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San Keller - Spoken Work: „Vielleicht bin ich ein bisschen zusammenhangslos.“

Auf den ersten Blick scheint sich die Beflaggung des Zürcher Helmhauses nicht großartig von derjenigen der umliegenden Zunfthäuser und Sehenswürdigkeiten zu unterscheiden. Dennoch verwundert die sonderbare Abfolge von Trauerflor, Regenbogenfarben, geometrischen Grundformen, Linien, Rastern und einem Banner, welches zum „Sale“ einlädt. Die 9 Banner mit den Maßen 480 x 100 cm sind Bestandteil der Installation „Berufsbild“ (2012) und thematisieren in ihrer symbolischen Vielfalt recht treffend das der Ausstellung zugrundeliegende Gesamtkonzept des aus Bern stammenden Künstlers San Keller: die zumeist verbale Sichtbarmachung künstlerischer Haltungen und Arbeitsweisen im Zusammenspiel des komplexen Gefüges der Produktion, Betrachtung und Vermittlung. Indem Keller das Rollenverständnis sowohl der Produzierenden, der Betrachtenden als auch der Vermittelnden defunktionalisiert, verfremdet, aber auch gezielt fördert, hinterfragt er die ureigenen Kompetenzen und macht die unscharfen Ränder sichtbar. Wie geht er hierbei vor? Vorherrschendes Element in der Ausstellung sind unterschiedliche Formen des Gesprächs. Die Besuchenden werden eingebunden, agieren als voyeuristisch Zuhörende oder als Zuseher der Dokumentation performanceartiger Veranstaltungen. Der Rundgang beginnt im 1. Stock mit der Installation „Verdacht“ (2012). Der Raum wird von einem massiven Einbau dominiert. Heraus drängen Gesprächsfetzen eines Verhörs, welches San Keller vor einer Kritikerschar zu bestehen hatte. Ein Zuhören wird jedoch verunmöglicht, da – sobald weitere Besucher die Installation betreten – die Enge der Gänge den Verweilenden zum Weitergehen zwingt. Die bedrohliche Atmosphäre hätte noch gesteigert werden können, wenn Keller auf den Durchgang zum Hauptsaal verzichtet hätte, so aber erlaubt er uns die Flucht in den lichten Hauptsaal. Dort harren fünf Karaoke-Stationen, ausgestattet mit Mikrofon, Kopfhörer und Monitor, der Aufmerksamkeit, doch diese wird zuerst durch den herrlichen Ausblick an den Flaggen entlang auf die umgebenden Häuserzeilen, das Grossmünster und die Limmat gelenkt. Dies ist ein seltener Anblick, werden doch die Fenster normalerweise durch Ausstellungswände verdeckt. „Digestif (Karaoke)“ (2012) lädt die Betrachtenden ein, in die Rolle von Gesprächspartnern zu schlüpfen und mittels Fließtext deren Passagen nachzusprechen. Die Themen beziehen sich auf Werke von Carlos Amorales, Monica Bonvicini oder Matias Faldbakken. Doch die vermeintliche Interaktivität entpuppt sich rasch als Interpassivität, denn ein Nichtbefolgen des Ablesens durch freies Texten zieht keinerlei Reaktionen des Gegenübers nach sich, Das stoische Befolgen der Anweisungen hingegen führt rasch zu einer gewissen Langeweile. Umso amüsanter das Beobachten derjenigen, die mit aufgesetztem Kopfhörer halblaut Abgelesenes zum Besten geben; in der Menge eine Art bruitistisches Simultangedicht. Obgleich sich die Äußerungen auf konkrete Ausstellungen bzw. Themen beziehen, scheint das Gesagte austauschbar und macht somit auch die Qualität des Geschwafels über Kunst treffend sichtbar. Herrlich auf den Punkt gebracht wird dies in der Erkenntnis Kellers: „Vielleicht bin ich ein bisschen zusammenhangslos.“ Als nächstes gilt es die Tür mit der Nummer 310 zu öffnen. Dahinter ein Hotelzimmer, welches angesichts der funktionalen Einrichtung (besonders gelungen das Zusammenspiel der quergestreiften Grafik mit der längsgestreiften Tapete), des akustischen inneren Monologs und insbesondere der Tristesse des Lichthofs den Besucher dieser Klause zur „Einsicht“ (2012) gelangen lässt, dass es sich beim White Cube im Grunde genommen um eine gefängnisartige Verwahranstalt handeln könnte, die von Freigängern temporär bespielt wird. Im 2. Stock dient die aus einem Zeigestock aus Ebenholz bestehende Arbeit „Nothing Is Perfect“ (2005) nicht nur dazu Fehler aufzuzeigen, sondern auch die zeitliche Komponente des Unfertigen im künstlerischen Werk überhaupt hervorzuheben. Diesem Unperfekten gegenüber steht der Anspruch herauszufinden, was Künstler eigentlich überhaupt tun und was das Besondere hieran sei. Antworten hierauf bieten die Videoprojektionen im nächsten Raum. Labsal und Kurzweil bietet die Dokumentation der Aktion „Markt der Freiwilligen“ (2011) in Frankfurt/Main. Marktstände, die eigentlich nichts anbieten, werden von Freiwilligen betreut, die jedoch selbstständig Unterschiedliches feilbieten. So verkauft ein motivierter Herr nichts Geringeres als „die Anregung zum freien Willen.“ Woraufhin der angesprochene Kaufwillige sagt: „Ich bin schon angeregt.“ Und der Verkäufer daraufhin erwidert: „Das ist die beste Voraussetzung für ein gutes Verkaufsgespräch.“ Einfach herrlich. Weitaus ernsthafter und mit 41 Minuten eher mühsam die langatmigen Statements, welche im Rahmen der Aktion „Exil-Parlament“ (2010/2011) von KünstlerInnen in der Kunsthalle St. Gallen gegeben wurden. Einfach grandios die dritte Dokumentation der Aktion „Der Beruf des bildenden Künstlers“ (2012), welche anlässlich der Berufsmesse Zürich stattfand. Hierbei bespielten San Keller und einige eingeladene Künstlerkollegen wie Pedro Wirz und Christian Vetter den Messestand und erklärten im Umfeld klassischer Handwerksberufe den interessierten BerufsschülerInnen auf eindrückliche Art und Weise den „Beruf“ des Künstlers. Keller selbst ließ sich von Marina Belobrovaja promoten und initiierte sich hierbei als medienscheuer Superstar von dem es Autogrammkarten gab. Im Hauptsaal schließlich folgt die Auflösung der unterschiedlichen Muster, die sich auf den Bannern befinden. Ausgehend von den an der Berufsmesse gemachten Erfahrungen erfolgte eine Einladung Kellers an einige KünstlerInnen im Kollektiv über den gemeinsamen Beruf zu meditieren. Dieses Verharren in „Meditation“ wurde vom Zürcher Grafikbüro NORM beobachtet und in grafische Bildlösungen transformiert und für die Ausstellung auf Banner gedruckt. So greifen in der Installation „Berufsbild“ (2012) mentale Projektion, gestalterische Produktion und die Außenwirkung mittels Beflaggung ineinander. Vom Hauptsaal aus gibt es einen Durchblick auf die „Lagerkabine Nr. 125“ (2012). Bei dieser handelt es sich um einen Depotraum, welchen Keller einst angemietet hatte. Während in allen anderen Räumen der Ausstellung Gespräche ab- oder mitgehört bzw. mitgesprochen werden können, bleibt der Raum der „Lagerkabine“ dem Live-Gespräch vorgesehen. Und Live-Gespräche ergeben sich mannigfaltige im Rahmen dieser gelungenen Ausstellung. Zahlreiche KünstlerInnen spielen mit den Erwartungshaltungen ihrer BetrachterInnen. Keller hingegen lässt auch seine Kollegenschaft nicht aus und so wissen diese nie so genau, was sie erwartet, wenn sie einer Einladung Kellers folgen. Den VertreterInnen der Kritikerzunft geht es ähnlich. Doch bei dieser Ausstellung im Helmhaus lassen sich zumindest einige Werke recht gut zielgruppenspezifisch zuordnen. So versetzt „Digestiv (Karaoke)“ den Konsumierenden in die Rolle des Produzierenden aber auch des Vermittelnden und konfrontiert ihn mit den Unzulänglichkeiten sprachlicher Schärfe beim Sprechen über Kunst. „Einsicht“ zeigt in der Stille des Hotelzimmers die paradoxe künstlerische Herausforderung angesichts des im Alltag vorherrschenden gestreiften dekorativen Einerlei überhaupt kreatives Potential zu entwickeln, wohingegen in „Nothing is Perfect“ gezeigt wird, dass kritisches Urteilen noch niemanden davor gefeit hat, eigenständige Leistungen zu erbringen. Dies betrifft auch den Kritiker. Sowohl die Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen als auch die Aufhebung der Grenzen im Funktionssystem Kunst lassen sich in ihrer Komplexität am besten symbolisch dekonstruieren: als von den mitunter strengen Winden des Marktes umherwirbelnde Behübschungen von begrenzter Haltbarkeit. Mit seiner Beflaggung setzt San Keller am Helmhaus ein starkes visuelles Zeichen, welches durch die als Claqeure klappernden Fensterläden noch akustische Verstärkung erfährt; auch dies eine Form von „Spoken Work.“
Mehr Texte von Harald Krämer

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San Keller - Spoken Work
11.05 - 01.07.2012

Helmhaus Zürich
8001 Zürich, Limmatquai 31
Tel: +41 (0)44 251 61 77
Email: info@helmhaus.org
http://www.helmhaus.org
Öffnungszeiten: Di-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr


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