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Foto-Automaten-Kunst - Die Ästhetik hinter dem Vorhang: Von den Surrealisten bis Warhol und Rainer: Momentaufnahmen in Streifenform

Es ist wie so oft. Erst ärgert man sich über die kitschige Eingangssituation mit ihrem holprigen Boden, der laut Proklamation von Friedensreich Hundertwasser allen Ernstes zur ''Wiedergewinnung der Menschenwürde'' beitragen sollte. Dann aber erwartet einen im zweiten Stock zumeist eine sorgfältig präsentierte und interessante Ausstellung. Schwerpunkt zeitgenössische Fotografie. So auch diesmal. Mit ästhetischen Konzepten rund um den Fotoautomaten. Der mit dem Skurrilen spielende Untertitel mit dem Hinweis ''... bis Warhol und Rainer'' führt jedoch auf eine falsche Fährte, weil der historische Bogen keineswegs bei diesen Klassikern endet, sondern bis in die Gegenwart gespannt ist. Die berühmten Fotos mit Grimassen-Porträts aus dem Automaten von Arnulf Rainer stammen nämlich aus dem Jahr 1969. Andy Warhol wiederum entdeckte den Fotoautomaten als Porträtwerkstatt schon 1963. Lange danach – nämlich 1972 in Leipzig – wurde Jan Wenzel überhaupt erst geboren. Dessen Werk ist deshalb so bemerkenswert, weil Wenzel den Passbildautomaten generell zu seinem zentralen Medium gemacht hat. Er nützt das vorgegebene Bildformat der Automaten-Kamera, um zusammengesetzte konzeptuelle Aufnahmen oder sogar Raum-Bilder zu entwerfen. Keineswegs alle ''hinter dem Vorhang''. Diese zeichnen sich durch ihren fixen Fokus sowie die Kadrierung, also den sichtbaren Rahmen des Bildfeldes, aus. Ein Perspektivwechsel schließlich entsteht durch einen kleinen Kino-Raum mit Film-Beispielen, in denen der Fotoautomat weniger als Instrument, sondern als Leitmotiv repräsentiert ist. Darunter Ausschnitte aus Jean-Luc Godards ''Masculin féminin'' (1966) oder aus Wim Wenders’ ''Alice in den Städten'' (1974). Durch lange Ausschnitte prominent vertreten ist ''Die fabelhafte Welt der Amélie'' (und nicht die „wunderbare“ wie im Pressetext) von Jean-Pierre Jeunet (2001), in dem die Hauptfigur auf einen Sammler gefundener Passbilder trifft. Vorbild dafür ist der reale Fotograf und Autor Michel Folco, der seit den 1980er-Jahren in Paris weggeworfene Automatenfotos sammelt. Ein weiteres Hauptthema bilden natürlich Identität und Selbstinszenierung. Für Cindy Sherman das Motiv schlechthin, mit dem Fotoautomaten zu arbeiten. ''Untitled (Lucille Ball)'' aus dem Jahr 1975 führte zu deren Bildserie ''Untitled Film Stills''. Dabei halfen die durch Unschärfen gekennzeichneten Bilder aus dem Automaten, jene Ästhetik zu imitieren, die seit den 1930er Jahren von Aufnahmen von Stars und Starlets her bekannt ist. Die Anfänge des Automatenbildes liegen noch weiter zurück. 1928 wurden in Paris die ersten ''Photomatons'' aufgestellt. Wie schnell die Surrealisten deren Potential als Bildmaschinen erkannten, zeichnet sich in der letzte Ausgabe der Zeitschrift ''La Révolution Surréaliste'' vom Dezember 1929 ab. Sechzehn Automaten-Selbstporträts von Protagonisten der Bewegung wie André Breton, Luis Buñuel, Max Ernst oder Salvador Dalí waren da als Fotomontage publiziert. Im Nu hatten sie die neue Technologie als Produktionsmittel für sich erobert. Die durchaus informativen Saaltexte allerdings heben vor allem historische und stilistische Aspekte hervor. Unterbelichtet bleibt die Frage, wieweit sich über die Automatenkunst als Teil der Fotografie auch Leseweisen im Kontext der apparativen Medienkunst ergeben. Nur angedeutet bleibt auch der performative Aspekt. Weil es sich eigentlich um das Projekt ''Derrière le Rideau, L’esthétique Photomaton'' des ''Musée d’Élysée Lausanne'' handelt, leistete sich das Kunsthaus Wien jedoch den Luxus, keinen eigenen Katalog zu produzieren. Nichts ganz zu erklären ist, warum nicht einmal irgendeine andere Art der theoretischen Bearbeitung und Vermittlung in deutscher Sprache gewählt wurde. Von der Produktion eines Pocket-Guide bis zum Druck einer Ausstellungs-Zeitschrift mit zumindest einem einzigen Theoriebeitrag hätte sich eine Vielzahl von Möglichkeiten angeboten. Die an Einzelthemen reiche Schau, deren Vielfalt weit über die Vorstellung stereotyper Streifenbildchen hinausreicht, hätte die Ergänzung durch den allgemein üblichen Standard einer adäquaten Publikation wirklich verdient.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Foto-Automaten-Kunst - Die Ästhetik hinter dem Vorhang: Von den Surrealisten bis Warhol und Rainer
10.10.2012 - 13.01.2013

KunstHausWien
1030 Wien, Untere Weißgerberstraße 13
Tel: +43 1 712 04 95 0, Fax: +43 1 712 04 94
Email: office@kunsthauswien.com
http://www.kunsthauswien.com
Öffnungszeiten: Opening Days 29.02.-3.3.2024


Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Dafür ...
Stach | 05.11.2012 09:41 | antworten
... ist es anreichernd, am Rande der Ausstellung "Die wunderbare Welt der Amelie" abspielen zu lassen, in dem ja ein Porträtautomat die durchgängig wichtige Rolle hat.

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