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An der Quelle der rituellen Malerei der australischen Aborigines: Längst fällige Anerkennung

Selbst die Strahlkraft des Paris-Kennzeichens schlechthin – des Eiffelturms - halbiert sich an den zunehmenden nassen Nebeltagen in diesem Herbst: ab der ersten Aussichtsplattform nur noch grauweißes Nichts. Im jetzt fast nicht mehr vorhandenen Schatten des Stahlkolosses an der Seine liegt das 2006 eröffnete „Musée du Quai Branly“, kühn entworfen und rasant illuminiert von Jean Nouvel. Handelt es sich doch hier um eines der ethnologischen Schatzhäuser dieser Welt – wie düster auch immer der kolonialgeschichtliche Hintergrund manches Objekts in derartigen Museen sein mag. Was eine Wechselausstellung derzeit und noch bis Januar 2013 präsentiert, sind wiederum Kennzeichen, allerdings ritueller ästhetischer Natur. Hinzu kommt eine immer noch wenig bekannte Strahlkraft, beheimatet am anderen Ende der Welt. Und im Falle Australiens darf sogar von einem charakteristischem, stolz präsentiertem Nichts gesprochen werden: „We have much nothing!“ hört man es nicht selten, angesichts der leeren Weiten des Kontinents. Oder anders ausgedrückt: nebliges Pariser Nichts tritt derzeit an gegen die geheimen Zeichen aus der Central Desert im Northern Territory. Der Ausstellungsfokus liegt stellvertretend für das Thema „die rituelle Malerei der Aborigines“ auf der 1971 im Ort Papunya gegründeten Tula-Kunstbewegung. Angeregt wurde diese anfängliche Entwicklungshilfe für Nomadenstämme – eine sensible Ausnahme im Verhältnis des weißen Australiens zu den Ureinwohnern – von dem Kunstlehrer Geoffrey Barden. Daraus entwickelte sich, was 200 Gemälde und etwa 70 bemalte Kunstobjekte belegen, unabhängiges Kunstschaffen auf der Basis Jahrtausende alter Formensprache. Die Regenbogenschlange, ein Emu und immer wieder ornamental anmutende weiße Punktsysteme, gemalt von Künstlern wie Johnnny Warangkula Jupurrla, Clifford Possum Tjapaltjarri oder Shorty Lungkata Tjungurrayi. Die Technik: Ocker auf Eukalyptusbaumrinde, Krokodile, Känguruhs, riesige Fledermäuse, dann wieder Mimi-Figuren. Allesamt sind sie in den Farben der Erde, des Landes gemalt: Rotbraun, Ocker, Sandgelb, Staubgrau und natürlich Schwarz. Gelb steht für die Sonne, Rot für die Erde, Schwarz für die Hautfarbe. Die Kunst, deren Bestandteile hier nur in ganz groben Zügen umrissen wird, basiert auf der Herkunft ihrer Farben der Erde des Landes Australien: 'The land is the spirit', das Land ist der Geist, die seelische Grundlage, die alles zusammenhält. Die Menschen, die diese Kunst herstellen, heißen 'Aborigines'. Diese Namensgebung stammt von jenen angelsächsischen weißen Zivilisatoren, die vor 200 Jahren die Ureinwohner Australiens verfolgten und - was für das Weltbild dieser Menschen viel schlimmer ist - von ihrem Land vertrieben. Denn nicht nur von den linear gestreckten Mimifiguren, Geisterwesen der Vorzeit, wurde das Land, der Boden, auf dem die Aborigines leben, erschaffen. Jedes Wasserloch ist ein Zeichen vorzeitlicher Anwesenheit der Ahnen. Berge, Felsen und Ozeane sind Natur, genauer, Welt gewordene Ahnenwesen. The land is the spirit: Natur, Kunst und Leben im Zusammenhang der alltäglichen Existenz. Joseph Beuys war sicher nicht der letzte Vertreter dieses schamanistischen Kunstprinzips. Vertreibung bedeutete für die Aborigines daher Entwurzelung der geistigen Existenz. Bis 1967 wurden die Menschen nicht einmal administrativ registriert. Über die Stückzahlen von Känguruhs und Koalabären pro Quadratkilometer wusste man mehr als über die Wesen mit den breiten backenknochigen Gesichtern, zerzausten Haaren und der schwarz glühenden Haut. Wen interessierte es schon, dass Zahnlücken etwas mit Initiationsriten zu tun hatten? Keine Frage – eine derartige Ausstellung hat auch mit der Komplettierung des Begriffes 'Weltkunst' zu tun und es geht nicht zuletzt an diesem Museumsort auch darum, sogenannte 'Stammeskunst' in die zeitgenössische Entwicklung der Kunst der australischen Aborigines einzubinden. Wie in Europa und Amerika ist auch diese Kunst ständig im Umbruch. Die gesamte Ausstellung sollte daher nicht zuletzt auch als deutliche Kritik an der Steinzeitkultur-Theorie der klassischen Anthropologie und Völkerkunde verstanden werden, die von einem Sozialdarwinismus geprägt ist und in den Kreationen der ersten Australier nichts anderes sieht als eine unterste Kultur-Stufe: gleichsam Steinzeitmenschen von heute. Früheste Kunst-Zeugnisse liefern unzählige Felsbildstellen (bis zu 50 000 Jahre alt) in Nord- und Zentralaustralien, ebenso die rituell geprägten Boden- und vor allem punktartigen Körpermalereien. Schon aus biochemischen Gründen (90 % Luftfeuchtigkeit) ist bei den Rindenmalereien und den geschnitzten, den Totems ähnlichen Wächterfiguren eine Haltbarkeitsdauer von mehr als 100 Jahren kaum möglich. Auch in der europäischen Moderne war diese Kunst, abseits des stark wirksamen Einflusses aus Afrika, der Südsee und Japan, steinzeitliches Niemandsland. Immer wieder taucht bis in die Gegenwart hinein die Regenbogenschlange als Lebensspenderin und Erschafferin des Landes auf. Ihre Windungen haben in dieser eminent topografischen Kunst oft mit realen Flussverläufen zu tun. Die traditionellen Formen der Gegenwartskunst stehen fest in einem in sich geschlossenen mythologischen System Jahrtausende alter Traditionen. Die Punktmalerei ist in der Regel ein durchgehendes Stilmittel. Sonne, Mond und Morgenstern offenbaren die wesentlichen Koordinaten eines Kunst-Natur-Systems. Gemalte Eidechsen oder Känguruhs sind nicht als reine Tierdarstellungen gedacht. Als Symbol für einen Ahnen beschreiben sie vielmehr den lebendigen Teil seiner spirituellen Energie in der Gegenwart. Die in den heutigen Metropolen lebenden Aborigines und deren bereits durch angelsächsische Kunstschulen geprägte Verwandten kombinieren rituelle Tradition und politische Aspekte der australischen Gegenwart – und haben den Kunstmarkt, wenn auch nicht im Sturmlauf, erreicht. Immerhin: Von dem Papunya-Künstler Clifford Possum Tjapaltjarri wurde ein Bild zum Rekordpreis von 2,5 Mio. australischen Dollar vom australischen Staat angekauft, um zu verhindern, dass dieses Kulturgut ins Ausland abwandert. Ein längst fälliger Schritt, denn noch in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war der Mord an einem Ureinwohner mit relativer Straffreiheit verbunden.
Mehr Texte von Roland Groß

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An der Quelle der rituellen Malerei der australischen Aborigines
09.10.2012 - 20.01.2013

Musée du Quai Branly
75007 Paris, 37, quai Branly
Tel: 0033-1 56 61 70 00
http://www.quaibranly.fr
Öffnungszeiten: Di, Mi, So 11-19, Do, Fr, Sa 11-21 h


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