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Gustave Caillebotte - Ein Impressionist und die Fotografie: Jenseits des Lichtbilds

Sie knien zu dritt auf einem hölzernen Boden. Von hinten links fließt das Licht durchs weit geöffnete Fenster in den halbdämmerigen Raum. Die Männer arbeiten mit freiem Oberkörper. An den kassettierten Wandverkleidungen ist abzulesen: Hier werden keine armen Menschen wohnen, wenn die "Parkettschleifer" – der Titel des sensationellen Gemäldes von Gustave Caillebotte – ihr Werk vollendet haben. Die 145 Zentimeter breite und 102 Zentimeter hohe Leinwand aus dem Jahr 1875 hat der Ausnahme-Impressionist, der es auf der Akademie nicht aushielt, erstaunlich selbstbewusst mit großem, schwungvollem Zug signiert. Das Holz, das die Arbeiter fürs spätere Abwohnen herrichten, gibt steile perspektivische Linien vor. Der handwerkliche Vorgang ist in einem frühen Zustand. Es wird noch gehobelt. Die Verteilung der Späne sollte sich der Betrachter genauer besehen. Caillebotte hat nichts, aber auch keinen Millimeter dem Zufall überlassen. Hier hat alles seinen Platz, hier besitzt alles eine fast schon unheimliche Vollkommenheit. Wie sanft der linke Werktätige Maß für die Ebenheit der Fläche nimmt, wie rechts am Bildrand das Ensemble aus Weinflasche und -glas in Bezug zu den Armen der Arbeiter steht, und gerade das Glas eine Farbigkeit aufweist, die gespenstisch sicher gegeben und geradezu physisch nachvollziehbar ist! Das Bild aus dem Musée d’Orsay in Paris ist von magischer Perfektion und dabei so schön, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. Wie konnte es nur passieren, dass bis auf wenige Eingeweihte kaum jemand diesen unglaublichen Maler auf lange Zeit zur Kenntnis nahm? Der Frankfurter Schirn Kunsthalle ist es jetzt zu verdanken, dass ihm, der zu seiner Zeit eher als Freund, Mäzen und Kunstkäufer impressionistischer Meister denn als Maler bekannt war, nun quasi eine Doppelausstellung ausgerichtet wurde. Ulrich Pohlmann, Kurator des fotografischen Parts und Leiter des Fotomuseums im Münchner Stadtmuseum, hat exzeptionelle Fotoarbeiten zu der von der freien Kuratorin Kathrin Sagner eingerichteten Werkschau sinnträchtig und in thematischen Gruppen platziert. "Gustave Caillebotte. Ein Impressionist und die Fotografie" ist die erste deutsche Werkschau mit 50 Arbeiten, zumeist aus Privatbesitz. Aber sie ist mehr als das. Denn der Bezug zur Lichtbildnerei beschränkt sich keinesfalls auf die nur 46 Jahre währende Lebensspanne des Künstlers, der 1848 in eine schwer reiche Familie geboren wurde. Um die 150 fotografische Arbeiten von den Bisson Frères über Jean Eugène Atget bis zum großartigen Henri Cartier-Bresson flankieren nicht nur das malerische und zeichnerische Werk. Sie belegen ferner, wie richtungsweisend der Blick des Meisters war: auch für die Malerei selbst. Die Stadt Paris galt als Hauptstadt der Fotografie. Sie diente Caillebotte zudem als Fundus für seine visuellen Erweiterungen der Grenzen des damals malerisch Darstellbaren. "Eine Verkehrsinsel, Boulevard Haussmann", entstand 1880. Der Blick schweift von oben, vielleicht von einem Balkon, auf eine Kreuzung. Gemalt ist es mit pastosem Schwung und kräftigem Duktus, und diese Sichtweise antizipiert, das zeigt der vergleichende Blick, etwa André Kertész' "Kreuzung" von 1930. Vieles scheint eine Vorwegnahme zu sein. Im Grunde reizt die Ausstellung gleichsam zu Gedankenspielen über den Begriff des Impressionismus, denn Caillebottes Fotografie-Rezeption war keine Ausnahme. Es ist kein Geheimnis mehr, dass Degas' Faible für die Fotografie dazu anregte, sich von dem Klischee des im Freien auf die Schnelle dahin pinselnden Genies zu verabschieden, oder zumindest dieses Bild kritisch zu von Fall zu Fall zu hinterfragen. Bei Caillebotte sind nun nicht nur aus der Anschauung diese Parallelen zum Fotografischen ersichtlich. Das zeigt die Ausstellung sehr deutlich. Betrachtet man die beiden Studienblätter zu den "Parkettschleifern", erkennt man auf den ersten Blick wie 'gemacht' und erdacht das Opus magnum, das neben den Skizzen im ersten Raum hängt, ist. Da hat alles den rechten Platz und ist geradezu perfekt realisiert. Impressionismus, so kann dann nur noch das Fazit lauten, ist auf jeden Fall auch traditionsbewusst und bedient sich klassischer Mittel. Er ist nicht vom Himmel gefallen. Dass er ohne Fotografie undenkbar ist, weiß man schon länger. Aber so deutlich wie diese Ausstellung direkte Bezüge des Malers zum Fotografischen belegt, hat man den Sachverhalt wohl noch nicht gesehen. Außerdem sind es nicht nur Licht- und Farbenspiele, Netzhauteffekte oder Farbexplosionen und Auflösungen des Gegenstandsbezugs, die zum Tragen kommen. Auch die Dynamik des Bewegens hat Caillebotte studiert. Er gilt als derjenige, welcher das Abrollen eines Fußes zu seiner am Zeit am realistischsten darstellen konnte. Und siehe da: Es gibt eine versteckte Ikonographie. Sollte Caillebotte wirklich ein Pionier der Hinterfragung gesellschaftlich determinierter Geschlechterrollen sein? Ein Blick auf "Interieur. Lesende Frau" von 1880 scheint das zu bestätigen. Die Indizien: Eine Frau liest Zeitung und ist mehr als deutlich im Bild exponiert. Nicht nur aufgrund der Nähe zum Betrachter qua Platzierung im unmittelbaren Vordergrund spielt sie die Hauptrolle, sondern auch mittels Farbtemperaturen: das Sitzmöbel mit seinem rot-weichen Polster und dem warmen Holz. Quasi als Miniatur im Hintergrund ein Mann, der auf einem Sofa in kühlen Grün- und Grau-Tönen in einem Buch schmökert. Der mediale Rollentausch par excellence: Normalerweise las zu dieser Zeit Madame im Roman und ließ sich emotionalisieren. Der Herr wiederum hatte die Weltaufsicht qua Newsrezeption. Dass das hier umgekehrt ist, stellt so manche Erkenntnis auf den Kopf. Und dann ist da der fast abstrakte Maler. In Trouville malte er die "Wiese am Steilufer". Das kleine Stück, knapp über 50 Zentimeter breit, zeigt in dem linken Bilddrittel einen Pfahl in einem Stück Grün, das nurmehr ein Viertelkreis zu sein scheint. Dahinter bleibt das blaue Meer, das direkt in den Himmel übergeht, gleichfalls fast reine Farbe. Hier zeigt sich ein extrem hoher Grad an Abstraktion. Das ist sensationell. Warum zeigten ihn dann nur so wenige Museen? Er war nie vom Kunstmarkt abhängig, und in öffentliche Sammlungen kam er erst sehr spät. Auch weil er nie verkaufte. Im Gegenteil: Er trug eine der bedeutendsten Sammlungen impressionistischer Kunst zusammen, die er nach seinem Tod dem französischen Staat vermachte. Seine Bilder – was für ein Understatement – packte er nicht dazu. Man kann eigentlich nur rätseln, warum in diesem Jahr gleich zwei derart opulente Entdeckungen auf dem kunsthistorischen Pflichtenplan in Deutschlands Museen stehen: Camille Corot in der Staatlichen Kunsthalle, Karlsruhe (siehe die artmagazine Kritik), und nun, beinahe zeitgleich, Gustave Caillebotte. Jedenfalls ist das wunderbar, denn beider Maler Qualität berauscht. Nur: Die Familie Caillebotte, ein Clan von 40 bis 50 Mitgliedern, lässt die vollständige Dekuvrierung dieses wunderbaren Malers nicht zu. Im postfeudalistischen Frankreich pflegen die Nachkommen eine Politik, die unter demokratischen wie wissenschaftlichen Gesichtspunkten bedenklich ist. Die engagierte Kuratorin Karin Sagner spricht davon, dass das Urteil über die Authentizität gelegentlich auftauchender Gemälde immer noch ausschließlich von der Familie gefällt werde. Dass diese Klüngelei unheilige Ergebnisse zeitigt, liegt auf der Hand. Das Musée d’Orsay solle sie bekniet haben, das Werk doch der Öffentlichkeit zu übergeben. Keine Chance. Das ist eine Tragik, deren Dimension nicht zu ermessen ist. Denn nicht nur wird der Öffentlichkeit vorenthalten, was ihr gutes Recht ist, zu Gesicht zu bekommen und zu erforschen, sondern auch die Verzerrung von Markt und Interpretation sind zu befürchten. Dabei, und das zeigt dieses gute Zehntel des bekannten Werkbestands, gilt es hier einen aus der Champion’s League zu erleben, der mit seinen Freunden, den ganz Großen des Impressionismus, locker mithalten kann.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Gustave Caillebotte - Ein Impressionist und die Fotografie
18.10.2012 - 20.01.2013

Schirn Kunsthalle Frankfurt
60311 Frankfurt am Main, Römerberg
Email: welcome@schirn.de
http://www.schirn.de
Öffnungszeiten: Di - So 11.00-19.00 Uhr, Mi - Sa 11.00-22.00 uhr


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