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Wenn Maschinen träumen

Maschinen, die ihre Speicher reflektieren, ihre Daten beliebig mischen und neu anordnen, um schließlich Ergebnisse ohne Sinn und Zweck zu liefern. Das ist also die schöne, neue Welt; eine, die sich dahingehend verselbständigt, dass sie scheinbar ohne eigenen Aufwand Emotionen auszulösen imstande ist. So kann es Nutzenden geschehen, die die in den beiden großen Kellerräumen des Lentos majestätisch angeordnete dreiteilige work in progress Arbeit „Desire of Codes“ von Seiko Mikami (JP) erleben. Schwebende Kameraarme, Giraffen gleich, strecken ihre Sensorfühler aus, erfassen einzelne Gesichter, Körper, Haltungen, speichern sie und projizieren sie an die Wand. Wie, das ist man selbst? Aber in welchem Zusammenhang? Daten überlagern sich und plötzlich wird das Individuum zu einem Baustein in einem undurchsichtigen und dabei offensichtlichen Puzzle. Es ist wie im Weltgeschehen und da wird Kunst zum kritischen Kommentar zur Gegenwart, der nichts erklärt und doch alles spürbar macht. Wie sonst erleben wir die Welt denn inzwischen? Die Informationsflut, die das Unsagbare in so viele Aussagen verklärt, dass es erst ungesagt bleibt. Es ist wie in Seiko Mikamis Arbeit. Momente überlagern sich und fallen im nächsten Augenblick schon dem Vergessen anheim. Schade, dass wir noch keine Chips eingebaut haben, mit denen unsere Hinter- und Abgründe zur Gänze eingelesen werden könnten. Das wäre doch eine wirkliche Informationsfreude. Endlich vollständig gläsern und das noch lustvoll! Wenn die Menschen gegangen sind und die Maschine für sich allein bleibt, dann wird sie lebendig und gottgleich mischt sie die Karten neu. Sie beginnt zu träumen, meint Andreas Broeckmann, der, anstelle der erkrankten Künstlerin, dem Publikum die Arbeit näher bringt. So finden sich fünfzig Leute in einem Ausstellungsraum, niemand bewegt sich; denn nur wenn die Sensoren generelle lebendige Abwesenheit vermuten, lässt sich die Maschine gehen. Alles glänzt in prachtvollem Metall. Die Maschinen sind erwachsen geworden und zeigen Individualität. Plötzlich drängen sich längst vergessene Begriffe aus den 1980er-Jahren auf und das Phänomen der Autopoiesis wird zum unerwartet poetischen Akt. Was tun die Maschinen längst alles hinter ihren Oberflächen? Die Idee künstlicher Intelligenz könnte unter Berücksichtigung des davor stattfindenden enormen Produktionsprozesses durchaus wieder einmal diskutiert werden. Seiko Mikami, eine der fokussiertesten und gleichzeitig renommiertesten internationalen Medienkünstlerinnen hat es 2012 zur ersten „featured artist“ – Künstlerin bei der Ars Electronica geschafft. Nach wie vielen Jahren männlicher Dominanz? Was für eine Wohltat, ihren sinnlichen Blick auf die Technologie zu sehen, der gleichzeitig auch bei weitem kritischer ist, als der ihrer Vorjahreskollegen. Das paritätische Prinzip hat in zwei weiblichen und männlichen Halbwelten schon seine Richtigkeit. Möge es der Beginn diesbezüglicher Ausgeglichenheit sein. Noch zwei andere Arbeiten bleiben im Gedächtnis und auch sie erschließen sich vor allem in der Stille. Beide sind im OK, dem Offenen Kulturhaus, in der kuratierten Auswahl der prämierten Einreichungen zum Prix Ars Electronica „Cyberarts“ zu sehen. Hier findet sich zunächst im Erdgeschoss ein verdunkelter Raum, der im hinteren Bereich durch eine transparente Wand vom angrenzenden abgetrennt ist. Auf der Suche nach der Kunst vor Ort ist die Annäherung fast unvermeidlich, denn der Raum ist ansonsten leer. Ab einer gewissen Nähe wird Klang hörbar und nach einer Weile drängt sich die Berührung der Wand auf, die da plötzlich nicht mehr existiert. Es ist beleuchteter Kunstnebel, der die Illusion einer Wand lediglich suggeriert. Der Klang bildet zerbrechendes Glas ab. Zunächst wagt sich nur die Hand durch die Wand, dann das Bein, schließlich der Körper. In der Mitte der Wand – zwischen den Räumen im Nebel gefangen – wird der Klang zum Raum und das Ich zum Wesen zwischen den Welten. Das hat einen beinahe magischen Zauber, dem die meisten Besuchenden mit einem Lächeln erliegen. Die Arbeit „BETWEEN | YOU | AND | ME“ (2012) stammt von Anke Eckardt (DE) und gewann eine Anerkennung für Digial Musics & Sound Art. Im überhohen Zwischenraum des OK findet sich schließlich die Arbeit von Julius von Bismarck, der den erstmals vergebenen Collide@CERN Artists Residency Award gewann. „Versuch unter Kreisen“ (2012) zeigt schwingende Lampen, die sich ausrichten, einander folgen, scheinbar synchronisieren, nur um schließlich wieder ihre eigenen Kreise zu ziehen. Mit Abstand wirken sie beinahe fragil in diesem Schweben, doch im darunter Stehen werden sie massiv und weniger als Lampen, denn als bedrohliche Objekte spürbar. Während sich die Lampen selbst niemals berühren, überschneiden sich die durch die Bewegungen entstehenden Lichtkreise. Dies erinnert schmerzhaft an unterschiedliche Überwachungsformate und was eben noch mit Abstand poetisch mit Erkenntnissen der Naturwissenschaft assoziiert wurde, wird plötzlich aus der Nähe beklemmend. __ Das Ars Electronica Festival ist bereits zu Ende, doch die hier erwähnten Arbeiten können noch besucht werden. OK – Offenes Kulturhaus :: Cyberarts 2012 :: bis 6.10.2012 Lentos Kunstmuseum :: Seiko Mikami :: bis 30.9.2012 Link: http://www.aec.at/thebigpicture
Mehr Texte von Ursula Hentschläger

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