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Wiederholung, Aufführung, Arrangement

Über Tiravanijas Rekonstruktion von performativen Werken Nicht nur Häuser, Schlösser und Stadtviertel drängen heute zur Rekonstruktion, (1) auch performative Kunstwerke. Besonders angesichts der vielen temporären Werke und Konzepte der 1960er und 1970er Jahre stellt sich die Frage, wie diese „am Leben erhalten“ werden können, wie man sie in unsrer Zeit „wiederholen“ kann. Das große Problem ist dabei die Rekontextualisierung, d.h. die Verknüpfung der Wiederholung mit der einstigen Atmosphäre. Einen diesbezüglich recht ungewöhnlichen Weg hat jüngst Rirkrit Tiravanija beschritten. Bekannt wurde der thailändische Künstler Rirkrit Tiravanija (*1961) vor allem in den 90er Jahren durch seine Koch- und Essensaktionen. Mittlerweile hat er sein Spektrum fluxusartig erweitert. In der Wiener Galerie Martin Janda zeigt er nun Interpretationen zweier Werke des slowakischen Künstlers Júlìus Koller (1936-2007). Seine Ausstellung, die in ähnlicher Form bereits in der Galerie Kurimanzutto in Mexiko gezeigt wurde, ist sowohl eine Hommage an einen großen Bruder im Geiste (performativ und partizipativ), als auch dessen spezielle Wiederbelebung. Den besonderen Zugang benennt bereits der Ausstellungstitel: „U.F.O. –NAUT JK (Júlìus Koller) orchestrated by Rirkit Tiravanija“. Das besondere Wort ist „orchestrated“. „Orchestrieren“ ist ein Begriff, der üblicherweise in der Musik beheimatet ist. Mit „Orchestrierung“ wird die Verteilung der Stimmen einer Komposition auf die unterschiedlichen Instrumente bezeichnet. Sie prägt damit die „Klangfarbe“ der Komposition. Ein ähnlicher Begriff ist das Arrangement, der vor allem im Jazz große Bedeutung verlangte. In der zeitgenössischen Popmusik forcierte sich das Verfahren schließlich zum „Remix“. Was aber kann damit im Bereich der bildenden Kunst gemeint sein? Konkret stehen in der Galerie vier herkömmliche Tischtennisplatten samt Netz, Schläger und Ball, auf denen die Besucher spielen können. Zusätzlich ist auf die Tische per Siebdruck der Schriftzug „MORGEN IST DIE FRAGE“ in großen lila Lettern aufgebracht, sowie ein weißes Fragezeichen auf jedem der Schläger. Daneben an der Wand hängt ein großes aufkaschiertes Foto des Wiener Stephansplatzes, das zeigt, wie sich vor dem Dom eine rund hundertköpfige Menschenmenge zu einem Fragezeichen formiert. Beide Werke Tiravanijas sind Aktualisierungen von Projekten Kollers aus den 1970er Jahren: Die Tischtennisplatten beziehen sich auf die fiktive Ping Pong Society, die Koller 1970 in Bratislava für die Dauer eines Monats gründete. Anstelle einer Ausstellung waren die Besucher damals zum Ping-Pong-Spiel und kommunikativen Austausch geladen. Auch in späteren Jahren tauchen Tischtennisschläger oder –platten immer wieder Kollers Fotografien und Fotomontagen auf. Sie werden bei ihm zur Hauptmetapher. Das aus Menschen geformte Fragezeichen wiederum bezieht sich auf eine Fotografie aus dem Jahr 1978, auf der das Fragezeichen von Koller und einer Gruppe Kinder gebildet wird. Alle sitzen dabei am Hang eines Grashügels. Betitelt ist das Werk mit Univerzálny Futorologicky Otáznik (U.F.O.) – das Fragezeichen und die UFO-Kunde bildeten Kollers wichtigste Symbole für die anvisierte Subversion. Erhellend sind nun aber vor allem die Differenzen, die Tirivanijas „Orchestrierung“ mit sich bringen. Im Unterschied zu einem „Kurator“, der die historischen Werke Kollers neu kombiniert aber „werktreu“ ausstellen würde, hat Tirivanija diese „übersetzt“: Bei Untitled (Remember JK, Universal Futurological Question Mark U. F. O.) , 2013wurde aus einem kleinen schwarz/weiss-Foto (48,5 x 48,5 cm) ein farbiger Pigmentdruck im Format 251 x 200 cm, und motivisch mutierte ein Schulausflug in die Natur zu einer Erwachsenenaktion in der Stadt. Bei Untitled (MORGEN IST DIE FRAGE), 2012 wiederum stehen zwar immer noch Tischtennistische zum Spielen bereit, aber durch den Schrift-Aufdruck wirken die Platten zugleich wie zeitgenössische Buchcover (eine Kreuzung aus Suhrkamp- und Nautilus-Design), und das anvisierte Publikum verschob sich von einem privaten Zirkel in Richtung Allgemeinheit. Ob Tirivanijas Zugriff damit den ursprünglichen Intentionen der Werke gerecht wird, ist schwer zu sagen. Festhalten lässt sich, dass keine Rekontextualisierung in die historische Atmosphäre der Entstehungszeit unternommen wurde. Auch von einer kunsthistorischen Aufarbeitung oder Erläuterung ist Tirivanija weit entfernt. Im Gegenteil, es verschwimmt sogar, welchem „Autor“ die ausgestellten Dinge nun eigentlich zuzuordnen seien. Ich jedenfalls spürte durch Tirivanijas gestalterische Aktualisierungen weit eher unsere ästhetische Gegenwart als eine „künstlerische Handschrift“ – wessen auch immer. Ähnlich anonymisierend wirkte auf mich die offensichtliche Verehrung, die Tirivanija seinem älteren Kollegen zukommen ließ: Sie entlastete mich davon, meinerseits Júlìus Kollers historischen Taten und Werken gegenüber in nostalgische Verehrungswut zu fallen. In gewissem Sinne macht erst solch ein entindividualisierender Remix das partizipative Potenzial der ursprünglichen Werkideen wieder frei – bereit für den Dancefloor. (1) Vgl. „Rekonstruktionen
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