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Andreas Magdanz - Stuttgart Stammheim: Monographie eines Gedächtnisortes

Der Oberregierungsbaudirektor lobte bei der Eröffnung den herrlichen Ausblick auf die Freiheit, die Journaille feixte von „Haftanstalt mit Dachterrasse“, „Hotel für Gangster und Ganoven“. Der Komfort und die Menschlichkeit hinter Gittern wurden gelobt, als 1963 die Justizvollzugsanstalt Stuttgart, als damals modernste ihrer Art eröffnet wurde. Elf Jahre später, landet unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen ein Hubschrauber am Areal, zwei Frauen in Handschellen werden vor den versammelten Medien mit einem Bus in den Hof der Anstalt gebracht. Der Vollzugsbeamte, der die erste der beiden beim Aussteigen mit „Guten Morgen Frau Meinhof“ begrüßt, bekommt als Reaktion einen kräftigen Tritt in den Unterleib. „kafka wird von stammheim um längen geschlagen“ schrieb das ehemalige RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock, der ab 1983 in jener JVA gesessen hatte, „soviel kaputtheit kann sich ein einzelnder gar nicht ausdenken“. Doch da hatte sich der Begriff Stammheim längst in den Köpfen der Deutschen eingeprägt, die Topographie war zum Topos geworden. Stammheim steht heute für die „bleierne Zeit“, den Deutschen Herbst, den Kampf zwischen RAF und BRD, Stammheim selbst als Gebäude allerdings steht bald nicht mehr. Das Gefängnis, wo sich 1976 Ulrike Meinhof und am 18. Oktober 1977, in der Todesnacht von Stammheim, Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe umgebracht haben, soll in Bälde abgerissen werden. Nach „Dienststelle Mariental“, „Auschwitz-Birkenau“, und „BND – Standort Pullach“ hat sich Andreas Magdanz nun wieder eines Ortes Deutscher Geschichte fotografisch angenommen und ihn völlig frei von Emotionen oder dramatischen Inszenierungen, dafür umso penibler und eindrücklich dokumentiert. Für fünf Monate zog der Künstler in einen der tristen Bauten vor den Gefängnismauern, in denen die Justizbeamten leben, durfte den Gebäudekomplex von der Luft aus ablichten, hatte die Erlaubnis, Abend für Abend in der Haftanstalt zu fotografieren. Schritt für Schritt nähert sich Magdanz durch die Gänge und Höfe, durch die Räumlichkeiten des Gefängnisalltages und der Logistik um nach Wochen in der Zelle 719 des siebenten Stocks, dem geschichtsträchtigen Ort, an dem sowohl Meinhof als auch Baader zu Tode gekommen sind. Völlig unspektakulär sind die Fotografien, doch sie leisten es zu vermitteln, was der Künstler in den Räumen empfunden haben mag. Vorwiegend in S/W-Aufnahmen scheint sich die bleierne Zeit in den Räumen zu manifestieren. Wohl ist ein Teil der Arbeiten zur Zeit im Kunstmuseum Stuttgart zu sehen, doch in der hermetischen Abgeschlossenheit einer Publikation funktioniert diese allmähliche Annäherung und Dokumentation des Ortes mitsamt der Grundrisse und Texte, die sich von den historischen Ereignissen allmählich zur konkreten Arbeit von Magdanz zoomen, beinahe noch besser. Nur in einem Punkt möchte man dem Künstler widersprechen. Es gäbe abgesehen von Gerhard Richters RAF-Arbeit, heute im MoMA in New York, „kaum mehr als nichts“ an künstlerischer Reflexion auf das Thema. Tritt man aus dem Kunstmuseum Stuttgart, kaum einen Steinwurf entfernt, einmal über den Schlossplatz, findet sich auf der Terrasse des Württembergischen Kunstvereins Olaf Metzels „Stammheim“. Seit 1984 ist sie dort Installiert, die Kombination aus überdimensionierten Ehrenkranz aus Stahlbeton und einem Grafitti-Schriftzug. -- Publikation Andreas Magdanz Stammheim Hrsg. Andreas Magdanz, Ulrike Groos, Text von Andreas Magdanz u.a. Gestaltung von Andreas Magdanz Hatje Cantz Verlag Deutsch/Englisch 2012. 230 Seiten, 98 schwarz-weiße Abb. 30,80 x 25,80 cm, gebunden ISBN 978-3-7757-3457-8
Mehr Texte von Daniela Gregori

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Andreas Magdanz - Stuttgart Stammheim
17.11.2012 - 24.03.2013

Kunstmuseum Stuttgart
70173 Stuttgart, Kleiner Schlossplatz 1
Tel: +49 (0) 711 – 216 21 88, Fax: +49 (0) 711 – 216 78 20
Email: info@kunstmuseum-stuttgart.de
http://www.kunstmuseum-stuttgart.de
Öffnungszeiten: Di-So: 10-18 Uhr, Fr: 10-21 Uhr, Mo: geschlossen


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