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Lucian Freud: Zeitloser Existentialismus

Welche enorme Präsenz das einzigartige Œuvre des Lucian Freud in unserem visuellen Gedächtnis eingenommen hat, macht diese fast schon als sensationell zu bezeichnende Ausstellung im Kunsthistorischen Museum wieder bewusst. Selbst durch vereinzelte, gewöhnlich bloß flüchtig registrierte Abbildungen in der Tagespresse oder in Magazinen hat sich der schonungslose Stil des britischen Malers, der Körper oft als ausgemergelte Fleischberge - faltig, fett und fahl - malte, eingeschrieben. Der von Freud 2002 als Schwangere gemalten Kate Moss, die lange darauf insistiert hatte, durch seine Meisterhand mit Öl auf Leinwand abgebildet zu werden, begegnet man hier nicht. Dafür aber einer anderen, wesentlich bedeutenderen Ikone der neueren Kunstgeschichte, Freuds berühmtem Gemälde "Benefits Supervisor Sleeping" aus dem Jahr 1995. Als Model eine schwergewichtige Frau, nackt auf einem Sofa daliegend wie eingeschlafen. Dafür musste die Mitarbeiterin des Londoner Arbeitsamtes Sue Tilly viele Wochen nächtlich unter einer grellen 500-Watt Birne liegend das Vorbild abgeben. Als das Bild bei Christie's 2008 unter den Hammer kam, erzielte es die Rekordsumme von 33,6 MIO Dollar. In dieser Sonderausstellung des Kunsthistorischen Museums ist dies natürlich nicht das einzige Gemälde, das den menschlichen Körper derart entblößt psychologisierend seziert. Es ist beispielsweise auch das Bild "And the Bridegroom" (1993), das ein Paar zeigt, das allem Anschein nach eben Sex hatte und einschlief. Doch – typisch für Freud – weniger die abgeklungene erotische Spannung ist das Thema, sondern die vom Leben gezeichneten Körper in ihrer betonten Über-Normalität. Wie Idiosynkrasien strahlen diese Gemälde hier auf; abseits der von Abfolge, Diskurs oder Konjunktur der Stile im 20. Jahrhundert. Den Lucian Freud (in Berlin geborener Enkel des Wiener Begründers der Psychoanalyse, dessen Eltern nach London emigriert sind, womit es nun gesagt sei), war anfangs zwar von der Moderne und den Szene-Porträts eines Otto Dix beeinflusst, begeistert aber haben ihn Frans Hals, Hans Holbein, Peter Paul Rubens, Diego Velázquez, Bruegel, Dürer oder Tizian. So wirkt das Kunsthistorische Museum Wien geradezu wie gemacht für ein solches Projekt. Nicht zuletzt deshalb stimmte Freud selbst, der schon über Jahrzehnte mit Kurator Jasper Sharp befreundet war, dieser Ausstellung, seiner ersten in Österreich überhaupt, noch kurz vor seinem Ableben 2011 persönlich zu. Nicht nur weil seine Werke hier in einem unmittelbaren Dialogfeld mit den Alten Meistern stehen, sondern vielmehr, weil sie nicht die Konkurrenz mit der Avant Garde der Moderne aufnehmen müssen. Als einer der bedeutendsten Vertreter der figurativen Malerei im 20. Jahrhundert suchte Freud – ebenso wie sein Weggefährte Francis Bacon – einen vollkommen eigenständigen Weg. Das 2003 im Falle Bacon bereits fragwürdige didaktische Konzept, das dessen Werke als Einsprengsel im Vergleich mit Werken der Sammlung präsentierte, hätte hier aber nicht gepasst. Deshalb die Entscheidung von Freud – gemeinsam mit Kurator und Direktorin Sabine Haag – der Ausstellung zwei ganze Räume und eine Durchgangssituation zu widmen. Das verleiht dieser Schau mit zahlreichen Masterpieces aus dem Metropolitan Museum, der Hirschhorn Collection, dem Art Institute of Chicago oder einer U.S. amerikanischen Privatsammlung exakt die richtige Atmosphäre. Sie monumental aufzublähen hätte nicht gepasst. So ist man mit einem bemerkenswerten Konzentrat aus dem mehr als 70-jährigen Schaffen des Lucian Freud konfrontiert. Zunächst ein eher intimer Überblick, dann die großflächigen Gemälde fast so hell ausgeleuchtet wie sie auf einer Kinoleinwand erstrahlen würden. Doch auch das ist ein Aspekt des zeitlosen Existentialismus in dieser ergreifenden Ausstellung. Parallel dazu bringt das Sigmund Freund Museum Fotografien aus dem Atelier Lucian Freuds von David Dawson. Sie dokumentieren das Umfeld, in denen Lucian Freuds Arbeiten entstanden und liefern sehr persönliche Blicke auf die markante Künstlerpersönlichkeit. -- Lucian Freud: Privat. Fotografien von David Dawson Sigmund Freud Museum, bis 6. Jänner 2014 www.freud-museum.at
Mehr Texte von Roland Schöny

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Lucian Freud
08.10.2013 - 12.01.2014

Kunsthistorisches Museum
1010 Wien, Burgring 5
Tel: +43 1 525 24 0
Email: info@khm.at
http://www.khm.at
Öffnungszeiten: Di-So 9.00-18.00


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