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Gauguin und die Reise ins Exotische: Paradiessuchtsucher

War am Ende alles nur ein Schlager, eine Südsee-Schnulze ? „Rupe, Rupe“ (‘ O wunderbares Land !’) hieß ein Lied, das um 1900 auf den Südsee-Inseln die Schönheit des Landes pries. „Ruperupe“ nannte Paul Gauguin 1899 sein großformatiges Gemälde. ‘Ruperupe’- Man darf eintreten in einen visuellen Paradies-Traum im Breitwandformat, die wohl bekannteste Variation über ein Gauguin-Thema: Insulanerinnen pflücken Früchte, halten Blüten, verharren in choreografischen Bewegungen. Lange vor Franz Marc, der menschenbereinigte, zivilisationskritische Gegen-Tierwelten ersann, verschmilzt der Mensch hier zum letzten melancholischen Mal mit der milden Wildheit der Natur. All dies vollzieht sich in einem Umfeld nahezu autonomisierter Farben: ein gelb glühender Flächen-Hintergrund, darauf türkisgrüne organische Tupfen, grünes Changieren in ausströmenden Farblachen. Reine Farbe wird zu reinem Symbol. Die kunsthistorische Botschaft des, neben Cezanne und van Gogh, dritten ‘Vaters der Moderne’, ist deutlich: Auf den Fauvismus, besonders auf die Dresdner ‘Brücke’-Expressionisten in Moritzburg, jenem ‘Sächsischen Tahiti’, nahm Gauguin immensen Einfluss. Der Madrider Besucher des Museo Thyssen-Bornemisza kann derzeit, zurückhaltend didaktisch an die Hand genommen, nicht nur über die Moderne-Gestade der Gauguin-Inseln weite Blicke schweifen lassen. So etwa auch auf die farbentfesselte Exoten-Nacktheit und Palmen-Sehnsüchte eines Nolde, Schmidt-Rottluff, Pechstein oder Kirchner - und sehr, sehr vieler anderer. Was für den Besucher, abseits von Gauguin, ein fast schon unverdaubares Mehr an Namen und Spitzenkunst bedeutet und im heutigen Ausstellungszirkus „Blockbuster“ meint. Das gesamte Exotismus-Register der Moderne wird zum Klingen gebracht, nicht immer symphonisch, zumindest rauschhaft, grell und laut und fraglos überbesetzt. Das alles reicht bis zu Matisse’„Garten von Issy“ (1917), bereits brutalistisch hart durchpflügt und fast vollständig Richtung Abstraktion verabschiedet. Selbst Sonja Delaunays’ „Großer Flamenco – Gesang“ (1916) und Monets’ „Tal von Sasso“ werden exotisch getaktet – zum blogbuster gesellt sich das name-droping. Das anfangs erwähnte Gauguin-Schlüsselwerk „Ruperupe“ wird leider nur im Madrider Katalog diskutiert, ist nicht bildhaftig aus dem russischen Puschkin-Museum angereist. Für Paul Gauguin, den kurzzeitigen Lebensbegleiter Van Goghs, der 1891 erstmals aus zivilisatorischem Lebensüberdruss, kommerzieller Not und künstlerischer Erfolglosigkeit in die Südsee geflohen war, sind die Südsee-Gefilde bereits zu Lebzeiten ein ‘Paradis perdu’, ein verlorenes Paradies. Nicht zuletzt um Entmythologisierung, trotz atemberaubender Harmonie-Kulissen, aber auch um die Suche der Kunst und schlechthin eines jeden von uns nach Paradiesen geht es in der Madrider Ausstellung: „Gauguin und die Reise in die exotische Welt“. Der 1848 in Paris Geborene starb 1903 auf der Marquesas-Insel Hiva Oa, zerstört von der Syphilis und total desillusioniert nach einem Selbstmordversuch: Magisch-exotische Bild-Gegenwelten eines Aussteigers und Karrieresüchtigen: Kunst und Leben in äußerster Zuspitzung. Der malerische Reise-Ertrag brachte in Paris nicht den erhofften kommerziellen Erfolg und führte 1895 zur endgültigen Ausreise-Flucht in die Südsee. Keine Frage, auch Gauguin strickte weiter an Mythos und Klischee, was nicht zuletzt auch unser heutiges Südsee-Verständnis immer noch prägt. Mit visuellem Gespür für die menschliche Paradies-Such-Sucht beginnt der Ausstellungsweg in einer Art paradiesischem Aufwärmraum: Delacroixs’ „Frauen von Algier“ (1849) sollen - mehr oder weniger gelungen - in schwüler Serail-Atmosphäre auf’s Gauguin-Tahiti einstimmen. Was folgt, ist Welt-Flucht in geradezu hypnotisierenden Traum-Bild-Sequenzen, in der die Farbe immer stärker zur Droge wird, zum Objekt auch unserer visuellen Begierden. Immer neue Farbsysteme scheinen erprobt zu werden, allerdings intuitiv, rauschhaft, eben vor-bauhäuslerisch. In fast identischen Formaten werden etwa zwei identische Paare, einmal unter dem Titel „Frauen am Strand“, dann betitelt mit „Parau api“ (Gibt’s was Neues ?), farblich neu eingekleidet : Grün-Rot-Blau-Gelb konkurriert mit dem kühneren Rot-Violett/Rosa-Gelb-Grün. Unter dem Kapitel „Der Mond des Südens“ vereint die Madrider Ausstellung Kandinskys’ „Improvisation 6 (afrikanisch)“ (1909), die Tunisreise-Aquarelle Klees’, Mackes’ und Moilliets’. Badende von Heckel, Pechstein, Otto Mueller und Ernst Ludwig Kirchner, umspielt von nackten Liegenden in unschuldiger Natur. Natürlich Franz Marc, der vielleicht die tiefste Seelenverwandtschaft mit dem Tahiti-Gauguin birgt. Dazwischen immer wieder die Gauguin-Korrespondenzen in allen erdenklichen bildnerischen Techniken: ein Moderne-Vater für Dresdner und Berliner Vatermörder, sicherlich, ebenso aber auch immer noch Scharnier für die Tür zum 19.Jahrhundert. Nicht weit davon versucht sich Nolde, wohl vom afrikanischen Primitivismus zusätzlich angefeuert, an einer latent ethnologischen Porträtgalerie ungelenker, fast karikierter Südseegesichter. Dann wieder das Wechselbad Richtung Highend-Kunst: Henri Rousseaus’ Tropische Landschaft“ (1910), bestimmt vom „Kampf eines amerikanischen Indianers mit einem Gorilla“. Allein die zoologische Verortung ist Naivismus pur - wie manches, gewollt oder ungewollt, in dieser Ausstellung. Ein Paradies visueller Begierden bleibt sie allemal. Selbst Goethe wird mit einem Palmen-Zitat aus den „Wahlverwandtschaften“ in Erinnerung gebracht, in dem sinngemäß die Rede ist von Palmen als Assoziationskette für „Länder, wo Tiger und Elefanten zu Hause sind“. Den multimedialen Schlussakkord bildet eine dramatisch zugespitzte Tanz-Sequenz aus Friedrich Wilhelm Murnaus letztem Filmwerk, dem Stummfilm „Tabu“ (1931). Das oscarprämierte Südsee-Epos lässt die letzten Paradiese und den Untergang einer naturritualisierten Welt mit dem Unverständnis und Taktieren einer neuen politischen Zeit kollidieren. Welt-Verbesserungs-Willen praktizierte Gauguin hingegen nur kurz in einigen administrativen Scharmützeln vor Ort: Die französische Kolonialobrigkeit hatte längst alle Ursprünglichkeit der Bevölkerung niederverwaltet. Die Unschuldigkeit auf den Gefilden der Seligen war gegen das schlechte Gewissen christlicher Missionierung ausgewechselt worden. Mal kooperierte Gauguin mit Verwaltung und Kirche, mal rief er zu Revolution auf - nicht selten den eigenen Vorteil im zynischen Kalkül. Dazu ‘hielt er sich’ immer wieder wechselnde „Vahinas“, junge, oft nur 15jährige Mädchen, die er „bei-leibe “ nicht nur malte. Nicht alles ist sympathisch an Gauguin, schon gar nicht aus unserer tagesaktuellen Kindesmissbrauchs-Perspektive. Was bleibt, ist die Hoffnung aufs Paradies.
Mehr Texte von Roland Groß

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Gauguin und die Reise ins Exotische
09.10.2012 - 13.01.2013

Museo Thyssen-Bornemisza
28014 Madrid, Palacio de Villahermosa Paseo del Prado, 8.
Tel: +34 (0)91 369 01 51, Fax: +34 (0)91 420 27 80
Email: mtb@museothyssen.org
http://www.museothyssen.org/


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Sehr guter Artikel & Kommentar
PD Dr. M. Igel | 21.12.2012 07:40 | antworten
Sehr guter Artikel & Kommetar von Herrn Roland Groß.

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