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Ragnar Kjartansson - The Visitors: Auf den Wogen der Melancholie

Der Frühling schwingt sich zu seinen ersten warmen Tagen auf. Zeit den Schmerz der Einsamkeit zu fühlen. Zeit dem Verlust nachzutrauern durch Sublimation in der Kunst. Manchen fließen tatsächlich Tränen über die Wangen. Doch es ist ein anderer Effekt: die Suggestion durch Unmittelbarkeit bei gleichzeitiger Wahlmöglichkeit des greifbar nahen Gegenübers. Eine hypnotische Situation: neun Großbildvideos in zwei Sälen vermitteln den Eindruck, direkt hineinsteigen zu können in diese Bilder jeweils im Format einer Kinoleinwand. Auf allen ist fast durchwegs und kontinuierlich jeweils eine Person zu sehen, one singer playing one instrument, playing one song. Sometimes here, sometimes there. Der Ton wird einmal da, einmal dort stärker aufgeblendet, was dazu animiert, auf und ab zu gehen. Relaxed die gesamte Atmosphäre in den einzelnen Räumen der verfallenen Rokeby Farm im dekandenten Kolonialstil mit dem Flair der Verwahrlosung in Upstate New York. Salon, Küche, Badezimmer, Veranda. Pro Bildprojektion, pro Zimmer eine Person, ein Musiker oder eine Musikerin. Das ist wieder eines der spatialen Sound-Konzepte des Isländers Ragnar Kjartansson. Elegisch vorgetragen. Ein kinematografisches Tableau projiziert in neuen Sequenzen jeweils gleichzeitig in den beiden großen Sälen des Atelier Augarten. Musikalischer Hintergrund ist nicht allein die Verehrung, die Kjartansson der musikalisch elitären Mainstream-Pop-Band ABBA entgegenbringt. Nein, wieder das Konstrukt einer persönlichen, biografischen Geschichte: Die repetitiv wiederholten Songzeilen basieren auf der Vertonung des Gedichts ''Feminine Ways'', verfasst von Kjartanssons ehemaliger Partnerin Ásdís Sif Gunnarsdóttir. Eine musikalische Feier des Femininen durchtränkt von Melancholie ob des Verlusts. Wie so oft bei diesem Künstler, der seinen Weg, seine Suche, nach dem einem Musikstück, nach einem wahren Song, in dem sich die Widersprüche des Lebens auflösen in der hohen Kunst des poetischen Liedes, so authentisch lebt, dass sich Funken von Glaubwürdigkeit und Authentizität übertragen, wird der Versuch, den Blues fortzuführen zur Idiosynkrasie. Mit Erfolg: In seinem Film mit und über Pinetop Perkins ''The Man'' (2010) oder seiner mehrteiligen Video-Arbeit ''The End – Rocky Mountains'' (2009), die auf der Biennale Venedig 2009 und dann ebenfalls in Wien bei Thyssen-Bornemisza Art Contemporary zu sehen war, bewies Ragnar Kjartansson, der aus einer isländischen Schauspielerfamilie kommt, wie genial er Narrative persönlicher Mythologie, Momente aus der populären Musikgeschichte und aktuelle, mediale Kunst zu verschneiden vermag. Seine nun präsente Arbeit "The Visitors" (2012) ist bereits im MIGROS Museum in Zürich und bei Luhring Augustine in New York mit Begeisterung aufgenommen worden. In Wien funktionierte auch der Eröffnungsauftritt Kjartanssons gemeinsam mit den Sängerknaben – der so skurril gar nicht war, weil der traditionsreiche Knabenchor immer wieder an zeitgenössischen Produktionen mitwirkt. Wichtig scheint jedoch ein konzeptueller Gedanke, der laut Kjartansson auf der Beobachtung beruht, dass erstens Rock’n Roll und zweitens – später – Feminismus in der westlichen Welt zentrale Narrative des 20. Jahrhunderts waren und beide sich in den Momenten "Befreiung" und "Sex" (unter jeweils unterschiedlichen Vorzeichen) berühren. Und hier beginnt hier wieder eine der berühmten bodenlosen Spiralen, in die Kjartansson uns führt, was sich wiederum in seinen spatialen, also räumlichen Repräsentationsformen von Sound steigert (im Extrem in der BAWAG Foundation 2011). Denn auch in der suggestiven Präsenz mehrerer MusikerInnen gleichzeitig, bleiben diese zunächst Vereinzelte in jeweils einzelnen Räumen. Worüber also Weinen? Vielleicht über das drängende Wohlgefühl, dass uns selbst in Zeiten konzeptuell wesentlich strengerer Kunstformen auch das große Erzählerische und der Pop-Song berühren darf und selbst die Postmoderne Formen bereit hält, die so tun, als gäbe es noch das große Ganze, obwohl sie unentwegt den Verlust thematisieren. Hingehen, Hand in Hand!
Mehr Texte von Roland Schöny

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Ragnar Kjartansson - The Visitors
08.03 - 16.06.2013

TBA21 Augarten
1020 Wien, Scherzergasse 1A
Tel: +43 1 513 98 56 – 24
Email: exhibitions@TBA21.org
http://www.TBA21.org
Öffnungszeiten: Di-So 12 - 19 h


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