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Öffentliche Wirtschaft in Kunst und Kultur: Das Einkommen der 99%

Geld, Geld, Geld, Geld, Geld! Wenn das so weiter geht, werde ich als Gegenreaktion bald über das Versmaß experimenteller Lyrik schreiben. Nach Jahrzehnten des verschwiegenen Umgangs mit Einkommen und Honoraren, in denen es in Wien leichter war, Auskünfte über das Sexualleben eines Bekannten zu erhalten, als über dessen Kontostand, springen uns – spätestens seit der Veröffentlichungspflicht von Gehaltsangaben in Stelleninseraten – die Eurozeichen von allen Seiten an. Doch wie sagen die Männer beim Sport und beim Trinken? Einmal geht es noch! Den Anlass für den Einstieg in die Sportmetaphern liefert der jährliche Einkommensbericht für die öffentliche Wirtschaft, den der österreichische Rechnungshof (RH) erstellt, um eine Datenbasis zur Diskussion der Mittelverwendung im öffentlich finanzierten Sektor bereitzustellen. (1) Das 584-seitige Dokument enthält insofern «Causerie»-taugliches Material, als es sich in zwei Kapiteln der Einkommenserhebung im institutionellen Kunstfeld widmet, wobei der RH aus systematischen Gründen eine Teilung in zwei Gruppen vornimmt. Die erste Gruppe «Kunst, Unterhaltung und Erholung» umfasst die Bundesmuseen und andere museal-vermittelnde Organisationen, aber auch einige Nationalparkbetreiber, die spanische Hofreitschule und Sehenswürdigkeiten wie die Marchfeldschlösser. Diese Gruppe positioniert sich in der Gehaltsbundesliga mit einem Durchschnittseinkommen von 33.400 Euro (2) auf Rang 17 von 23 Rängen zwischen dem «Grundstücks- und Wohnungswesen» und der «Erbringung von sonstigen Dienstleistungen». Die zweite Gruppe nennt der RH «Einrichtungen künstlerischer Art». Diese Abteilung, mit vorwiegend Hochkulturchampions wie den Salzburger Festspielen und dem Burgtheater, schafft es mit 44.800 Euro bereits auf Platz 10 derselben Tabelle, die vom Bereich «Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden» mit einem Durchschnittseinkommen von 78.400 Euro angeführt wird. Soweit so durchschnittlich und immer noch über dem von der Statistik Austria erhobenen österreichischen Durchschnittseinkommen von 28.715 Euro im Jahr 2010. (3) Man könnte das Dokument also aus Sicht der Kultur unaufgeregt ablegen, nähme der fleißige Rechnungshof nicht auch noch eine Differenzierung zwischen den Mitgliedern der Geschäftsführung und allen anderen Beschäftigten vor. Widmet man sich dieser Unterscheidung zeigt sich, dass die jährlich geführte Diskussion über die Top-Einkommen der Direktor_innen (4) einer Ergänzung bedarf, die die Lage jener 99% der Beschäftigen mit einbezieht, die dem Leitungspersonal gegenüberstehen. Markanter Weise belegen beide Kultursektoren im Ranking der Geschäftsführungsgehälter höhere Plätze als in der Aufstellung der Beschäftigteneinkommen, wobei der Sprung im Bereich «Kunst, Kultur und Erholung» von Platz 17 auf Platz 10 am eindrucksvollsten ausfällt. Dass die Diskrepanz im Bereich der anderen Gruppe mit den großen Theatern und Festspielen weniger deutlich ist (von Platz 10 auf Platz 7), könnte daran liegen, dass in diesem Bereich das künstlerische Personal mit einem Durchschnittseinkommen von 59.400 Euro für einen stärkeren «Mittelbau» sorgt. Dankenswerter Weise liefert der RH auch noch eine Art Gini-Index (5), der das Verhältnis von Spitzen- zu Durchschnittseinkommen über alle Sektoren hinweg vergleichbar macht. Im Durchschnitt aller Sektoren der öffentlichen Wirtschaft verdienen demnach die Leitungspersonen das 3,7 fache des Durchschnittseinkommens aller Beschäftigten, mit den Bauunternehmungen (2,8) am unteren Rand und dem Sektor «Verkehr und Lagerei» (5,5) am oberen Ende der Skala. Auch hier ist die Gruppe «Kunst, Kultur und Erholung» mit einem Faktor von 4,6 «ungleicher» als die Sparte «Künstlerische Einrichtungen», die mit 4,2 weniger stark über dem Mittel liegt. Nun ist der Verfasser ja tendenziell für hohe Leitungsgehälter, wenn dem Verdienst auch Verdienste gegenüberstehen, und die Spitzengagen dafür sorgen, den Kultursektor als Ganzes «in die Höhe zu ziehen». Und es kann zumindest festgehalten werden, dass es keine Kunstinstitution in die ultimative Top 23er-Liste geschafft hat, deren Geschäftsführer_innen mehr als der Bundeskanzler (286.500 Euro) verdienen, was das eine oder andere Kulturalphatier wurmen könnte. Doch der Blick auf die vom RH vorgelegten Jahresverläufe lässt einen für die Mitarbeiter_innen doch auf eine stärkere Interessensvertretung hoffen. Seit 2007 stiegen die Durchschnittsgehälter der Leitenden in «Kunst, Kultur und Erholung» von 100.800 Euro auf 159.900 Euro und damit um 58,8 %, während die Durchschnittsgagen der Angestellten im selben Zeitraum von 33.900 Euro auf 33.000 Euro um 2,65 % sanken, und jene der Arbeiter_innen gar um 25% in die Tiefe stürzten. Eine andere Vertretungs- und Kollektivvertragsstruktur scheint dafür verantwortlich zu sein, dass der Schwestersektor «Künstlerische Einrichtungen» mit ca. 13,5 % Zuwachs für die (teils beamteten) Beschäftigten, gegenüber 9,64% für die Leitungsebene, ein so deutlich anderes Bild zeichnet. Apropos ökonomische Waffengleichheit: Vielleicht sollten die durchschnittlich 400 bis 900 Jahreseuro für Kuratorien und Aufsichtsrät_innen, die der Bericht ebenso akribisch ausweist, nicht zuletzt deshalb angehoben werden, um diesen zentralen Organen etwas mehr Lust zu machen, sich mit diesen und anderen Fragen zu beschäftigen. Doch eine gute Nachricht zuletzt, bevor wir uns vollständig im Gehaltsdschungel verlieren: Im Ranking der Frauen in Leitungspositionen dominieren die Kultursektoren mit Werten über 30% stolz die beiden Spitzenplätze. Knapp dahinter folgen die Universitäten, doch deren Zahlen kann ich mit einem Kolumnenhonorar von 0,22 % des Durchschnittseinkommens in diesem Sektor nicht auch noch analysieren. (1) www.rechnungshof.gv.at/berichte/einkommensberichte.html (2) Alle Werte Jahresbruttoeinkommen, wobei die Durchschnittswerte wiederum auch die Geschäftsführer_innen enthalten. (3) Arithmetisches Mittel laut www.statistik.at (4) Meist ausgelöst durch Thomas Trenklers «Hitliste» im Standard. Für 2010 siehe: derstandard.at (5) Der Gini Index wird unter anderem dafür verwendet, das Maß der Gleichheit oder Ungleichheit der Verteilung von Vermögen und Einkommen zu bestimmen.
Mehr Texte von Martin Fritz

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