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„Ungehindert übers ganze Feld“ – Nächster Halt: Kunsthalle Budapest

Ist es möglich, dass in Ungarn im Jahr 2012 ein 80-jähriger konservativer, in den „nationalen Werten“ engagierter Innenarchitekt, dessen Werdegang nur in einem lokalen Kontext bekannt ist, wirklich als Schlüsselfigur der zeitgenössischen Bildenden Kunst und Kulturpolitik auftreten kann? Aufgrund des in den letzten Tagen veröffentlichten, auf den Status der Műcsarnok (der Kunsthalle Budapest, einer der beiden maßgebendsten Institutionen für die zeitgenössische Kunst in Ungarn) bezogenen Kabinettsbeschlusses heißt es: ja, es ist möglich. Demzufolge kann György Fekete, Leiter der Ungarischen Kunst-Akademie (MMA) in Zukunft besondere Rechte in der Ausstellungspolitik der Budapester Kunsthalle ausüben.

Zu dieser beispiellosen Situation haben verschiedene Prozesse geführt. Die Ungarische Kunst-Akademie (MMA) wurde Anfang der 90er Jahre als Privatstiftung rechts-konservativer Künstler_innen von dem ähnlich konservativen und national gesinnten, im letzten Jahr verstorbenen „organischen“ Architekten Imre Makovecz gegründet, der bis heute zu einer emblematischen Figur geworden ist. Diese Organisation, die sich nahezu 20 Jahre lang diskret und still nur im Hintergrund betätigte, wurde von der aktuellen Regierung mit der einfachen und effektiven Geste in den Vordergrund des Interesses gerückt, dass ihr Status in der neuen Verfassung festgelegt, sogar einbetoniert wurde. Was bedeutet jedoch dieser besondere, sogar mit konstitutionellen Rechten einhergehende Status, der in der bisherigen Geschichte ohne Beispiel ist?

Die Regierung beabsichtigt, dieser begünstigten öffentlichen Einrichtung 2,5 Milliarden (!!!) Forint vom Budget für 2013 zur Verfügung zu stellen, aber da kommt noch die Pikanterie am Rande: niemand weiß, wonach sich ihre Tätigkeit eigentlich richtet. Der als Statement definierte Text auf dem Homepage der zur Zeit aus ca. 200 Mitgliedern (vor allem aus Vertretern der traditionellen Kunstrichtungen) bestehenden Organisation informiert nicht über das Programm oder das Wesen ihrer Tätigkeit, sondern er ist eine explizit politische Stellungnahme für die aktuelle ungarische Regierung (www.mma.hu/allasfoglalas). Statt eigene Pläne zu entwickeln sucht also die öffentliche Einrichtung anderswo Möglichkeiten, „Programme“ zu realisieren – nämlich in der Budapester Kunsthalle.

Die ambitiöse Organisation hat sich für diese Zwecke jedoch nicht nur die Kunsthalle als einzigen Schauplatz ausgesucht. Nach den deutlichen Vorstellungen des Präsidenten-Greises kann die Akademie in die Ernennungen von Leitern anderer zeitgenössischen Kunstinstitutionen und Museen dreinreden und das ist noch nicht alles: in Zukunft soll sogar die Aufsicht über das Förderungssystem in ihren Kompetenzbereich geraten, das bisher von dem damals gerade zu diesem Zweck ins Leben gerufenen Nationalen Kulturfond (NKA) koordiniert wurde. Der vorhin erwähnte, der Ungarischen Kunst-Akademie zugeteilte Betrag in Höhe von 2,5 Milliarden Forint ist einfach abzulehnen, besonders wenn man die gesamte Förderung im Bereich der zeitgenössischen Kultur, also die für die Kunstuniversitäten und für andere unabhängige Kunstvereine zugeteilte Gesamtförderung betrachtet. (Nur zum Vergleich: das Jahresbudget der 1992 gegründeten, als Partnerinstitut der Ungarischen Akademie der Wissenschaftlichen [MTA] funktionierenden Széchenyi-Akademie für Literatur und Kunst beträgt 12,5 Millionen Forint, und die maßgebendsten Institutionen der zeitgenössischen ungarischen Kunst müssen mit einem Budget von ungefähr 270 Millionen Forint pro Jahr auskommen.)

Es erscheint noch problematischer, wenn man bedenkt, dass parallel dazu in der letzten Zeit den bedeutendsten Kunsthochschulen und -Universitäten mehrere 10 Millionen Forint entzogen wurden, wodurch ihre weitere Tätigkeit in Gefahr geriet, dass die den verschiedenen Kunstinstituten in der Hauptstadt und in den anderen Städten versprochenen und sogar in Verträgen festgelegten Förderungen gesperrt wurden, oder dass jetzt wegen dem Geldentzug auch die Situation mehrerer Forschungsinstitute ziemlich aussichtslos wurde. In Hinsicht auf die zeitgenössischen Kunstszene gibt es ein anderes, seit langem bestehendes Problem: der vollständige Mangel sowohl an Konsens und Kommunikation als auch an der Fähigkeit, das gemeinsame Interesse durchsetzen zu können, der viel zu der aktuellen Situation beigetragen hat.

Dies zeigt auch die damalige bittere Erfahrung, dass der in den letzten Tagen zurückgetretene Leiter der im Mittelpunkt des aktuellen Skandals stehenden Kunsthalle vor 2 Jahren aus politischen Gründen ernannt wurde, und obwohl die Szene einig war, dass mit ihm ein beruflich unangemessener Kandidat zu dieser Position kam, ist es doch nicht gelungen, seine Ernennung – und dadurch die Entscheidung selbst – durch eine gemeinsame Plattform zu verhindern. Das ist ein trauriges Beispiel dafür, wie schwach die Kommunikation sowohl innerhalb der Szene als auch darüber hinaus funktioniert. Als Konsequenz kann daraus gezogen werden, dass die ungarische Kunstszene bis jetzt nicht fähig war, adäquate Mittel, Gelegenheiten und Foren für die fachliche Meinungsäußerung zu schaffen. Weder bei den früheren noch den aktuellen Problemen haben sich die Kunstorganisationen das Recht genommen, dass das Ministerium sie als Partner in die vorläufige Abstimmung mit einbezieht. So fällt es der offiziellen Sphäre leicht, die Szene sogar in den sie selbst betreffenden Fragen außer Acht zu lassen. Nicht einmal anhand der nachträglich formulierten Petitionen entstand eine effektive Kommunikation, diese konnte die Reizschwelle der politischen Sphäre einfach nicht erreichen. Man soll sich jedoch keine Illusionen machen: die Machtpolitik des aktuell regierenden Regimes und sein ungehinderter Amoklauf über das ganze Feld, das sich übrigens nicht nur auf die Kultur beschränkt, lassen keinen Zweifel daran, dass eine Kommunikation, die auf Dialogen basiert, hier nur ein Versuch bleiben kann.

Außer dem Ansprechen eines breiteren (und möglichst internationalen) Publikums könnten nur sichtbare und wichtige gemeinsame Aktionen (auf die wir jetzt vielleicht hoffen können) dazu beitragen, dass die Entscheidungsträger und Machtvertreter die zeitgenössische Kunstszene endlich als einen wichtigen Faktor wahrnehmen. Ein Zusammenschluss wäre umso wichtiger, weil das Problem bereits über sich selbst hinaus zeigt: die willkürliche Veränderung des Profils und des Status der Kunsthalle ist nur eine Station, „der nächste Halt“ im Betrieb des Machtmechanismus, was alles systematisch zu seinen Zwecken nützen will.

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