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Im Raum mit einer barocken Hängung

Meine letzte Causerie handelte von einer neuen Ausstellungspraxis, die Kunst in leeren Räumen präsentiert. Am Beispiel des Pariser Palais de Tokyo ging ich der Frage nach, welche Wahrnehmung forciert wird, wenn Kunstwerke in einer Art essentialistischem Rohbau präsentiert werden. In ihrer Unbehaustheit schien mir diese neue Form gut unsere aktuelle Selbstwahrnehmung widerzuspiegeln. Das einzelne Kunstwerk wird dabei auf magische Weise zum menschlichen Stellvertreter-Objekt. Wie dieser wird es „im bloßen Leben exponiert“: gut ausgeleuchtet auf rauer Bühne, ohne Zusammenhang mit einem größeren Ganzen. Ob man das als heroisch oder verlassen empfindet, bleibt jedem selbst überlassen. Zwecks Kontrastierung möchte ich in dieser Causerie eine etwas ältere Präsentationsweise ins Auge fassen. Besonders geeignet hierzu ist ein Besuch im Kunsthistorischen Museum in Wien. Das KHM ist deshalb so geeignet, weil es ein Museum des Museums ist: Es konserviert und präsentiert nicht nur eine weltberühmte Sammlung, sondern auch die Art und Weise, wie diese über Jahrhunderte jeweils gezeigt wurde. Seit Jänner 2012 ist im KHM auch wieder ein Raum (Saal 12) in so genannter barocker Hängung zu bewundern, d.h. die Bilder hängen in drei bis vier Etagen übereinander und verschmelzen mit der Stuckreliefs der Deckenzone und den Malerbüsten über den Türlaibungen zu einem umhüllenden Gesamteindruck. Man defiliert hier nicht mehr wie in den anderen Räumen an der üblichen Reihe separierter Bilder auf Augenhöhe vorbei, sondern setzt sich am besten auf eines der großen Sofas in der Mitte. Tatsächlich ist das 1891 eröffnete KHM genau für diese Art der Bilder-Präsentation gebaut worden. Seine acht Meter hohen Wände und das Dekorum seiner Räume sind exakt auf diese seit dem 16. Jahrhundert international gängige Hängepraxis zugeschnitten. Historische oder thematische Einordnungen, wie sie ab 1781 aufkommen, waren bei dieser Praxis noch einerlei. Die heute leitende „Kunstgeschichte“ hat sich erst viel später hegemonial durchgesetzt. Die Einrichtung von Sammlungen übernahmen früher zumeist Maler. Und deren Ziel war nicht die Bewunderung einzelner Werke oder Personen, nicht der Vergleich von Nationalstilen oder historischen Entwicklungen, sondern die Schaffung einer Art Blumenwiese an Bildern, aus der sich die nächste Malergeneration jeweils einen Strauß an Inspirationen pflücken sollte, um aus der Zusammenschau diverser gelungener Details und Motive weitere hervorragende Bilder zu schaffen. Den jeweiligen Besitzern solcher Gemäldegalerien ging es selbstverständlich vorrangig um Repräsentation, Prachtentfaltung und Legitimation von Herrschaft, aber der soeben beschriebene Akademie-Aspekt war eben Teil dieser Legitimation. Anhand der Rekonstruktion im Kunsthistorischen Museum lässt sich die anvisierte Maler-Mechanik heute wieder gut nachvollziehen: so dicht gehängt kann man sich auf ein einzelnes Bild nur schwer konzentrieren. Das große Gemälde einer schrecklichen Marterszene, das man früher kaum aushielt, relativiert sich menschlich nun durch eine liebliche Anbetung der Hirten unmittelbar daneben und eine lüsterne Szene mit Lot und seinen Töchtern darunter. Ohne die üblichen Beschriftungen fehlen allerdings der durchgängige Halt der Geschichtenerzählungen und die Orientierung an bekannten Namen. Man spürt sehr deutlich, wie plötzlich der persönliche Geschmack frei gelassen wird und der Blick auf Details in anderen Bildern überspringt. Besonders schwer zu fassen sind dabei die Bilder in der obersten Reihe. Sie spiegeln im Schein der Oberlichter mitunter so stark, dass man nur Schemen sieht und sich die Bilder dort oben größtenteils selbst imaginieren muss. Aber wenn es nicht um die korrekte Würdigung sondern um die bildnerische Eigenproduktion geht, ist eine solche impressionistische Wahrnehmung wahrscheinlich genau jene, auf die einst spekuliert wurde. Wenn man diesen offensichtlichen Effekten nachspürt, wird schnell deutlich, dass Museen jedenfalls keine neutralen Behälter für Kunstwerke sind und auch die heute übliche kunsthistorische Hängung eine überaus gewinnbringende Entwicklung war, die mit entsprechenden Verlust einherging. Gewonnen haben die Gelehrtheit und Historie, verloren haben der vagabundierende Genuss und die Imagination.
Mehr Texte von Vitus Weh

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