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Dieter Roth - Selbste : Mit eingebautem Verfallsdatum

Wohl kaum ein anderer Künstler des 20. Jahrhunderts radikalisierte den zeitlichen Faktor in der Kunst derart drastisch wie Dieter Roth (1930 – 1998). Und wenn das Museum der Moderne in Salzburg das Werk des produktionsbesessenen Egomanen in einer großartigen (Seelen-) Schau anhand seiner schonungslosen Selbstdarstellungen auffädelt, so hat das gute Gründe: Im eigenen Ich und dessen absehbarer Vergänglichkeit ist das Schaffen eines der mutmaßlich letzten großen Universalkünstler begründet. Seit seinem Frühwerk der späten 40er Jahre des vergangenen Jahrhunderts bis zu seinem lakonisch-monumentalen Video-Kosmorama „Solo Szenen“ (1997/98) dreht sich alles um die Figur des Künstlers und wie sich dieser in Bezug zu all den Anderen in Szene setzte. Herausragend seine „Selbste“ (Dieter Roth) in Schokolade, Zucker und anderen leicht verderblichen Ingredienzien, Skulpturen, die in ihrer Machart dem Restauratoren-feindlichen Untergang geweiht sind. Seine „Selbstporträts als alter Mann“, der „Löwenselbstturm“ oder „P.O.Th.A.A.VFB. (Portrait of the Artist als Vogelfutterbüste) – eine klassische Outdoor-Skulptur - nehmen wie von nebenher sich selbst und die Heroen der klassischen Moderne auf die leichte Schulter von Verfall, Verlust und Verschwinden; Alberto Giacomettis „Skulpturen aus Spucke“ (Barnett Newman) sehen sich an einen kaum zu toppenden Endpunkt getrieben. Dass Roths Gesamtkunstwerk eines Schimmelmuseums in Hamburg durch seine konzeptuelle Nichtbeachtung rigider Hygienevorschriften über kurz oder lang demontiert werden musste, ist bedauerlich, aber auch im Werk selbst angelegt. Denn Vergänglichkeit war für Roth kein Thema verzärtelter Konversation zum Thema Kunst und Leben, sondern sollte einem in bestialischem Gestank und in ablesbarem Zerfall und Selbstzerstörung buchstäblich den Atem nehmen. Dabei agierte Roth immer und aus Prinzip gegen den Kunstmarkt: Als Anfang der 70er Jahre die Weltkunst der formsuchenden „Materialgesten“ aus der „Agentur für geistige Gastarbeit“ von Harald Szeemann im Trend lag, zog er sich auf die Form und die Formalitäten des Tafelbildes zurück. Doch in den oft als anstößig empfundenen Titeln („Mit Vogelkacke sich ernährender bleicher Schleimbonbonschmeisser“) und einer wenig sachgerechten Technik distanzierte er sich umgehend von den erhabenen Ansprüchen der Malerei und entsprechender Fürsten. Plus: In „Selbstbildnis als Loch“, einer unscheinbaren Tuschezeichnung von 1973, markierte er einen grundlegenden Punkt seiner negativ formulierten Selbstentblößungen. Sich selbst als „Nichts mit was drumrum“ (Jochen Distelmeyer) fragwürdig geworden, setzte er fortan sein entleert-entrümpeltes Innenleben in Bezug auf seine unmittelbare Außenwelt (wie in den heillos ausufernden Sammelstellen seiner „Materialbilder“). Dieter Roth: Ein „Messie“ vor der Zeit? Um diese Leerstelle im Ich gewinnbringend zu füllen, suchte Roth die Zusammenarbeit mit anderen Künstlern, mit Richard Hamilton und Arnulf Rainer etwa. Dass er in der Szene der österreichischen Extrem-Künstler fündig werden musste, lag eigentlich in der existenziell aufgeladenen Luft. Nicht nur im Video „Duell im Schloss“ prallten zwei kongenial kontroverse Charaktere aufeinander. In ihrer „Misch- und Trennkunst“ explodierte die verstörende Ausdrucksintensität Rainers förmlich an der irritierenden Farb-Figuren-Logik von Roth: Der dritte Künstler „Rainer/Roth“ war geboren. Wenn „Dieter Roth. Selbste“ entsprechend der Richtlinien eines Museums nach menschlichem Ermessen keimfrei und geruchsfern ist, dann ist das den Exponaten und deren Präsentation nicht abträglich. Im Gegenteil. So kann in voller Transparenz den weit verzweigten Querverbindungen und den wild wuchernden Abgründen in Leben und Werk nachgespürt werden. Und angesichts der ungebremsten Wucht des Rothschen Schaffens wirkt das „Selbstporträt als Essiggurkerl“ von Erwin Wurm ein Stockwerk tiefer auf andere Art fast schon tragisch...
Mehr Texte von Stephan Maier †

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Dieter Roth - Selbste
04.03 - 24.06.2012

Museum der Moderne Salzburg Mönchsberg
5020 Salzburg, Mönchsberg 32
Tel: +43 / 662 / 84 22 20-403, Fax: +43 / 662 / 84 22 20-700
Email: info@mdmsalzburg.at
http://www.museumdermoderne.at
Öffnungszeiten: täglich 10-18 h, Mi 10-20 h


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