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Zeichen, Gefangen im Wunder - Auf der Suche nach Istanbul heute: Ästhetischer Kosmopolitismus

Es war an der Zeit, den Blick endlich einmal Richtung Türkei zu wenden. Auch der Grundgedanke wirkt auf Anhieb plausibel. Anstatt das Modell nationaler Kunstproduktion zu pflegen, steht die überbordende Megacity und aufstrebende Kunststadt Istanbul im Mittelpunkt. Schließlich ist die 14-Millionen Metropole als Schnittfeld unterschiedlicher Ökonomien mit Einwanderungsströmen aus Georgien, der Ukraine und natürlich der anatolischen Türkei selbst in wenigen Jahrzehnten zur Global City angewachsen und kulturell dementsprechend aufregend. Zumindest ihrem Konzept nach versucht die Ausstellung daher, kursierende Narrative aufzugreifen, aus denen sich Bilder über die gesellschaftliche Realität Istanbuls konstituieren. Naheliegend also, dass sogar KünstlerInnen, die überhaupt nicht aus der Türkei kommen – wie Lukas Düwenhöger (*1956 D), Olaf Nicolai (*1966, DDR) oder der in Berlin lebende und aus Apulien stammende Mario Rizzi (*1962 IT) – beteiligt sind. Beispielsweise hat Rizzis dokumentarisch wirkendes Video ''Murat ve Ismail'' (2006) den Sprung zwischen den Generationen im Mikrokosmos der Stadt zum Thema. Der Film begleitet einen älteren Mann und dessen Sohn, die beide eine Schuhmacherwerkstatt im westlich geprägten Szeneviertel Beyoğlu betreiben. Nach und nach verschwimmen dann die Grenzen in Richtung Seifenoper. So dicht an die Gegenwart Istanbuls angebunden sind aber nur wenige Werke. Letztlich handelt es sich doch mehr um eine Überblicksausstellung mit aktueller, türkischer Kunst. Dass deren Zentrum natürlich im internationalisierten Istanbul liegt, steht auf einem anderen Blatt. Den Schwerpunkt der Auswahl machen kritische Positionen aus. In einer Abfolge witzig, ironischer Bilder – gemacht wie die Comic-Version von ''1001 Nacht'' oder wie Mogul-Miniaturmalerei – nimmt die Videoanimation ''Ibretnüma/Exemplary'' (2009) der feministischen Künstlerin CANAN Şenol (*1970, Istanbul) diverse patriarchalische Zuschreibungen und Stereotypisierungen der türkischen Frau aufs Korn. Großartig und fesselnd! Im Video ''Soyunma/Ausziehen'' von Nilbar Güreş (*1976, Istanbul) wiederum müht sich eine Frau endlos mit diversen Stoffbahnen rund um ihren Kopf ab, ohne jemals ihr Gesicht – als individuellen Ausdruck ihrer Persönlichkeit– ganz freizulegen. Spezifische Bezugnahmen auf Istanbul aber bleiben spärlich. Da wie dort. Auch der Fokus des in Amsterdam lebenden Emre Hüner (*1977, Istanbul) reicht weit über Istanbul hinaus. Seine raumgreifende Arbeit ''A Little Larger Than the Entire Universe'' (2012) besteht aus diversen Schein-Relikten wie Keramiken mit historischer Anmutung bis hin zu Objekten mit Bezügen zum NASA-Space-Shuttle-Programm. Damit stellt Hüner allgemeine Fragen nach kultureller Konstruktion und Erinnerung. Dass schließlich Cevdet Erek (*1974, Istanbul), dessen Werke gewöhnlich auf Sound, Rhythmus oder Architektur aufbauen, eine minimalistische in-situ Installation (''Re-Illuminationen'', 2013) realisiert hat, für die er die Dachfenstersegmente im Oberlichtsaal des MAK gestalterisch einbezog, zeigt wie weit hier die Vorstellungen von ''Istanbul'' gefasst wurden. Während der etwas mystagogische Ausstellungstitel also auf orientalistische Projektionen anspielt, bleibt die Auseinandersetzung mit der Mega-City am Bosporus auf der Ebene von Gesellschaft, Kultur und Geschichte sehr zurückhaltend. KünstlerInnen, die sich in einigen ihrer Werke tatsächlich konkret auf Istanbul beziehen, wie Gülsün Karamustafa, hat man keinen Platz eingeräumt. Streng betrachtet handelt es sich um ein Hybrid. Zum einen reflektiert die Ausstellung die Unbrauchbarkeit üblicher Ordnungsprinzipien wie ''lebt und arbeitet in ...'', zumal viele der KünstlerInnen längst außerhalb der Türkei leben. Zum anderen gewinnt Istanbul als zentrales Leitmotiv nur sehr vage Konturen. Ähnlich unentschieden wirkt auch der Katalog, dessen Grundgerüst aus großformatigen Abbildungen besteht, während er Werkerläuterungen und KünstlerInnen-Biografien knapp hält. Korrigierend zu den Bezügen auf die sentimentale und historisch rückbezügliche Literatur eines Orhan Pamuk hätte ein Essay über die sozio-ökonomische Struktur Istanbuls, als Global City, das Verständnis wesentlich steigern können. Über die Bedingungen für bildende Kunst hingegen lässt sich einiges erfahren. Im Interview mit Vasif Kortun, Co-Kurator der Istanbul Biennale 2005, der die Bedeutung dieser Biennale sowie die privaten Initiativen zur kulturellen Neuerung durch die Familie Eczac?baş? erläutert. Den Hype junger Kunst vergleicht Kortun mit dem Phänomen der Young British Art – nur mit wesentlich weniger Ertrag verbunden. Trotz latenter Kritikpunkte gelang den KuratorInnen Simon Rees und Bärbel Vischer eine erfrischende und spannende Ausstellung, die ein schwer zu fassendes Thema ernsthaft umkreist und von sehr unterschiedlichen Positionen getragen wird. Inhaltlich knüpft sie an ''Balkan Konsulat: Istanbul'' im Grazer Kunstverein rotor vor zehn Jahren an, ermöglicht aber auch aktuellere Querverbindungen wie zu dem Residency-Projekte mit Güclü Öztekin (*1978 Eskisehir, TR) kürzlich bei Krinzinger-Projekte in Wien. Gerade weil sich diese Ausstellung hinter einem so seltsamen Titel verbirgt, bleibt zu hoffen, dass sie den Diskurs über zeitgenössische Kultur in der Türkei und insbesondere in Istanbul stärkt. Das Potential dazu wäre vorhanden.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Zeichen, Gefangen im Wunder - Auf der Suche nach Istanbul heute
23.01 - 21.04.2013

MAK - Museum für angewandte Kunst
1010 Wien, Stubenring 5
Tel: +43 1 711 36-0, Fax: +43 1 713 10 26
Email: office@mak.at
http://www.mak.at
Öffnungszeiten: Di 10-21, Mi-So 10-18 h


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