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Im Hafen der Proportionen

Als Hermann Heller seinen anatomischen Handatlas für Künstler erarbeitete, lag die Entdeckung der Röntgenstrahlen nur wenige Jahre zurück. Dennoch nutzte Heller nicht einmal die herkömmliche Fotografie. Zu sehr war der Anatom Künstler: 1866 geboren, studierte er an der Wiener Kunstakademie bei Griepenkerl und Eisenmenger Malerei. Das parallel betriebene Medizinstudium finanzierte die k.u.k. Marine und verpflichtete ihn im Gegenzug zu einem mehrjährigen Dienst als Korvettenarzt. Heller bereiste so die Meere der Monarchie, die er immer wieder in stimmungsrealistischen Zeichnungen festhielt. Es folgten ein drittes Studium der Bildhauerei und Lehraufträge für Anatomie an der Wiener Kunstgewerbeschule, der Technischen Hochschule und der Akademie, wo Oskar Kokoschka sein berühmtester Schüler war. Der anatomische Handatlas war die Essenz seiner Lehrtätigkeit, deren positivistischer Ansatz eine ganze Generation von Wiener Studenten prägte. In detaillierten Kohlezeichnungen zeigt er Stellungen des meist männlichen Körpers und entsprechende Analysen des Muskelgewebes, manchmal auch des Knochenbaus. Im Sinne einer internationalen Verwendbarkeit sind sie lateinisch beschriftet. Darin und auch in den antikischen Posen des im Streiflicht die Gliedmaßen drehenden und beugenden, Speere, Kugeln und Klötze tragenden Modells treffen sie sich mit dem vitruvianischen Ideal harmonischer Proportionalität: Ein Hafen der logischen Erkenntnis und eines klassischen Menschenbildes in Zeiten der exzessiven Flächenkunst und wie alle Proportionstheorie \"Ausdruck einer prästabilierten Harmonie zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos\", so der in der Einführung zitierte Erwin Panofsky. Fast philosophisch mutet die Tafel mit zwei einander umklammernden Paaren, zwei kämpfenden Männern und einem Liebespaar, an. Die lateinische Beschriftung klärt auf: \"Zur Erhaltung des Lebens\" das eine, das andere \"Zur Erhaltung des Men-schengeschlechts\". Modelle der Künstleranatomie von Hermann Heller. Hg. Kurt Straznicky. Wien/Bozen: Folio, 2001
Mehr Texte von Iris Meder †

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