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Geschichte und Junggebliebenes

Zu Bamberg an der Regnitz, der barocken Welterbe-, Dom- und Universitätsstadt mit 2500 Baudenkmälern diskutiert man zurzeit in der Hauptsache zwei Themen: Zum einen die Hexenverbrennungen, denen weiland 1000 Menschen zu Opfer fielen, die der Bürgermeister „Vorfälle“ nannte (was nicht gut ankam). Und zum anderen (was gut ankommt), die Bamberger Kunst- und Antiquitätenwochen. Die Bamberger Kunst- und Antiquitätenwochen, heuer in Ausgabe 17, veranstaltet von elf der vielen Antiquitätenhändler in Bambergs malerischer Altstadt, sind das größte und wichtigste Ereignis ihrer Art in Deutschland, vielleicht gar in Europa. Ein willkommener Wirtschaftsfaktor, ein Kulturereignis, ein Besuchermagnet. Wohl mehr als 10.000 Menschen kommen vornehmlich deswegen nach Franken. Kein Wunder, dass die Veranstaltung von der Politik gern unterstützt wird. Zumal es zwar vorwiegend, aber eben nicht nur um Altes geht. Im rührigen Kunsthaus Villa Concordia (geleitet von Nora Gomringer) und etwa bei Senger Kunsthandel sowie im Kunstauktionshaus Schlosser hat’s auch Zeitgenössisches. Das ist er, der stets gern beschworene und durchaus willkommene Brückenschlag über sieben Jahrhunderte. Wohlan! Munter fürbass schreitend durch die winkligen Sträßchen und Gässchen – alle elf Teilnehmer sind allenfalls zwei Steinwürfle voneinander entfernt – erlebt man zu Bamberg Kultur geballt. Was der Handel hier als Leistungsnachweis erbringt, im Vorfeld der Kunst-Messe München und den beiden anderen Münchner Ereignissen (Nockherberg und Highlights) in der zweiten Oktoberhälfte, das hat eine besondere Qualität. Und dabei ist die Liebe zu den alten Dingen, die Liebe zur Schönheit, manchmal auch die Freude an der Pracht wichtig, nicht nur eine übergewichtige Geldkatze. Zwar kann man auch Millionenobjekte mitnehmen, aber es gibt auch sehr schöne, gute Sachen, die im niedrigen vierstelligen Bereich angesiedelt sind. Etwa bei Hauptmann ein „naturbelassenes“ intarsiertes Kästchen mit Geheimfach: Allerliebst und doch ein veritables Kulturzeugnis (Hauptmann feiert 20. Jubelfest und gibt daher 25 Prozent Rabatt auf alles außer Schmuck). Hübsche Geschichten sind mit manchem Objekt verbunden. Wenzel, bei dem es u. a. auch einen prachtvollen Aufsatzsekretär mit drei Schüben gibt, hat mehrere der eigenwilligen Lüsterweibchen. Lüster wie Leuchte, hat mit „lüstern“ nichts zu tun. Im Gegenteil. Sie werden heute aber manchmal missverstanden. Also: Ein Lüsterweibchen ist eine sakrale Figur in Verbindung mit einem Geweih, auf dem Leuchtmittel befestigt waren. Warum Geweih? Nun, Geweihe werden abgeworfen und wachsen neu, ein Symbol für die Wiederauferstehung Christi. Ein gottesfürchtiger Schmied unserer Tage jedoch sah das anders und weigerte sich, eine Kette des Weibchenlüsters zu restaurieren, das sei, so meinte er, eine Verhohnepipelung der Gottesmutter. Erst als er erfuhr, dass das Geweih einen frommen Symbolwert hatte, schwang er den Hammer. Bei Schmidt-Felderhoff (die auch als Restauratoren tätig sind) hat es ein seltenes Rundmöbel aus dem Piemont. Entstanden um 1700, gibt er noch Rätsel auf. Beherbergte es einst ein Taufbecken? Der Unterteil entspricht in etwa einem solchen. Oder war er dem Becken als Aufbewahrungsschrank für Utensilien beigesellt? Spannende Fragen, die die Beschäftigung mit Antiquitäten lehrreich und unterhaltsam machen. Bei Ulf D. Härtl trifft man auf allerlei Rarissima. Etwa vier Figuren aus dem Umkreis von Ferdinand Tietz (1708-1777) aus Sandstein (mit natürlicher, anthrazitfarbener Patina), allegorische Darstellungen der Tugenden Treue und Kraft und der Laster Eitelkeit und Stolz (entstanden in der Mitte des 18. Jahrhunderts). Oder um Zeugnisse einer nun wirklich vöüli untergegangenen Welt, nämlich der des Ancien Régime. Ein Bild von Sébastian Jaques Leclerc (1734 -1785) zeigt das zu der Zeit beliebte Motiv der Fête Champêtre, einer Art Pique-Nique mit frivolem Treiben, das in bürgerlicher Form bei Manet (aber auch mit lebenslustigen Damen) im „Déjeuner sur l’herbe“ fröhliche Urständ feierte und noch in Adriano Celentanos „Una festa sui prati“ nachklingt. Das Lebensgefühl dieser Zeit ist uns Nachrevolutionsgeborenen weitestgehend abhanden gekommen, obwohl wir alle die entsprechenden Produktionen von Watteau schätzen. Bei Leclerc treffen wir auf ein Panoptikum aller Ideale und Idealvorstellungen der Zeit: Der Blick in die Welt links, das Liebensfest mit Wein, Weib und Gesang in der Mitte, rechts die ein wenig an Boucher erinnernden, einfachen bäuerlichen Bauten, die die Landidylle meinen. Ein arkadischer Traum, und er fasziniert noch heute. Senger Bamberg Kunsthandel (so firmiert man) spannt im Angebot den Bogen über sechs, sieben Jahrhunderte, bis ins Zeitgenössische hinein. Aber der Schwerpunkt liegt natürlich im Bereich der Alten Kunst. Und da gibt es hier einiges. Für sich allein schon sehenswert erscheint der mittelalterliche Keller im Stammhaus, der ein treffliches Ambiente liefert für allerlei alte Schätze. Besonders schön ist (im Erdgeschoss) ein Heiliger Martin, dessen Gemüt vom Bildhauer und vom Fassmaler genial eingefangen ist. Eine Figur der Heiligen Barbara aus dem Umkreis Tilman Riemenschneiders vergoldet mit einem niedrig sechsstelligen Preis ihre Nähe zum Großmeister. Große Kunst war noch nie ein Schnäppchen, stets aber überaus begehrenswert. Walter Senger hat den Wandel, den der Markt für Alte Kunst und Antiquitäten noch weiter durchmacht, selbst miterlebt. Er weiß, dass der Sammler alten Stils ausstirbt, unter anderen weil die dazu nötigen Bildungsgüter ins Hintertreffen geraten sind. Enzyklopädisches Sammeln gibt es kaum noch, es zählen nur drei Dinge: „Qualität, Qualität und Qualität.“ Früher kauften Sammler ein Leben lang immer wieder ein Stück, das sie faszinierte, heute geht es meist nur darum, ein, zwei Spitzenstücke zu erwerben, oft auch mit persönlichem Bezug (eine Darstellung der Heiligen Leocadia etwa, weil man mal in Toledo war, oder eine Katharina, weil die Tochter so heißt …) oder zu Dekorationszwecken. Schönheit, und derer ist viel Alte Kunst teilhaftig, fasziniert ja immer. Aber der Markt, so sagt Senger, entwickelt sich in Wellen: Was unten im Wellental liegt, kommt auch wieder nach oben. Dazu kommt ja auch noch, davon ist Senger auch überzeugt, dass Alte Kunst und Antiquitäten eine hervorragende, beständige, risikoarme Sachwertanlage sind, zumal in Zeiten, da Erträge auf dem Finanzmarkt, so wie heute, bis auf null Prozent sinken können. Von einem alten Schrank hat man da mehr, einen Nutzwert besitzt er obendrein. So wandern sie, frohen Gemüts, aus aller Welt nach Bamberg. Recht so, und es sind nicht nur Senioren. Es hat den Anschein, als faszinierte die Alte Kunst zunehmend auch wieder jüngere Menschen. Schließlich ist es wohl wahr: Je älter die Kunst, desto jünger kann sie sein, denn das Alte ist zumeist das Unbekannte, und da ist in aller Regel der Überraschungseffekt am größten. Historie ist das Geheimnis der ewigen Jugend, oder?
Mehr Texte von Gerhard Charles Rump †

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