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55. Biennale von Venedig - Giardini: Flaute in der Lagune

Dass viele der wirklich spannenden Präsentationen in Venedig eher in den Außenstationen der Biennale und nicht in den Giardini über die Bühne gehen, lässt sich bald erahnen. Während allerorts Wettkampfgeist und Positionierungslust spürbar sind, müssen sich einige Kommissäre der klassischen Pavillons, in dem anachronistisch nach Nationen zerklüfteten Gärtchen, wohl erst mit dem Gedanken anfreunden, dass Kunst auf dieser Biennale längst im Konkurrenzfeld einer All-Over-Venice-Show wahrgenommen wird. Die Bespielung des US-Pavillons unter der Ägide des Bronx Museum, das in New York größtenteils schwarze und lateinamerikanische Künstler bringt und seinen soziopolitischen Anspruch betont, ist zwar Signal für Blickwechsel weg von den traditionellen Institutionen, doch wurde diese Option mit der Wahl der Künstlerin Sarah Sze und ihrem letztlich kunstschönen Konzept gehörig verspielt. In ihrer Installation ''Triple Point'' arbeitet Sze innen und außen mit allen möglichen Materialien wie mit Drähten, Metallteilen, Plastikabfällen oder Papierresten skulptural und raumgreifend. Dass die Architektur des neoklassischen Gebäudes aus den 1930er Jahren von Delano und Holmes hinterfragt wird, liegt auf der Hand. Doch – bei aller Achtung vor der Künstlerin selbst – sie hätte sich schon mehr trauen können. Deutschland und Frankreich reagieren auf die anachronistische Zerklüftung nach Nationen mit einem Pavillontausch. Besonders originell wirkt das nicht, doch geht der transnationale Ansatz der deutschen Kuratorin Susanne Gaensheimer noch einen entscheidenden Schritt weiter, wenn sie die aus New Dehli stammende Inderin Dayanita Singh oder den südafrikanischen Fotografen Santu Mofokeng präsentiert, wobei sie der Ideenwelt Christoph Schlingensiefs und dessen global orientierten Projekte folgt. Großartig ist hier Dayanita Singhs Porträt der transgender Person bzw. des Enunchen Mona in schwarz-weiß Fotografien ergänzt durch einen schwarz-weiß Film. Formal trocken und klar und dadurch umso mehr berührend. Mona lebt auf einem Friedhof in Alt-Dheli zwischen sämtlichen Welten und abseits aller sozialen Zugehörigkeiten. Santu Mofukeng wiederum dokumentiert, wie die spirituell aufgeladenen Landschaften in der Provinz Mpumalanga im Nordosten von Südafrika der wirtschaftlichen Aneignung von Land zum Opfer fallen. Vor und genauso nach dem Ende der Apartheid. Als Kontrast dazu der Dokumentarstreifen ''8. Mai von 2005/2013'' über die große NPD-Demonstration zum 60-jährigen Kriegsende auf dem Berliner Alexanderplatz von Romuald Karmakar. Sogar die verstörende, rhizomorphe Raum-Architektur aus traditionellen dreibeinigen, ineinander montierten Stühlen des gelegentlich nervend überpräsenten AI-Weiwei wirkt da plausibel. Sicher: Von manchen wurde dies – Nase rümpfend – als "Kunsthallenausstellung" abgehakt. Dies wäre jedoch arrogant, handelt es sich doch um einen ernsthaften Versuch, mit starken Werken, die Welt heute abzubilden und regional geprägte Idiome zu thematisieren, während das Nationale kritisch hinterfragt wird. Währenddessen ist die mehrteilige filmische Hommage an Maurice Ravel von Anri Sala im französischen Pavillon viel zu pathetisch. Und gleich am Eingang zu den Giardini zeigt der Schweizer Pavillon, wie man es besser nicht macht. Hinter dem Konzept steht die pro helvetia und eine breite Jury. Dieses siebenköpfige Gremium hat den Walliser Künstler Valentin Carron nominiert und zeichnet damit für eine der langweiligsten Präsentationen verantwortlich. Ja, natürlich, da wird eine Tourismusregion thematisiert. Ach, aber in Bronze gegossene, zusammengedrückte flache Musikinstrumente? In einer Galerie gut aufgehoben, aber wen kratzt es hier? Beeindruckend, letztlich aber viel zu übertrieben: Die performative Installation „Danaë“ von Vadim Zakharov im russischen Pavillon, die sich (siehe Titel) auf den gleichnamigen griechischen Mythos bezieht. In fünf Akten geht es in den einzelnen Räumen um Geld, um Ökonomie Macht, um Anbetung eines Fetisch und natürlich auch um die Konnotation mit Sex. Interessant ein im Gebälk sitzender Performer wie ein Reiter oder auch das Verbot für Männer, einen der mit einem Geldregen „gesegneten“ Räume zu betreten, während Frauen offensichtlich Spaß daran haben, ein paar Münzen in die eigene Taschen zu stecken. Eine allegorische Komposition unter Einbeziehung des Publikums mit einem Förderband, das den Materialfluss garantiert. Letztlich kippt das Ganze in Richtung Publikumsevent, während aktuelle Fragen gar nicht erst aufkommen. Dahinter stehen die Kunstsammlerin Stella Kesaeva und deren Stella Art Foundation sowie Kurator Uwe Kittelmann, den das noble Sammlermagazin "Weltkunst" gleich mal als "Unser Mann in Venedig" tituliert. Von wegen "Geld und Glanz". Da sind schon die Richtigen beieinander. Seltsam, warum so wenig über Stevanos Tsivopoulos dreiteilige filmische Installation ''History Zero'' im griechischen Pavillon gesprochen wird. In seiner teils witzig, ironischen Trilogie konzentriert er sich auf die existentielle Dimension von money, money, Geld, Geld, chrímata, chrímata, indem er drei sehr unterschiedliche Individuen, eine ältere, schon leicht an Demenz erkrankte Kunstsammlerin, eine herumstreunenden Einwanderer, der auf der Straße Altmetall sammelt und einen Künstler, der ebenda Schnappschüsse macht. Also „Sammeln“unter anderem und das Festhalten von Wirklichkeit und „sich irgendwie zurecht finden“ in einer zum Spielball einiger Banker und Spekulanten heruntergekommenen Welt sind das Thema. Mehrmals gleich könnte man sich diese zumindest an Pointen nicht armen Filme ansehen. Dass hier natürlich vieles Idiosynkrasie bleibt, vielleicht also nur für den Moment Gültigkeit hat, das thematisieren Alexandra Pirici and Manuel Pelmuş in ihrer „Immaterial Retrospective of the Venice Biennale“ im rumänischen Pavillon. Die beiden jungen und bereits sehr renommierten Choreographen für Tanz und Performance lassen zahlreiche Werke und Katalogpassagen aller bisheriger Biennalen durch gesprochene Textzitate verbunden mit performativ körperlichen Reinterpretationen Revue passieren, wobei auch der Eurozentrismus und die sich zunehmend konservative Tendenz der Biennale hinterfragt werden. Höchst bemerkenswert auch die Präsentation des jungen Gilad Ratman im israelischen Pavillon "The Workshop" (2013), die filmisch eine Reise nach Venedig in den Pavillon als utopische Landnahme darstellt. Der Pavillon wurde auch tatsächlich durch einen unterirdischen direkt in das Gebäude mündenden Stollen durch Erdreich und Schlamm in Besitz genommen. Zunächst nicht ganz durchschaubar, assoziativ aber spannend ist die mit dem Künstler auf dem Weg befindliche Gruppe, die offenbar selbst hergestellte Puppen-Mikrophone gestalttherapeutisch besingt, was dem Künstler als Musiker wiederum akustisches Ausgangsmaterial für Ambient- und Techno-Samples ist. "Dem Künstler": Auch dies sollte man sich vergegenwärtigen! Den überproportional hohen Anteil an Männern auf dieser Biennale. Flackerte das utopische Bild gleicher Berücksichtigung von Sex und Gender nicht schon wesentlich sichtbarer auf! Nicht im Sinne einer abstrusen Quotierung, sondern angesichts des hohen Anteils von Frauen in der Gegenwartskunst. Die Vergabe des Goldenen Löwen an Maria Lassnig war immerhin ein spätes Zeichen; aber: fast könnten die Gorilla Girls nochmals ihre Evaluierungsmasken anlegen! Deshalb erhält auch der britische Pavillon eher wenige Punkte. Sicher, man freut sich bereits, wenn man wenigstens dem großen Jeremy Deller begegnet, der eine witzig, kritische Zusammenschau britischer Mythen der Alltagskultur und popkultureller Narrative der letzten Jahrzehnte seit dem frühen David Bowie als "English Magic" konzipiert hat. Ja, es hat was Subversives, wenn die Yacht von Roman Abramovitsch von dem viktorianischen Künstler und engagierten Sozialisten William Morris auf einer Zeichnung wütend ins Meer geschmissen wird, weil sie arroganterweise vor dem Biennale Gelände anlegte, oder wenn Prinz William per Video ein bisschen aufs Korn genommen wird, weil er angeblich auf einen unter Naturschutz stehenden Adler schoss. Aber: Schon wieder das Königshaus? Amerika: die Flagge. Russland: der zur Schau gestellte Reichtum. England: das Königshaus. Da hat Jeremy Deller kulturelle Situationen auch schon präziser analysiert. Und auf Biennalen hat man sich auch schon mehr getraut als hier in den Giardini. Finnland mit Terike Haapoja oder auch Australien mit Simryn Gill jeweils mit ökologischen Themen in unterschiedlichen Bearbeitungen zunächst zwar interessant, letztlich aber doch verschlafen sentimental. Es macht schon Sinn, dass das Prinzip nationaler Präsentationen einigermaßen aufrechterhalten wird, da sich auf diese Weise Finanzierungssysteme, Kulturpolitiken und der Stand kritischer Diskurse in regionalen Kontexten manifestieren. Mehr trauen hätte man sich aber trotzdem können, um die Maschine dieser ersten aller Biennalen, die ursprünglich gegründet wurde, um dem damals kulturell rückständige Italien neue Inputs zu liefern, ordentlich zu starten. Das wäre die Herausforderung gewesen, hier in den Giardini sich mehr mit dem Allerweltsmotto des Enzyklopädischen das der künstlerische Leiter der Biennale Massimiliano Gioni ausgerufen hat, zu reiben und diesen ausdehnend kritisch zu verorten, was zeitgenössische Sichtweisen und Konzepte heute sein könnten. Nur selten begegnet man stattdessen der zündenden Idee, vielmehr einer Zusammenschau, die irgendwie interessant ist, aber eben nur: irgendwie.
Mehr Texte von Roland Schöny

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55. Biennale von Venedig - Giardini
01.06 - 24.11.2013

Österreichischer Pavillon - La Biennale di Venezia
30122 Venezia, Giardini della Biennale
https://www.biennalekneblscheirl.at
Öffnungszeiten: täglich 11 - 19 h, Fr, Sa bis 20 h,
Montag geschlossen außer 25/07, 15/08, 5/09, 19/09, 31/10, 21/11


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