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Die Nacht im Zwielicht. Kunst von der Romantik bis heute: Borderline Nacht

Die Ausstellung „Die Nacht im Zwielicht“ im Unteren Belvedere und in der Orangerie setzt bereits im Titel eine Art von posthistorischer Dialektik zwischen Maximen der Aufklärung und „Dark Modernity“ voraus, und handelt von Begegnungen zwischen scheinbar entgegensetzten Dingen, die sich an ihren Rändern statt im Zentrum treffen, verdichten oder bloß verschieben. Da die Nacht an den Rand des Tages rückt und das Erwachen an den Rand des Schlafens, enthalten diese flutenden Grenzerfahrungen, die die Tag-Nacht Metaphorik infrage stellen und zur weiteren Reflexion einleiten, in einigen dieser Werke (insgesamt sind es 280 Arbeiten, von der Romantik bis in die Gegenwart) zusätzliche Brisanz. Das Kuratoren-Team Brigitte Borchardt-Birbaumer und Harald Krejci erweiterte die nächtliche Ikonographie um Beispiele aus dem Abstraktionsfundus, in denen nächtliche Landschaften und Unheimliches in bunten Farben erfasst wurden. Zu sehen sind nicht nur Bilder, Entwürfe und Arbeiten auf Papier, sondern auch (Kunstgewerbe-)Objekte, allzu reichlich Fotografie und immer wieder „schwarze“ Skulpturen und nächtliche Videos, darunter jene von Lisl Ponger oder Rodney Graham, alles abwechslungsreich, zuweilen in erhellenden Gegenüberstellungen kombiniert. Neben den KünstlerInnen aus dem europäischen Kunstestablishment, darunter Courbet, Friedrich, Magritte, Richter oder Lassnig, trifft man auf solche außereuropäischer Provenienz, ebenso aber auch auf Anonyme und auf kleinere „Nachtstücke“ unbeachteter Künstlerinnen wie Olga Wlassics, Traue Zemb-Wolsegger oder Andrea Schnell. Immer wieder gut. An den Wänden finden sich wiederholt Zitate des minimalistischen Postromantikers Samuel Beckett. Heute, wenn die Finanzsysteme ihre klaren Kanten verlieren und zu Kunst erklärt werden, ist man für gewisse Gespenster, traumwandlerische Logik oder existenzielle Nachtängste sensibilisiert. Und so beginnt die Ausstellung, quer über alle Kunstrichtungen hinweg, mit einem expressiven Beben von Schlachten und Weltkriegen, der evokativen Erinnerung an den Holocaust und Nationalismus – mit dem Highlight der Schau, Jürgen Tellers Fotografie Hitlers Podium –, dem Dunklen des Kolonialismus, diversen neoromantischen Vulkanausbrüchen sowie den überbewerteten kosmischen Gefühlen des Librettos von Mozarts Zauberflöte. Als Gegensatz dazu denkt man unweigerlich an Alain Resnais’ epochalen Film Nacht und Nebel, dessen Skript von Paul Celan ins Deutsche übertragen wurde. In diesem Abschnitt über Krieg, Liebe und Vorurteile überrascht die stilistische Verwandtschaft der eleganten Spitzformen eines imposanten Laternenschilds mit Stoßklinge aus dem 17. Jahrhundert mit der gewaltsamen Folterszene aus Max Beckmanns Serie Hölle. Um Imagination, Psychologie und das Unbewusste geht es ferner im Ausstellungsteil Nachtmythen und Träumen, die in verschiedenen Verkleidungen und Entstellungen ans Licht kommen. Inhaltlich scheinen sich im dämmernden Licht der Nacht so zeitentfernte Werke nahezukommen wie die Skulptur eines Gähnenden von F. X. Messerschmidt und die gemalten Büsten von Gina Lee Felber. Alle in nachtschwarzer Umhüllung evozieren sie zugleich Neugier und Unbehagen. Was aber wäre die Nacht ohne die Zauberkraft der Lichter? Diesen huldigen sowohl die erhabenen Nachtlandschaften als auch die Bildnisse der natürlichen und künstlichen Unterwelten in der Stadtkulisse. Einer Theaterloge von Honoré Daumier, die die Nacht als Illusion zelebriert, widerspricht die Szene der Gewaltübergriffe im Video von Peter Friedls Liberty City, in der die Dunkelheit als jener „andere“ Ort für Ausschreitungen und Unrecht auftritt, womit auch das Protestverhalten der Romantik fortgeführt wird. In der Orangerie erreicht die Nacht und das Halbdunkle dagegen die Dimension von Wunschträumen, einer Flucht in das Innere und zur schwarzen Ironie. Der ergiebige Parcours wird von einer Folge von 8 großformatigen SW-Fotografien gekrönt, Heimspiel des Performers Jürgen Klauke. In Anspielung an Liebespiele, den Topos der Femme Fatale, Hexen und die verklemmten Neurosen eines kleinen Mannes (und ähnliche weitere Vorurteile) werden vor dem künstlich schwarz durchtränkten Hintergrund die auferlegten gesellschaftlichen Normen des männlichen und weiblichen Rollencodes in die magische Verfremdung des Gewohnten verbannt – theatralisch, pathetisch, poetisch, irreal. Auch wenn man all dies der Macht der Nacht nicht mehr zutraut, sie durch die moderne Beleuchtungstechnik bereits auch mehr oder weniger „zerstört“ worden ist, in der Kunst und diversen „Nachtmaschinen“ des täglichen Gebrauchs, darunter dem Computer, ist sie weiterhin präsent, obschon von der Lichtenergie abhängig.
Mehr Texte von Goschka Gawlik

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Die Nacht im Zwielicht. Kunst von der Romantik bis heute
24.10.2012 - 17.02.2013

Unteres Belvedere
1030 Wien, Rennweg 6
Tel: +43 1 795 57-200, Fax: +43 1 795 57-121
Email: info@belvedere.at
http://www.belvedere.at
Öffnungszeiten: Täglich 10 bis 18 Uhr, Mittwoch 10 bis 21 Uhr


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