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Simon Starling und Superflex – Reprototypen, Triangulationen und Testverfahren: In der widersprüchlichen Spirale der Moderne

Der Spagat ist bis zum Zerreißen gespannt. Soweit gedehnt ist das Feld der Bedeutungen zwischen Symbolischem und Realem. Aus der Gegenwart des heiteren Festes führen die Spuren zurück in die düstere Vergangenheit des 20. Jahrhunderts. Dabei werden die Zeichen des Visuellen auf der Ebene von Sprache und Geschichte zusammen geführt. Schauplatz ist der Wiener Augarten. Dort bespielt Thyssen-Bornemisza Art Contemporary neuerdings das zur Österreichischen Galerie Belvedere gehörige Ambrosi-Atelier. Eine Kooperation zwischen dem per Turner Prize nobilitierten Briten Simon Starling und dem dänischen Künstlerkollektiv Superflex setzt den Anfang. Wie deren Konzepte einander berühren, wirkt fast unglaublich; zum Teil ans Absurde grenzend. Es braucht in der Kunst zwar nicht extra betont werden, dass Konventionen unterlaufen werden, hier aber doch. Etwa lassen Superflex zwei Kühe im Rasen des urbanen Augarten weiden, dessen Grünflächen sonst höchstens für gelegentliche Veranstaltungen genützten werden. Der ungewöhnliche Anblick des Fleckviehs im Stadtgebiet basiert auf biografischen Hintergründen des opportunistischen Bildhauers Gustinus Ambrosi. Nach 1934 kollaborierte dieser mit dem austrofaschistischen System, bevor er es mit den Nationalsozialisten versuchte und zum Günstling von Albert Speer wurde. An einem geplanten Werk mit dem Titel »Jungfrau mit Kuh« zeigten die Nationalsozialisten letztlich doch kein Interesse mehr, nachdem Ambrosi bereits in das tierische Modell investiert hatte. Keineswegs zu bedauern. Als uninteressanter und reaktionärer Künstler, der es sich immer zu richten wusste, erhielt Ambrosi auf Beschluss des österreichischen Ministerrats 1951 besagtes Atelier als persönliches Museum, Atelier und Heimstätte. Endlich wird dieser vernachlässigte Teil der österreichischen Kulturgeschichte bearbeitet. Zugleich geht es um die Moderne, die bekanntlich zwei Seiten hatte. Und der Nationalsozialismus repräsentiert deren negative und barbarische Seite. Wenn also Simon Starling ein Teil eines Shed-Daches, das der französische Konstrukteur und Designer Jean Prouvé (1981 in Nancy verstorben) ungefähr 1956 für das Lycée Blaise Pascal in Orsay entwarf, wie einen verkehrt rum aufgesetzten Spoiler auf einem Transporter montierte und dieses Gefährt dann mit höchst möglicher Geschwindigkeit über ein Flugfeld nördlich von Wien jagte, dann handelte es sich um eine Belastungsprobe im mehrfachen Sinn. Zum einen um einen realen Test im Sinne der für Simon Starling typischen Herangehensweise. Ihn interessiert nämlich die Beschaffenheit von Materialien und in diesem Zusammenhang die technische Umsetzung. Daher ist im Inneren des Augarten Atelier der Kleintransporter mit dem Prouvé-Dachstück darauf ausgestellt. Und selbstverständlich wird auch Spurensuche auf der Ebene der Bedeutungen betrieben. So wie ein architektonisches Teil einer Art Testverfahren unterzogen wird – was in der Realität durchaus üblich ist – werden in der Ausstellung auch unterschiedliche Dimensionen der Moderne aufgerollt und befragt; und zwar unter dem Aspekt der Geschichte von Design, Technik und Wissenschaft. Für »D1 - Z1 (22,686,575:1)« beispielsweise rekonstruierte Starling, was als erster frei programmierbarer Computer der Welt gilt. Es handelt sich um den 1936 von Konrad Zuse entwickelten Rechner Z1 mit 172 Bytes Speicherplatz. Zu sehen ist eine 30 Sekunden lange Animationssequenz in s/w, die wiederum auf herkömmliches 35-mm-Filmmaterial übertragen wurde und von einem in Dresden hergestellten D1 Projektor projiziert wird. Die Spirale dreht sich weiter, sobald man den Fotografien eines Palastes begegnet, den der deutsche Architekt Eckart Muthesius für den indischen Maharadscha von Indore (im Bundesstaat Madhya Pradesh) in den 1930er Jahren entwarf. Dieser vereinte in dem modernistischen Gesamtkunstwerk die innovativsten Entwürfe zeitgenössischen Designs und aktueller Technik von Le Corbusier, Eileen Gray, Marcel Breuer, Lily Reich oder Constantin Brancusi. Man kann sich dann noch vergegenwärtigen, dass die in allen Räumen des Augarten Ateliers hängenden Lampen, die aus einem Kooperationsprojekt zwischen Simon Starling und SUPERFLEX hervorgingen, auf Ideen des dänischen Designers Poul Henningsen aus dem Jahr 1942 zurückgehen. Er entwarf ähnliche Leuchten für den Freizeitpark Tivoli in Kopenhagen. Das Besondere an deren Design ist, dass die Lamellen der Leuchten zwar die Ausbreitung von Licht generell, jedoch nicht nach oben hin zulassen. Der Grund dafür ist klar, sobald man sich das Entstehungsdatum vergegenwärtigt. Es ging um den Schutz vor Luftangriffen. Wir sehen, wo wir angekommen sind und mit welcher Obszönität sich Herr Ambrosi überall anpasste und durchlarvierte. Dass dessen Geschichte an diesem Ort bisher nicht umfassender bearbeitet wurde, ist nicht nachvollziehbar. Umgekehrt wäre es auch nicht passend gewesen, ihn zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen. Herausgekommen ist vielmehr eine subtile, fein verästelte Ausstellung rund um Begriffe und Konzepte der Moderne. Weil es zugleich um Fragen der visuellen Repräsentation und um Bedeutungen in historischen und gesellschaftspolitischen Kontexten geht, verlangt dieses Projekt seinen BesucherInnen Zeit ab; und vor allem die Bereitschaft zur Arbeit. Zu wünschen ist daher unbedingt ausführliches, deutschsprachiges Vermittlungsmaterial. KATALOG Simon Starling / Superflex Reprototypes, Triangulations and Road Tests Herausgegeben von Thyssen-Bornemisza Art Contemporary, 150 Seiten / Englisch. Gestaltung: Vaguely Contemporary (Sara Hartman, John McCusker, Berlin / New York), mit Texten von Esther da Costa Meyer, Robin Mackay, Venugopal Maddipati, Mirjam Schaub und Birgit Schneider.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Simon Starling und Superflex – Reprototypen, Triangulationen und Testverfahren
30.05 - 23.09.2012

TBA21 Augarten
1020 Wien, Scherzergasse 1A
Tel: +43 1 513 98 56 – 24
Email: exhibitions@TBA21.org
http://www.TBA21.org
Öffnungszeiten: Di-So 12 - 19 h


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