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Verschiedene Wunder in verschiedenen Kammern

Ich persönlich glaubte immer schon an Wunder: Kaum beginnt beispielsweise die Sonne nach langem Winter wieder zu wärmen oder jemand ist mal auffallend freundlich zu mir, schon bin ich davon überzeugt, dass alles gut und lebendig werden wird. Auch wenn es sich dann nicht bewahrheitet: diesen Wunderglauben lasse ich mir nicht nehmen. Das Leben verlöre seinen Glanz. Dass es meinen Mitmenschen diesbezüglich nicht viel anders ergeht, zeigt sich am anhaltenden Boom der kleinen Glücksspiele, am wiederholten Einsetzen von parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und im Vertrauen in die Liebe und die Pensionskassen. Dem Wunder kommt aber auch im Kunstbereich ein wachsendes Interesse zu. In Wien wartet man beispielsweise schon sehnsüchtig auf die Wiedereröffnung der Wunderkammer des Kunsthistorischen Museums. Doch halt! Was da im Februar 2013 auf einer Fläche von 2700m² eröffnet werden soll, heißt gar nicht mehr „Kunst- und Wunderkammer“. Die angekündigte Sammlung an berühmten Goldschmiedewerken, an filigranen und bizarren Elfenbeinarbeiten, komplizierten Automaten und merkwürdigen wissenschaftlichen Instrumente gründet zwar auf den „Kunst- und Wunderkammern“ Ferdinands II. von Tirol und Kaiser Rudolf II, aber sie heißt heute nur mehr „Kunstkammer“. Alles Pansophische, Magische und Wunderbare wurde ihr im Laufe der Zeit scheinbar ausgetrieben. Die Kräfte der Aufklärung systematisierte die universale Zusammenschau des 16. Jahrhunderts aus Alraunen und Bezoaren, aus Steinschneidewerken und Pokalen, aus ausgestopften Chamäleons, Fischen und Paradiesvögeln völlig neu. Die Dinge wurden vereinzelt, die Kunstwerke von den Naturalien und Kuriositäten geschieden. Es war der Anfang der verschiedenen wissenschaftlichen Museen wie wir sie heute kennen. Einen exemplarischen Endpunkt dieser Entwicklung zeigt sehr schön die Positionierung der beiden großen Museen im Wiener Kaiserforum: Kunsthistorisches und Naturhistorisches Museum stehen sich da polar gegenüber. Als 1891 der einstige Wunderkammerbestand erstmals im neuen Kunsthistorischen Museum gezeigt wurde, wurde sie konsequenterweise nur mehr profan als „Sammlung kunstindustrieller Gegenstände“ bezeichnet. Die Bezeichnung „Kunstkammer“ wurde erst 1990 wieder eingeführt. Dass allerdings anlässlich der kommenden Neupräsentation just Olafur Eliasson die Beleuchtungskörper dafür gestalten wird, garantiert bereits wieder zauberhafte Aspekte. Die Vereinzelung der Objekte wird man aber mittels ca. 300 Vitrinen fortschreiben. Ein anderes Beispiel für die Konjunktur des Wunderbaren ist derzeit in der Kunsthalle Krems zu besichtigen. Die Ausstellung, kuratiert von der „Praxis für Ausstellungen und Theorie“ (Hürlimann, Lepp, Tyradellis), heißt schlicht „Wunder“ und ist auch buchstäblich eines: Ich habe tatsächlich seit langem keine so inspirierende Schau mehr gesehen wie diese. Sie ist eine Übernahme aus den Deichtorhallen in Hamburg, wo ich sie mir zu Neujahr (guter Zeitpunkt für Wunderglauben) angesehen hatte. Zitat aus der Ankündigung: „Werke der Gegenwartskunst umkreisend, beschäftigt sich die interdisziplinäre Ausstellung mit dem, was in unserer Welt aus dem Rahmen fällt: von der unerklärlichen Heilung, dem unglaublichen Naturschauspiel und dem wundersam Fremden über die unverhoffte technische Innovation, die künstlerische Idee bis hin zum bloßen Zufall. Das Wunder wird so kenntlich gemacht als eine Öffnung in der Welt.“ In Hamburg wurde die angesprochene „Öffnung der Welt“ durch eine helle und luftige, zum Teil zersplitternde Ausstellungsarchitektur unterstützt (für Ansichten siehe www.wunder-ausstellung.de). In Krems hat man hingegen auf ein System dunkler Kammern mit Spotlichtern gesetzt, das in seiner klerikalen Farbigkeit zudem einen Brückenschlag zum benachbarten Barockstift Göttweig unternimmt. Die Wirkung der beiden Ausstellungsgestaltungen hätte nicht unterschiedlicher ausfallen können: In Hamburg schwebten die Wunderdinge über einem nüchternen Boden, sie zeigten sich im hellen Licht und waren dennoch kraftvoll. In Krems hingegen sind die Wunderdinge in eine forciert „magische“ Rauminszenierung eingebettet. Durch diese Scheinwelt aber wirkt es, als ob man den Dingen ihre inhärente Magie nicht ganz zutrauen würde. Die verschiedenen Ausstellungsdisplays präsentieren dadurch also durchaus verschiedene Wunder: in Krems führt man den Zauber der Illusionen vor, in Hamburg die Resistenz der Kunst und des Wunderglaubens selbst skeptischem Licht gegenüber. Im Kunsthistorischen Museum wiederum versicherte man mir, dass bei der Raumstimmung der künftigen Kunstkammer (Gestaltung: Architekturbüro hg merz, Stuttgart) großen Wert auf Helligkeit gelegt werden würde. Das beruhigte mich: Man scheint dort an die Wunderkraft der Dinge wirklich zu glauben.
Mehr Texte von Vitus Weh

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