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Angemessenheit und Größe: Michael Asher 1943 - 2012

«Ich würde lieber selbst zahlen, bis wir zu einer Vereinbarung über ein Projekt gekommen sind», sagte der ausnehmend freundliche, bereits damals legendäre Künstler, als ich mich daran machte, im Namen des damaligen Kunstraum Wien die Rechnung für das Mittagessen im alten Glacis Beisl zu übernehmen.(1) Sinngemäß ließ er mich verstehen, dass er vor einer Projektverabredung in keine Abhängigkeiten geraten wolle. Irgendwie schien es auch, als hätte er trotz seiner vielen Fragen noch nicht genügende Informationen, um einschätzen zu können, ob denn das für seine Bewirtung verwendete Geld auch «sauber» genug wäre, um die Einladung annehmen zu können. In einer Stadt, die halb-exzentrisches Machogetue und Prahlerei noch immer gerne mit Einsatz für die Kunst verwechselt, muss immer wieder daran erinnert werden, dass es gerade Bescheidenheit, Klarheit und der angemessene Einsatz von Mitteln sind, in denen sich Größe zeigt. Und es sollte darauf hingewiesen werden dass es eben auch ein Erbe der Kunst ist, die Funktionsweisen ihrer Institutionen zu hinterfragen und ihren Aktvitäten gegenüber kritisch zu sein. Der ruhige Mann aus Los Angeles war einer der Größten und alle diejenigen, die sich seiner wachen «institutionskritischen» Haltung verpflichtet fühlten, haben einen Verlust erlitten: Michael Asher, einer der einflussreichsten Künstler des späten 20. Jahrhunderts, ist am 15. Oktober 2012 in Los Angeles gestorben. Michael Ashers konzeptuelle Eingriffe in die Funktionsweisen von Ausstellungsorten sind in einem solchen Ausmaß zum Standardrepertoire künstlerischer – und auch kuratorischer – Praxis geworden, dass es die Nachrufe braucht, um uns allen in Erinnerung zu rufen, welche Pioniertaten es darstellte, in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren Ausstellungswände leer zu lassen und nur die Stellwandsysteme auszustellen (San Francisco Art Institute, 1969), die Trennwand zwischen dem Ausstellungsraum und dem Büro einer privaten Galerie zu entfernen (Claire Copley Gallery, 1974) oder die Türen eines Ausstellungsraumes zu entfernen, um ihn damit 24 Stunden täglich zu öffnen (Pomona College 1970). Doch so sehr Ashers kontext-spezifischer Ansatz zur leicht verfügbaren Tool-Box für unzählige geistige Nachfahren wurde, gelang es ihm doch immer wieder, in die eigenen Arbeiten genau jene Widerhaken einzubauen, die für die beteiligten Institutionen zu Hürden werden. Diese Hürden zwingen zu jener Selbstreflexion, die in Organisationen zwar selbstverständlich sein sollte, die jedoch ohne den Anlass von Projekten in institutionskritischer Tradition häufig unterbleibt. Als Michael Asher für die Ausstellung «The Museum as Muse» 1999 im MoMA daran ging, ein Inventar der von der Sammlung wieder abgestoßenen Kunstwerke zu publizieren, legte er damit nicht nur das Augenmerk auf die etwas verschämt-tabuisierte Museumspraxis des «de-accessioning», sondern sorgte auch indirekt für die transparente Veröffentlichung der diesbezüglichen Regeln in einem zusätzlichen Vorwort, zu dem sich der damalige Chefkurator Kirk Varnedoe veranlasst sah. Wie in diesem Fall evozierten Ashers Werke häufig Klarstellungen von Rahmenbedingungen oder Eingeständnisse von Einschränkungen vermeintlicher institutioneller Allmacht. Der intendierte Einblick in die Funktionsweise des Betriebssystems entstand durch Ashers Fähigkeit, die konzeptuelle Latte hoch genug zu hängen, um ein allzu leichtes Überspringen für die Institution zu verhindern. So fand der alltägliche Fall budgetär notwendiger Konzeptveränderungen selten einen präziseren öffentlichen Ausdruck wie in jener Erklärung, die Michael Asher dem Whitney Museum abverlangte, nachdem klar wurde, dass sein Konzept für eine 24 Stunden täglich geöffnete Whitney Biennale nicht für die konzipierte Dauer von sieben Tagen realisiert werden könnte. Die für jede Projektankündigung vorgeschriebene Notiz erzeugt dabei jene brechtsche Ablesbarkeit des Prozesses, in der auch der einflußreiche Pädagoge Asher spürbar bleibt: «The duration of this work has been shortened from the artist’s original proposal. Due to budgetary and human resources limitations, the Museum is unable to remain open to the public twenty-four hours a day for one week. As a result, this work has been shortened from seven days to three days (Wednesday, May 26 at 12:00 am through Friday, May 28 at 11:59 pm).» Erst durch das Schreiben dieser Zeilen kommt mir der Verdacht, dass auch die Ablehnung der Rechnungsübernahme ein pädagogischer Schachzug gewesen sein könnte, mit denen Asher seine Gegenüber reichlich versorgte. «Hmmm, what do you think?» war seine häufigste Einleitung, wenn er sich den Fragen der damals durchwegs deutlich jüngeren Projektbeteiligten stellte. Die Arbeitsbesprechungen mit Michael Asher waren wie exklusive Seminare in konzeptuellem Denken, was nicht verwundert bei jemandem, der am California Institute of the Arts dreissig Jahre lang ein mittlerweile mythenumwobenes «Crit»Seminar hielt, in dem die Studierenden Arbeiten präsentieren konnten, und welches immer so lange dauerte bis «alle Fragen gestellt» waren, was durchaus auch 12 Stunden gewesen sein konnten. Michael Asher hat keine physischen Werke hinterlassen. Sein umfassendes Werk kann wegen seiner radikal kontext-spezifischen Natur nur in die geschriebenen Annalen des Kunstsystems eingehen. Reprints seiner Texte und Schriften waren die einzige Möglichkeit, die Asher jenen Kuratoren einräumte, die danach verlangten, «existing works» auszustellen. Andere, berufenere Kräfte werden für diese Erinnerungen sorgen. In dieser Stadt und in diesen Zeiten soll jedoch auch an jemanden erinnert werden, der nur zu einem Pressefoto bereit war, wenn die Zeitung auch 500 andere Personen ins Bild gesetzt hätte, die ihn inspiriert hätten, und der vorab mit der Bitte verblüffte, nur ja kein «fancy» Hotel zu buchen. Es soll auch ein Künstler gewürdigt werden, der dem artforum Entgegnungsbriefe schrieb, weil er klarstellen wollte, dass ein anderer Künstler etwas früher als er gemacht hatte. Und wir freuen uns über einen Künstler, der ausgerechnet für ein Billboardprojekt des MAK Center in Los Angeles ein Reprint der historischen Volkswagen Kampagne «Think Small» in Auftrag gab. Als der Kunstraum Wien 1996 seine Tätigkeit beendete, gab es ein internes Essen mit einem bis heute geheimen Programmpunkt, in dem das gesamte Team das Programm von zwei Jahren bewertete. Dabei wurde nicht nur nach harten Kriterien, wie «Qualität des Konzepts», «Ausführung» etc. gefragt, sondern es wurden auch Kriterien wie «Verhalten der Künstler beim Aufbau» und ähnliche, weichere Faktoren in das Ranking einbezogen. Selbstredend lag Michael Asher in allen Punkten weit voran. --- (1) Auf Einladung des damaligen Bundeskurators Markus Brüderlin und organisiert vom Verfasser realisierte Michael Asher 1996 eine Arbeit für den Kunstraum Wien.  
Mehr Texte von Martin Fritz

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
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Helga Köcher | 06.11.2012 11:12 | antworten
Danke! Bemerkenswert!

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