert – zu einer Zeit also, wo abgesehen von der berufspraktisch um visuelle Gestaltung zentrierten „Graphischen“ in Wien in Österreich noch keine einzige reguläre fotografische Ausbildungsmöglichkeit existierte. Die Sommerakademie der siebziger Jahre reagierte somit auf bestimmte Erweiterungen des Kunstbegriffs; konzeptuelle Ansätze, Performance, Installation, Video- und ortsspezifische Kunst fanden jedoch erst mit ein bis zwei Jahrzehnten Verszögerung im Laufe der Achtziger Berücksichtigung im Programm. Retrospektiv wirkt die Ära Stuppäcks also keineswegs ästhetisch reaktionär, sondern, wie Martin Fritz es fasst, als „Spielwiese unterschiedlicher gemäßigter Interessengruppen“. Nachholen der Nachkriegsavantgarden 1980, dem Jahr, in dem sowohl Kokoschka wie Welz verstarben, wurde in Nachfolge Stuppäcks der Direktorsposten mit dem Literatur- und Kunstkritiker Wieland Schmied besetzt, der sich, in deutschen Institutionen entsprechend profiliert, als ideale Wahl erwies. Von Beginn an im Duo mit der feministisch engagierten Kunsthistorikerin Barbar Wally arbeitend gelang den beiden nicht nur das längst fällige Anschließen an die Nachkriegsmoderne. Über ihre theoretische Ausrichtung rückten sie die Sommerakademie auch an einen anspruchsvollen Hochschulbetrieb heran. 1992 wurde die Alte Saline auf der Pernerinsel in Hallein als zusätzlicher Kursort adaptiert – womit man sich auch hier nun unmittelbar neben den Salzburger Festspielen situierte. Daneben gelang es, den Marmorsteinbruch Fürstenbrunn für Steinbildhauerklassen zu integrieren. Über ein Open House am letzten Akademietag jeweils Ende August suchte man den Lehrbetrieb stärker dem städtischen Publikum gegenüber zu öffen. Feminismus und Medienkunst Eine Änderung, die gar nicht hoch genug geschätzt werden kann, war die bewusste Berufung von Frauen als Lehrenden, die sich Barbara Wallys beharrlichem Eintreten für eine Gleichstellung verdankt. Bis in die späten achtziger Jahre nämlich lag die Leitung der Kurse so gut wie ausschließlich in Männerhand, während unter den Teilnehmer_innen interessanterweise seit je Frauen bei weitem dominierten. Beginnend mit Verena von Gagern wurden die Foto- und später auch Videokurse nahezu gänzlich mit Künstlerinnen besetzt, um diese Diskriminierung zu kompensieren. 1999 schließlich waren 12 der 21 angebotenen Klassen von Frauen geleitet – zu einer Zeit, wo die meisten Akademien und Kunsthochschulen im deutschsprachigen Raum sich überhaupt erst mit Gleichstellungsfragen zu befassen begannen. Die 2009 erfolgte Ernennung Hildegund Amanshausers zur geschäftsführenden künstlerischen Leiterin ist insofern als logische Fortsetzung dieser geschlechtergerechten Politik zu sehen. Darüber hinaus verfügt sie über das nötige Verhältnis von Nähe und Distanz zur Stadt, in der sie nicht nur ihr Studium absolviert, sondern, nach einer Profilierungsphase in Wien, 1991 auch als erste Frau im Direktorenamt des Salzburger Kunstvereins dort einen Paradigmenwechsel initiierte. Nach einem Interludium an der Kunstakademie Münster als Professorin für „Kunstwissenschaft / Kunst und Öffentlichkeit“ kann sie sowohl von dieser Erfahrung wie von ihrem früheren nachhaltigen Engagement um eine Vernetzung zwischen den Salzburger Institutionen, um eine aktive Beteiligung an den kulturpolitischen Debatten und um eine Hebung des kunsttheoretischen Diskursniveaus profitieren, indem sie von diesem Level aus nun entsprechend operiert. Freilich gilt es erneut, den geänderten Strukturen eines mittlerweile weltumspannenden, kaum mehr zu überschauenden Kunstbetriebs gerecht zu werden – und dies in Zeiten von Krisen und rundum knapper Mittel. „Krisen der künstlerischen Produktion“ gilt folglich in den heurigen Kursen ein analytisch-kritisches Augenmerk. Auch das nach wie vor bestehende Verhältnis zwischen zwei Dritteln „professionellen“ Kunststudierenden und Künstler_innen und einem Drittel „Amateuren“ –eine Mischung, die sich seit je als produktiv erwies – verlangt ein adäquates Angebot. Der Anspruch, eine breite Öffentlichkeit neugierig zu machen und aktiv zu integrieren, materialisiert sich nicht zuletzt in der eingangs erwähnten deutlichen Ausweitung des Programms und dessen Darstellung in einer separaten Broschüre. Sowohl diese wie der Webauftritt und die besprochene Jubiläums-Publikation sollten über die so ausnehmend schön, weil klar und schlicht gestaltete CI ohnehin in jedes diesbezüglich wache Auge springen. -- Tage der offenen Türen: 9. und 30. August email: office@summeracademy.at www.summeracademy.at Publikation: Das schönste Atelier der Welt – 60 Jahre Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg Hg. von Hildegund Amanshauser für die Internationale Sommerakademie für Bildende Kunst Salzburg im Jung und Jung Verlag, Salzburg und Wien. Mit einem Essay von Martin Fritz, einem fiktiven Interview mit Oskar Kokoschka aus Zitaten zusammengestellt von Hildegund Amanshauser und Beiträgen von Norbert Bisky, Markus Brüderlin, Ingeborg G. Pluhar, Hans Hollein, Ursula Hübner, Susi Krautgartner, Hinrich Sachs, Martina Steckholzer, Dietmar Steiner und Amelie von Wulffen. 160 Seiten, ca. 180 Abbildungen, broschiert, Format 19 x 26 cm, zweisprachig dt./engl., 15,- € ISBN 978-3-99027-038-7
Mehr Texte von Ulrike Matzer

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