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Im Schilderwald. Ausstellungen und ihre Regeln

Angesichts von theoretisch begehbaren Kunstwerken befindet sich das Ausstellungspublikum in einer Situation, in der jede Entscheidung den Keim der Blamage in sich birgt. Bleibt man stehen und umgeht das Werk vorsichtig, entpuppt man sich als belächelter Ehrfurchtstraditionalist, der seinen Carl André nicht studiert hat. Tritt man beherzt auf das Ding, vielleicht sogar mit der erlernten Gewissheit damit in irgendeine Form von interaktivem Verhältnis zu treten, ist oft recht schnell die Aufsicht zur Stelle, die man vorher übersehen hatte. Ähnliche Double-Bind Situationen sorgen in Ausstellungen zeitgenössischer Kunst mitunter für ein Spannungsfeld zwischen erwünschten und unerwünschten Interaktionen. Zur Unübersichtlichkeit trägt bei, dass die Standards innerhalb derselben Ausstellung variieren können, so etwa, wenn Künstlerin A reproduzierbare Bücher zum Durchblättern zur Verfügung stellt, während Künstler B die fragile Einzigartigkeit seines Buchobjekts durch strikte Verbote schützt. Häufiger Quell für Irritationen sind Fotovorschriften, die unsystematisch zwischen «No Flash», «No Photos», «Photographs only with Permission» variieren und auch dort gelten, wo robuste Alltagsmaterialien an die Stelle empfindlicher Zeichnungen getreten sind. Nun spricht viel dafür, dass es eines der Potenziale von Kunsterfahrung ist, den Umgang mit Unsicherheit zu trainieren, doch spricht nichts dafür, dies auf dem Rücken harmloser Ausstellungsbesucher_innen zu tun, die etwa im MAK der früheren Direktion recht deutlich auf ein absolutes Photoverbot hingewiesen wurden, wie es im MoMA unbekannt wäre, wiewohl dort die weit größeren Werte an der Wand hängen. Für Verunsicherung sorgte auch das Erlebnis, als sich die hilfsbereite Aufsicht in der Kunsthalle Wien, die eben noch zur Benützung der Arbeiten von Jeppe Hein und Erwin Wurm animiert hatte, plötzlich mit lautem Ruf durch die Halle eilte, um jene Unschuldslämmer abzumahnen, die die «Zebralöwin» von Deborah Sengl photographieren wollten, deren Abbild im letzten Jahr hundertfach die Stadt auf einem Plakat der Sammlung Essl geziert hatte. Es ist der Aufsichtsperson nicht vorzuwerfen, Leihgeber_innen oder Künstler_innenwünsche exekutieren zu müssen, doch kreieren Situationen wie diese eine eigenartige Gestresstheit, die mittlerweile dort größer ist, wo sich Ausstellungsmacher_innen und Künstler_innen um zugänglichere Formate und Themen kümmern. Aktuelle Gruppenausstellungen werden oft zu Displays höchst individueller Normsetzungsakte, zusammengesetzt aus Künstler_innen- und Leihgeber_innenwünschen, konzeptuellen Überlegungen, Rechts- und Haftungsfragen, sowie institutionellen «Policies» und den vielen Handlungsanweisungen aktueller Kunst. Mit Umsicht und sorgfältigem Blick lassen sich die Unklarheiten über den Status des jeweiligen Objekts zwar meistens lösen, doch es ist denkbar, dass Ausstellungsmacher_innen übersehen, dass ein Zuviel an normativer Kommunikation, die Besucher_innenerfahrung beeinträchtigt. Dies fällt deutlich dort auf, wo versucht wird, benutzbare Objekte makellos (und verwertbar) zu erhalten: Zu den eingangs erwähnten Handlungsoptionen tritt dann die Aufforderung zum Ausziehen der Schuhe, klinisch weiße Oberflächen führen zur Aufforderung zum Überstreifen von Schutzschuhen, und ein paar Meter weiter liegen dann die Handschuhe bereit, mit denen (reproduzierbare) Fotobücher durchgeblättert werden können. Ein anderer Grund für den Schilderwald, liegt im Festhalten am Konzept des «ungestörten» Kunstgenusses trotz Massenbesuchs. Die Spielregel der Wahl ist die Limitierung der gleichzeitig zulässigen Besucher_innenzahl oder der gerne ignorierte Hinweis, dass es nach Beginn des Films keinen Zutritt mehr gäbe. Natürlich: Kunstbetrachtung bei Gruppenausstellungen ist die Einübung in je unterschiedliche «Regeln», und mittlerweile sagt der Umgang mit den Schildern einiges über die konzeptuelle Stimmigkeit des jeweiligen Werkes aus. Aus traurigem Anlass kann soll daran erinnert werden, dass sich Franz Wests Größe auch in jener einfachen Regelsetzung zeigte, mit der er 1997 bei einer Retrospektive im Wiener 20er Haus klargestellt hat, dass nur die Objekte auf den grauen Sockeln und Flächen benützbar wären. Verantwortliche für Institutionen und Ausstellungen sollten darauf achten, das Publikum nicht zu sehr in jene Probleme zu verstricken, die das Aufeinandertreffen von Benützbarkeit, Marktwert, Haftung und Besuchsfrequenz mit sich bringen. Dabei lohnt es sich, daran zu denken, dass für die «Gäste» bereits für das Betreten der Ausstellung Unterwerfungen notwendig waren, wie das Ablegen von Kleidung und Taschen bis hin zum Durchlaufen von Metalldetektoren. Wie sehr sich diese «Eingangssequenz» in die persönlichen Tiefenschichten verankert hat, konnte ich erkennen, als ich beim Erstbesuch des Linzer Leseturm verunsichert realisierte, dass es mir möglich gewesen war, ohne jede Barriere von der Straße bis zum Bücherregal zu gelangen. Wo statt den Büchern teure Kunstwerke stehen, steht zu befürchten, dass der Kontrollapparat zeitgenössischen Ausstellens die Offenheitsgesten konterkariert, mit denen sich gerade Großveranstaltungen gerne schmücken. Nicht zuletzt im Respekt vor dem Vermächtnis des weisen Franz West sollten wir uns daran erinnern, dass die Benützbarkeit von Objekten und die Aufforderung zur Inanspruchnahme von Environments Kulturrevolutionen dargestellt haben, die nicht zu Lockangeboten werden dürfen, die nur so lange gelten, bis die “richtige” Verwertung beginnt.
Mehr Texte von Martin Fritz

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