Susanne Rohringer,
Vienna‘s Shooting Girls – Jüdische Fotografinnen aus Wien: Mit der Kamera in die Eigenständigkeit
Ruth Klüger, die österreichisch-amerikanische Schriftstellerin und Germanistin, bezeichnete einmal in einem Interview die Shoah als eine Zeit des Verlusts. Nicht nur an Menschenleben, sondern auch an Talenten, Fähigkeiten, Besonderheiten und bohemienhaften Lebens.
Dies trifft auch auf die im Jüdischen Museum gezeigten Fotografinnen zu. Die Behauptung, die Fotografinnen aus dieser Zeit kämen vorwiegend aus dem jüdischen Milieu gilt es zu hinterfragen. Zwar stimmt es, dass jüdische Mädchen aus dem liberalen Bürgertum ein Betätigungsfeld und ein Weg in die Erwerbsarbeit und Emanzipation mittels Fotografie einschlugen. Aber der Eindruck, dass der überwiegende Teil sich als jüdisch verstand, entsteht doch eher aus der rückblickenden Zusammenschau. Dabei darf man nicht vergessen, dass für viele jüdische Familien in Wien das Judentum bis zu Hitlers Rassegesetzen eine untergeordnete Rolle gespielt hat. Erst als sie als Außenseiter gebrandmarkt wurden, mussten die Menschen reagieren.
Der Überblick beginnt in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts mit Fotografien des Studios „Adele“ – des k.u k. Hofatelier von Adele Perlmutter – das die Fotografin gemeinsam mit ihren Brüdern Max und Wilhelm 1862 gründete und zum beliebtesten Studio der betuchten Gesellschaft ausbaute. Adele Perlmutter war nach Julie Haftner 1864, die zweite Frau in der Photografischen Gesellschaft und gründete Studios in Wien und Karlsbad. Nach der Geburt ihrer drei Kinder legte sie ihr Gewerbe 1908 nieder und überließ Mann und Brüdern das Geschäft. Zu sehen sind in der Ausstellung Graf Batthyany und andere Adelige in Feststaat bei der Krönung von Kaiser Karl und der lockige Thronfolger Otto als Knabe. Adele war als Fotografin erstaunlich erfolgreich und wahrscheinlich für viele Frauen eine Art „Rolemodel“.
Nach der Jahrhundertwende lässt sich ein Anstieg der Zahl an weiblichen Fotografinnen feststellen. Scheinbar war der relativ geringe Aufwand für die Fotografie – man brauchte bloß Gerätschaften und einen Raum – maßgebend für die Berufsentscheidung junger Frauen. Oft hatten sie ihr Studio in einem Zimmer der elterlichen Wohnung untergebracht und empfingen dort ihre Gäste. Manchmal übernahmen auch Mädchen von Vätern deren Fotostudio oder arbeiteten mit ihren Brüdern zusammen.
In der Vorkriegszeit bis zu den dreißiger Jahren war die Szene der Fotografinnen in Wien dominiert vom Atelier von Dora Kallmus – d`Ora – und von Trude Fleischmann. Dora Kallmus gründete 1907 ihr eigenes Atelier und obwohl sie Gasthörerin an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt gewesen war, war die Chemikalienkunde von ihr ferngehalten worden. Sie benötigte daher für die Ausarbeitung den Berliner Assistenten Arthur Benda, der diese Tätigkeiten erledigte. Kallmus war enorm erfolgreich. Sie arrangierte mit modischen Accessoires, schauspielerhaften Posen und Interieurs ungewöhnliche Porträts u.a. von Bertha Zuckerkandl, Tina Blau, Maurice Chevalier und Eugenie Schwarzwald. 1925 kam ein zweites Atelier in Paris hinzu und es erfolgte der Bruch mit Arthur Benda. 1927 zog sie nach Paris und verkaufte das Wiener Atelier. Sie war auch in Paris erfolgreich und konnte ihr Atelier bis zum Einmarsch der deutschen Truppen halten. Danach tauchte sie unter. Sie überlebte versteckt die Vichy Zeit. Ihre Schwester Anna hingegen wurde deportiert und ermordet. Auch nach dem Krieg fotografierte Kallmus weiter aber die Zäsur in ihrem Leben war unübersehbar.
Die Kuratorinnen Iris Meder und Andrea Winklbauer versuchen aus der Fülle des Materials auch die Karrieren während und nach dem Zweiten Weltkrieg zu rekonstruieren. Entscheidend ist dabei, dass machen Fotografinnen der Weg aus dem (Heim)Studio gelang. Zu erwähnen ist hier die kommunistische Österreicherin Edith Tudor Hart, die bereits 1934 Wien auf Grund ihrer sozialkritischen politischen Haltung Richtung England verließ und dort das Elend von East End porträtierte. Sie arbeitete erfolgreich für die „Picture Post“ und fotografierte bis 1939 (1). Erwähnenswert ist auch Margaret Michaelis, die die Ankunft von Flüchtlingskinder 1938 aus Nazideutschland in England porträtierte: („The First Day“). Auch die Tierfotografin „Ylla“ – Camilla Henriette Koffler – ist in diesem Zusammenhang zu nennen. Sie wurde 1911 in Wien geboren und eröffnete 1933 in Frankreich ein Atelier als Tierfotografin. 1941 emigrierte sie nach New York wo sie ebenfalls ein Atelier gründete. Sie schuf noch nie da gewesene Einblicke in tierisches Leben und stürzte 1955 bei einer Dokumentation eines Ochsenrennens in Indien vom Jeep. In der Folge erlag sie ihren Verletzungen.
Die im Jüdischen Museum gezeigten Fotografien weiblicher Fotografinnen sind ein erster Versuch eines Überblicks kreativen weiblichen Schaffens aus dem vornehmlich ersten Drittel des Zwanzigsten Jahrhundert. Es ist wie ein Gruß aus längst vergangener Zeit, in der Frauen sich eine wesentliche gesellschaftliche Domäne erkämpft hatten.
Und es ist ein Schatz der sicherlich weiterhin wissenschaftlich gehoben werden wird.
(1) Auf Grund der schweren mentalen Erkrankung Ihres einzigen Sohnes und ihrer Scheidung hörte Tudor Hart gegen 1939 zu fotografieren auf.
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Vienna‘s Shooting Girls – Jüdische Fotografinnen aus Wien
21.10.2012 - 03.03.2013
Jüdisches Museum Wien
1010 Wien, Dorotheergasse 11
Tel: +43(1) 535 04 31, Fax: +43(1) 535 04 24
Email: info@jmw.at
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