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Mel Bochner - Wenn sich die Farbe ändert: Philsophischer Fotokopierer

Faustdicke, verschiedenfarbige Glassteine liegen im Münchner Haus der Kunst auf dem Boden. Talmi, der vorgaukelt, wertvoll zu sein und doch an Abfall, an Schlacke aus industrieller Kitsch-Großproduktion erinnert. Die Anordnung der Brocken zitiert ein berühmtes Vorbild aus der Geschichte der Geometrie, das sich im Titel der Arbeit des amerikanischen Künstlers Mel Bochner spiegelt: "Meditation on the Theorem of Pythagoras". Das Dreieck, um das es geht, ist mit Kreide auf den Boden gezeichnet. Die Urfassung ist 1972 entstanden; 38 Jahre später aktualisierte sie der 1940 geborene Bochner. Jetzt kann sie in einer umfangreichen Werkschau, die bis 23. Juni zu sehen ist, und viele derartige Aktualisierungen präsentiert, gedeutet werden. Denn mit der bloßen Anschauung kommt man bei diesem analytischen Künstler-Philosophen nicht davon. Den Titel der Schau mit 36 Werkkomplexen aus allen Schaffensperioden entlehnten die Kuratoren Achim Borchardt-Hume von der Tate Modern, London, und Ulrich Wilmes, Haus der Kunst, einem Gemälde Bochners: "If The Color Changes #4" entstand 1998 mit Öl- und Acrylfarben auf Leinwand. Es ist ein komplexes Statement über die Wahrnehmung. Ein Zitat von Ludwig Wittgenstein über die Farbe schrieb der Künstler, der der Konzeptkunst zugerechnet wird, in Versalien auf Englisch, und dahinter liegend die deutsche Fassung. Die Lettern sind in unterschiedlichen, kräftigen Tönen gemalt. Auf den ersten Blick fließen sie ineinander. Es bedarf der Konzentration, um den Satz überhaupt lesen zu können. Wie ist also das Verhältnis zwischen Bild und Schrift? Was ist Kunst? Etwa die vier Ringbücher ganz zu Anfang der Ausstellung? Die sind zwar nicht miteinander im strengen Sinne identisch, jedoch zeigen sie alle Fotokopien. "Working Drawings and other Visible Things on Paper Not Necessarily Meant to be Viewed as Art" (1966). In den Ringbüchern, die wie Ausstellungskataloge aufgemacht sind, finden sich berühmte Künstler der damaligen Zeit wie Carl Andre, Dan Flavin, Eva Hesse oder Donald Judd: in Kopie die Skizzen und Gedanken dieser Kollegen. Doch man stockt, wenn man nicht nur Ausschnitte einer Partitur von Karlheinz Stockhausen sieht, sondern gleichfalls den Querschnitt durch einen Fotokopierer. Kein Wunder, dass die Künstlerliste auf der ersten Seite mit dem Firmennamen Xerox endet. Mit dem präzisen Titel erlaubt es nämlich die Fragestellung nach seinem Status: Ist die Kompilation der Vorlagen ein eigenständiges Werk? Hat sich Bochner die Arbeiten der anderen bloß angeeignet? Ist es Dokumentation? Heute sind die Fragen, die eine solche Sammlung aufwirft bereits durch die Theorie eingeholt. Doch für die damalige Zeit ist die es eine intellektuelle Sensation. Das ist vielleicht das einende Prinzip im Schaffen von Mel Bochner: Er überlagert und kreuzt verschiedene, vielleicht in der Einzelbetrachtung simple Strukturen oder Systeme miteinander, dass eine Komplexität entsteht, die eine gewisse Unüberschaubarkeit zur Folge hat, und genau diese ist es, um die es geht. Kein Wunder, wenn er von einem seiner Stücke sagt, man könne die Ironie eher sehen, denn beschreiben. Das sind keine Rätsel, die sich einfach auflösen, sobald der Schlüssel gefunden ist. In der Regel stellen sie auch keine Handlungshilfen dar, wie Kunst zu betrachten sei. Dennoch operieren sie mit ästhetischen Kernproblemen. Beim "Pythagoras" sind es neben dem Zitat die Anordnung der Steine, die herausfordert. Sind sie geordnet? In welchem Bezug stehen sie zu den Farben und zum pythagoreischen Gesetz? Dieses Dickicht lichtet sich allerdings nicht so schnell.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Mel Bochner - Wenn sich die Farbe ändert
07.03 - 23.06.2013

Haus der Kunst München
80538 München, Prinzregentenstrasse 1
Tel: +49 (0)89 21127-113, Fax: +49 (0)89 21127-157
Email: mail@hausderkunst.de
http://www.hausderkunst.de/
Öffnungszeiten: Mo – So 10.00 – 20.00, Do 10.00 – 22.00


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