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When Now is Minimal - Die unbekannte Seite der Sammlung Goetz: Reduktion mit politischem Teewürfel

Minimal Art gemäß Donald Judd ist eine Tautologie, wie spätestens George Didi-Huberman ausgearbeitet hat. Und das Wichtige an ihr ist ihre Kraft der Behauptung. Sie sei ohne Relationen, sich selbst genügsam, nie subjektiv und so weiter. Trotz früher Kritik etwa durch Michael Fried ist sie ein unverrückbarer Bestandteil der abdankenden patriachalischen Genie-Ästhetik. Und ihre Einflüsse wirken bis heute. Im Herzen der Ausstellung "When now is minimal – Die unbekannte Seite der Sammlung Goetz" im Neuen Museum in Nürnberg in einer Blackbox löst sich geradezu programmatisch das Dingliche dieser orthodoxen Kunstrichtung auf, die vor gut einem halben Jahrhundert eine Kunst erschuf, die nichts sein wollte, als ihr Material. Weiße Lichtstrahlen zeichnen gefaltete, dreieckshafte, körperähnliche Scheingebilde in den dunklen Raum. Sehr langsam, kaum merklich verändern sich die Formen. Lineaturen aus Licht schreiben sich an die Wand auf der anderen Seite des Projektors. "You and I, horizontal" von Anthony McCall besteht aus einem Videokanal und einer Nebelmaschine. Daran hätten die Altmeister sicher ihre Freude gehabt, selbst wenn dort für ihre Begriffe zu viel Form ist. Die Ausstellung widmet sich aber nicht den Minimalisten von damals. Selbst wenn der 1946 geborene Brite deren Hochphase während des Studiums miterlebt haben dürfte. Sie zeigt vielmehr, dass ihre Einflüsse bis heute zu sehen sind – nur mittlerweile vielfach gebrochen und teilweise extrem ironisch. Die Räume im Nürnberger Institut, in denen über 70 Arbeiten von 30 Künstlern gezeigt werden, sind ein eigenes Werk. Der gebürtige Wiener Gerwald Rockenschaub, Jahrgang 1952, inszeniert gewagt und farbmächtig die Räume. Da wechseln starke Grüntöne mit Flieder und Anthrazit. Die Wände werden mit Bezug auf die Architektur farbig zerteilt. Rockenschaub, der sich als "Dienstleister" in Sachen Kunst versteht, hängte auch seine Arbeiten und "befreite" quasi die Kuratoren von den üblichen Zwängen des Kunstsystems. Auf diese Weise entstand eine in Teilen wirklich witzige Ausstellung, in der Konventionen des Ausstellens einfach über den Haufen geworfen wurden. Eine Wand mit einer Tapete des Briten Martin Boyce, geboren 1967, zeigt Konstruktionen von grauen und weißen Linien auf schwarzem Grund. Doch statt sie als Bild hervorzuheben, dient "When now is nieght" (1999) wie jede Raufaserrolle. An einer Seite des Raums befindet sich darauf eine wunderbare, unbetitelte Arbeit der 1952 geborenen Rosemarie Trockel aus dem Jahr 1992. Auf einer weiß-glänzenden, quadratischen Grundfläche sind zwei verschieden große Herdplatten angeordnet. Diese Behelfskochstelle aus dem Studentenwohnheim offenbart das Vergnügen, mit dem zeitgenössische Künstler das ehrwürdige Erbe dekonstruieren. Und so ist es oft vor Ort: Überzeichnungen und Fingerzeige wie mit dem Zaunpfahl ermöglichen einen lust- und humorvollen Gang durch die keineswegs blutarmen oder theoriebehafteten Werke. Gut 95 Prozent sind als Einzelwerke noch nie zu sehen gewesen, und der vollständige Komplex, so wie er sich in Nürnberg präsentiert, sowieso nicht. Doch das allein macht nicht den Reiz aus. Sicher, der Blick in die Depots von Ingvild Goetz zeigt, dass man die Sammlerin nicht auf Medienkunst verhaften kann. Ihre gut 5000 Inventarnummern umfassende Kollektion könnte für manche Überraschung gut sein. In dieser Ausstellung bekommt der Besucher eine Ahnung davon. Sie belegt, wie enorm lebendig der Geometrismus trotz der schon ewig dauernden Kritik ist. "Zunächst haben wir einen vorwiegend vergleichenden Blick auf die Arbeiten geworfen und geordnet, was sich formal ähnlich ist", beschreibt Angelika Nollert, Direktorin des Museums das kuratorische Vorgehen. Dann auf einmal blitzten die doch so verschiedenen Geschichten hinter den Arbeiten auf. Paradebeispiel Peter Halley, Jahrgang 1953. Sieht man auf die stark farbigen Großformate, sind es erst einmal schlichte Rechtecke, die nebeneinander angeordnet sind. Durch sie gehen breitere Streifen hindurch, und außerhalb durchziehen weitere geometrische Bahnen das Bild. Eine schnelle Assoziation lässt an elektronische Schaltungen denken. Stimmt auch. Halley intendiert die Rechtecke als Zellen, und man bemerkt schnell, dass zwischen diesen und zu diesen keine "Kommunikation" möglich ist. Er meint nämlich Gefängniszellen. Spürt man dem Denken von Andrea Zittel, Jahrgang 1965, nach, die einen ähnlichen Wandteppich wie "A to Z CARPET BED" (1995), auf dem der Grundriss eines stark abstrahierten Bettes zu sehen ist und hier zu sehen ist, als Schlafunterlage nutzt, spricht daraus die formale Askese, die sie auch auf ihr persönliches Leben überträgt. Modularisiert zur Einfachheit geht es mit einer ihrer Wohnzellenwerke im Eingangsbereich des Museums. Hier lassen sich wunderbare Parallelen zu einerseits der historischen Minimal Art, andererseits auch zur körperbetonten Performancekunst der damaligen Zeit ziehen. Oder die bezaubernden "Lichtfallen" von Ron Cooper, den Harald Szeemann auf der Documenta 1972 zeigte, weil er exakt diese Bilder 1971 in der Galerie von Goetz in Zürich gesehen hat. Sie bestehen aus Polyesterharz, sind beinahe durchsichtige, flache Kästen auf schwarzem Grund. Aufgrund der verschiedenförmigen Einschlüsse meint man, es befinde sich ein Teppich oder etwas schwammartiges hinter den rötlichen, gelben und transparenten Scheiben der drei Bilder. Diese unterscheiden sich eben dadurch und bieten jeweils ein anderes Leuchten aus sich heraus. Dass dieser Künstler dann figürlicher Maler und später Fabrikant von Mezcal, einem mexikanischen Agavenschnapps, wurde, ist erstaunlich. Seine Kunstgeschichte sollte einmal geschrieben werden. Der Geometrismus ist überall, meint man nach dem Besuch der überaus sehenswerten Schau. In der Ausstellung sieht man die jüngere Geschichte mit Protagonisten wie John Armleder, Helmut Federle, Imi Knoebel, Sarah Morris, Blinky Palermo oder Reiner Ruthenbeck. Selbst der Fotograf Wolfgang Tillmans ist mit gefalteten, farbig belichteten und gleichfalls zurückgenommenen Arbeiten vertreten. Es ist eine Freude zu sehen, dass eben jene reduzierte Kunst heute keinesfalls repetierend oder arm an Aussage ist. Ein würfelähnliches Objekt aus gepresstem Tee mit bis zu 50 Zentimetern Seitenlänge von Ai Weiwei beginnt sogar politisch zu sprechen, vergleicht man den ideellen Wert dieses Getränks mit dem eines Kunstwerks. Tony Smith' meditative Würfel aus der Frühzeit von Minimal schreiben sich in anderer Zeit, mit anderen Inhalten in eine neue Kunstgeschichte ein.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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When Now is Minimal - Die unbekannte Seite der Sammlung Goetz
19.07 - 20.10.2013

Neues Museum - Staatliches Museum für Kunst und Design in Nürnberg
90402 Nürnberg, Klarissenplatz
Tel: +49 911 240 200, Fax: +49 911 240 20 29
Email: info@nmn.de
http://www.nmn.de/
Öffnungszeiten: Di-So 10-18, Do 10-20 h


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