Thorsten Schneider,
Das Unsichtbare Archiv des Robert Lettner: Vielseitige Ruhe
Der Ausstellungstitel mag zunächst wenig visuellen Reiz verheißen – doch weit gefehlt! Was man heuer im Basler Ausstellungsraum „lotsremark“ zu sehen bekommt, ist eine mit ausgewählten Werken in präziser Hängung erfolgte intensive Einfühlung in das Œuvre des österreichischen Künstlers Robert Lettner (1943–2012). Bereits ein erster Blick durchs Fenster bietet ein Panorama künstlerischen Schaffens, das bei größter Vielseitigkeit eine beharrliche Ruhe und Ausgewogenheit ausstrahlt. Drinnen ziehen die Werke eine Linie und markieren ebenso subtil wie evident einen Anschauungshorizont der zugleich einen Leitfaden auslegt. Der Rundgang erfolgt mehr oder minder chronologisch von Links nach Rechts und folgt grob Lettners künstlerischen Leitthemen Widerstand, Ornament und Struktur, Utopie und Landschaft. Wer sich gerne vorab über den Künstler informieren mag, bekommt dazu ein reichhaltiges Lektüreangebot an Büchern des Künstlers und älteren Ausstellungskatalogen wie z.B. der Galerien im Griechenbeisl oder nächst St. Stephan auf zwei zentral im Raum platzierten Tischen. Neben der Tür zieht ein Plakat mit der Aufschrift „Wandzeitung“ unmittelbar Blicke auf sich. Der Druck zeigt ein maskenartiges rotes Gesicht das keinen Hehl um seine politische Botschaft macht und zugleich durch grafische Raffinesse überzeugt. 68 lässt grüßen. Sogleich entzieht sich das wiedererkannte Motiv in einer erstaunlichen Formmetamorphose. Die Gesichtszüge wandeln sich zur Arabeske, weichen der Abstraktion. Andeutung und Bedeutungsentzug. Tonlage und Stimmung sind spürbar – unsichtbar. Dem geflügelten Herzen auf dem Plakat „SIGNET“ (1979) will man sodann seinen Kitsch nicht abkaufen. Zwei zarte Strichzeichnungen vegetativer Formen (1975) sind mehr als schön – abgrundtief. Auf den Londoner Tuschzeichnungen (1973) reißt Lettners Strich Zäune wie Schnitte – und hinter tausend Stäben keine Welt. Die gezeichnete Waldviertler Fauna (2010-2011) daneben gerät zum All-Over und birgt und verbirgt dabei diffuse, tiefe Untiefen. Ein anderes Plakat (1982) benennt was ohnedies klar scheint: „Nirgends verstecken sich mehr Rätsel als in der Ordnung.“ Abstraktion und Einfühlung scheinen bei Lettner untrennbar verschlungen.
Auf der anderen Seite des Raums diverse Arbeiten zum Leitthema Struktur. Ab Mitte der 1990er wird Analoges durch Digitales abgelöst. Dennoch liegen diesen digitalen Gemälden analog erstellte reichhaltige Vorlagen zugrunde. Von jeder Referenz befreit wirkt das Ornament als sei es auch von jedwedem Code entbunden. Sichtbar wird dies in den Symmetrien der Serie digitaler Gemälde namens „Spiegelungen“ (2001–2012), die in Kooperation mit Philipp Stadler entstanden und des Nachts in Auswahl an das Fenster des Projektraums projiziert werden. Die Spiegelachsen sind verzerrt. Verunsicherungen sind vorprogrammiert. In einer doppelten Mimesis, bei welcher Lettner seine perfekten in Tusche erstellten Zeichnungen der frühen 1980er Jahre den späteren computergenerierten gegenüberstellt, kommt es zu einem kommunikativen ‚Double bind’ – die Abweichung im System wird zur ästhetischen Obsession des Betrachters – Entropie. Mag dies eine ethische Haltung implizieren? Bei Lettner gibt es kein Außerhalb des Systems. Abfall gibt es nicht. Klebestreifen, welche beim Malen als Ränder dienen, um Struktur zu geben, und um dann jedoch gelöst, aus dem Bild entfernt zu werden, dienen in den Blättern der Serie „Die magische Geometrie“ (1981) wiederum als Partituren und Pattern. Die Multiplikation der Grenzen gibt neuen Raum. Klebestreifensequenzen generieren neue Bilder. Schnittstellen, Falten, Sprünge sind dabei inbegriffen, werden fokussiert und übergangen. Heterogenes in homogener Ordnung. Fügen und augenblicklich sprengen! In Lettners bereits 1968 entwickeltem Typus der „Balkenbilder“ hingegen wirkt Farbe von allen Strukturzwängen befreit. Farbige Horizonte, die sich pulsierend öffnen, dabei entziehen, die Blicke in eine visuelle Unendlichkeit hineinziehen, bei der jeder Raum sich in Farbe auflöst. Wem es nach Halt verlangt, dem vermag im Kabinett eine Serie von Aquarellen aus dem Prater (2002-2004) Halt bieten. Doch auch hier verbirgt sich hinter der Harmlosigkeit des Sujets Vielschichtigkeit. Idyllische Landschaften, luzide Farbräume in meisterlicher Machart. Der Blick eröffnet wieder Spalten, Lücken, drängt in die Tiefe und findet Hintersinn. Keine unendliche Tiefe vielmehr Streifen, Stäbe, Knoten, verstelltes Nichts. Ein Blick in Lettners letztes Skizzenbuch unterstreicht eindrucksvoll mit welch stoischer Beharrlichkeit und unerschöpflichem Engagement er immer weiter drängte. Das Echo der ausgestellten Arbeiten dieses bemerkenswerten Künstlers, der in diesem Jahr 70 geworden wäre, hallt noch lange nach! Auf die durch Harald Krämer im Entstehen begriffene Werkmonographie darf man gespannt sein.
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Harald Krämer, der Betreiber des Ausstellungsraums lotsremark projekte, ist gleichzeitig Autor und Leiter der Schweiz-Redaktion von artmagazine.cc
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Das Unsichtbare Archiv des Robert Lettner
31.05 - 03.08.2013
lotsremark projekte
4057 Basel, Klybeckstraße 170
Email: info@lotsremark.net
http://www.lotsremark.net/
Öffnungszeiten: Während Art Basel täglich 18:00–20:00, sonst Sa 16-18 h und nach Vereinbarung
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