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Kulturalisierung und Moderne

Möglicherweise war meine letzte Causerie missverständlich formuliert, andererseits: So viele Reaktionen, wie auf diesen Text, hatte ich selten! Thema war das Verhältnis von „Geschichte“ und „Moderne“. Anlass war die laufende Rekonstruktion eines mittelalterlichen Stadtviertels im Zentrum von Frankfurt am Main. (1) Die Kommentatoren bescheinigten mir dazu vor allem ein fehlendes Mitgefühl mit Deutschland und seiner tristen Nachkriegsarchitektur, Zitat: „für jmd., der aus einem Land kommt, dessen Städte nicht ausgebombt wurden, ist es ein Leichtes zu behaupten, man müsse gefälligst den status quo anerkennen." Nun freut es mich natürlich, quasi als „ein glücklicher Österreicher“ eingeschätzt zu werden, aber widersprechen muss ich dennoch. Vor allem, weil die falsche Zuschreibung so jämmerlich auf die Opferkarte setzt. Zudem bin ich Rekonstruktionen gegenüber durchaus positiv eingestellt! Als ich noch in Hildesheim studierte, war die dortige Wiederherstellung des Rathausplatzes (1987-89) eindeutig eine städtebauliche Verbesserung. Auch wenn größtenteils nur die Fachwerk-Fassaden rekonstruiert wurden, so ersetzten sie doch einen windigen Parkplatz durch eine „gute Stube“. Noch interessanter empfand ich allerdings, dass es nicht die erste Rekonstruktion in der Stadt war. Schon beim direkten Wiederaufbau nach dem Krieg versuchte man in Hildesheim formal an die Gestalt der alten Fachwerkstadt anzuknüpfen. Nur eben mit modernen Mitteln. (2) Ähnlich wie bei der ersten Aufbauphase am Frankfurter Römer (1950-55) und später beim Berliner Nicolaiviertel (1981-87) setzte man dabei auf Purifizierung und verwendete industrielle Verfahren wie Betonfachwerk. Die offizielle Erklärung der DDR für das späte Berliner Bauvorhaben war entsprechend lange auch im Westen die gängige Doktrin: „Der in Bauten manifestierte ‚Reichtum an materiellen und geistigen Werten’ müsse zu den Aufgaben ‚unserer revolutionären Gegenwart in eine lebendige Beziehung gesetzt werden’, um so als ‚Ausdruck unseres positiven Verhältnisses zu den humanistischen Traditionen unserer Geschichte’ Zeugnis abzulegen.“(3) Trotz forcierter Modernität („Auferstanden aus Ruinen und der Zukunft zugewandt...“) wollte man sich also ebenso auf die lokale Geschichte, gute Traditionen und alte Werte beziehen. Dem Kult der Erinnerung war damit eigentlich immer genüge getan. Doch irgendwann reichten abstrakte Werte und der distanzierte Nachvollzug von Geschichte nicht mehr. Im Zuge der allgemeinen Kulturalisierung der Städte wurde die sinnlich-affektive Wahrnehmung immer wichtiger. Die Stadt wandelte sich von einem primär funktionalen hin zu einem ästhetischen Gebilde, in dem man nach „urbanen Erfahrungen“ sucht. Entsprechend zentral wurden in ihr Dichte und Vielfalt, suchte man in ihr nach taktilen, olfaktorischen, auditiven und visuellen Ebenen. Mittlerweile ist der „touristische Blick“ auf die Stadt (auf die fremde und die eigene) generalisiert. In den neuesten Stadt-Rekonstruktionen – wie eben auch jener von Frankfurt am Main – geht es daher weniger um das Anknüpfen an eine verklärte Vergangenheit oder um die Abkehr von der Moderne, als darum, die Stadt reizvoll und kontrastreich zu machen. (4) Es passt daher perfekt, dass das neu-mittelalterliche Stadtviertel Frankfurts einerseits genau neben den Hochhäusern des Bankenviertels und andererseits genau zwischen zwei postmodernen Ausstellungshäusern errichtet wird: zwischen dem Museum Moderner Kunst (Arch. Hollein, 1991 eröffnet) und der Schirn (Arch. Bangert, Jansen, Scholz, Schultes, 1986 eröffnet). Da finden die verschiedenen Formen des Spektakels ideal zusammen. Möglicherweise werden die zukünftigen mittelalterlichen Straßenzüge auch genau so ein Environment werden, wie es das berühmte „Bedroom Ensemble“ von Claes Oldenburg im MMK bereits vorführt. (1) www.artmagazine.cc/content66742.html (2) Vgl. Hügel/Weh (Hg.), „ist im traditionalistischen Sinne wieder aufzubauen!“. Architektur in Hildesheim, die 50er Jahre. Hildesheim 1993. (3) Zitiert nach Nerdinger (Hg.), Geschichte der Rekonstruktion. Konstruktion der Geschichte. München 2010. (4) Vgl. Reckwitz, Die Erfindung der Kreativität. Zum Prozess gesellschaftlicher Ästhetisierung. Berlin 2012.
Mehr Texte von Vitus Weh

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