Werbung
,

Georg Herold - Multiple Choice: Manierismen der Latte

Auch Ruhm ist messbar. Nach Vorstellung des Künstlers ist er gerade einmal 12 Zentimeter lang oder breit, 4,6 Zentimeter hoch und exakt 2,5 Zentimeter tief. Leidlich abgegriffen ist das unscheinbare Stück Holz, eine grob zugesägte Dachlatte, und nur beiläufig beschriftet obendrein. Und man macht sich sofort einen eher unbeholfenen Reim auf die Latte: Georg Herold muss mit „Multiple Choice“, der „Ausstellung des Jahres“ (Hans-Joachim Müller), ins Museum Brandhorst in München „eingefallen“ sein. Unbesehen war klar, dass der Meisterschüler des abgeschrägten Humors und der verzogenen Pointen nicht einfach, wie es andere Künstler tun, durch die Schatzkammern und vorbei an den Schaukästen mit ihrem wertstabilen Inhalt mäandern würde. Herold kalauert sich mit über 100 Werken und einem unbestechlichen Witz auf seiner Seite durch den so nie gesehenen Sammlungsbestand. Unangetastet bleibt das oberste Stockwerk mit den Ruhmeshallen von und für Cy Twombly. Hier hätte selbst die edelste Latte den Kürzeren gezogen. Man muss dem Museum unter Direktor Armin Zweite vorab eine gehörige Portion Selbstironie attestieren. Denn nicht jede Sammlung hätte sich so unverfroren, aber süffisant lächelnd hinterfragen lassen und dabei die Wertsteigerungsmaschine Museum zur Diskussion gestellt. Aber Herold umgeht gekonnt die allzu platte Konfrontation, eine schenkelklatschende Gaudi auf Kosten all der anderen ringsum. Gerade im Falle seines Lehrers Sigmar Polke und seinen durchscheinenden Leinwänden hätte sich ein plumper Schüler-Lehrer-Witz schon angeboten. Der will aber einfach nicht kommen. Und es ist ja auch nicht geblieben bei der gemeinen Dachlatte in ihren verwegenen bis bemitleidenswerten Zuständen von schlampig verschraubten und vernagelten Gevierten bis hin zur sanft zur Ruhe gebetteten „Latte in Watte“. Seit Ende der 80er Jahre „malt“ Herold mit Kaviar. Ein Gemälde, vor allem wenn es ordentlich dimensioniert und mit dem kostbaren „Malmittel“ realisiert ist, sollte auf dem Markt doch auch etwas hermachen, oder? „Geld spielt keine Rolle“, wie das Katalogbuch mit dem legendären Kaviarkorn in zuversichtlicher Analyse weiß. Dass Herold in ironischer Geste Hogarths „Line of beauty“ umspielt oder in seinen spielerischen Nummerierungs-Eskapaden auf Roman Opalkas pflichtvergessenen Durch- und Abzähl-Marathon anspielt, muss man nicht unbedingt wissen, um die Malereien lauthals schmunzelnd genießen zu können. In den vergangenen Jahren nimmt der Umgang Herolds mit „seinem“ Material, der Dachlatte, eine unverkennbare Virtuosität an. Die Holzstücke fügen sich zu kantigen Skeletten, sind durch eine bis zum Anschlag angespannte Verkleidung in grellbuntem Stoff zu merkwürdig sich kaprizierenden Körpern verschweißt. Diese gegenständliche Nähe ist neu im Werk. In effektsichere Überlänge gedehnte und gestreckte Frauen-Wesen werfen sich in athletische Posen, spreizen ihre Schenkel oder ballen als „Aktivistin“ in Aktion trotzig ihre knochige Hand zur Faust. Und das führt eine fremdartige Form von Manierismus ins Werk ein, der im überdrehten und verdrehten Gestus der Gestalten keinerlei technische Beschränkung kennt. Dem muss aber nicht so sein. Weniger spektakulär, aber mindestens ebenso elegant im Unterlaufen konstruktiver Konventionen sind seine lakonisch her-, wie abgestellten „schlechten“ Skulpturen. Eine turmhoch sich erhebende Balken-Konstellation macht von sich aus Volumen sichtbar. Andererseits beantwortet die roh zusammengezimmerte Tischlerarbeit inklusive Füßchen-artiger Stehhilfen die immer wieder gestellte Frage, wie viele Menschen in einen „Trabbi“, einen VW Käfer oder zum Beispiel auch in sie selbst hineinpassen würden, mit einem schlichten „Enough“.
Mehr Texte von Stephan Maier †

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Georg Herold - Multiple Choice
19.04 - 02.09.2012

Museum Brandhorst
80333 München, Theresienstraße 35a
Tel: +49 89 238 052 286
http://www.museum-brandhorst.de
Öffnungszeiten: Di. bis So. von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 20 Uhr


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: