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Der nackte Mann : Enthüllung statt Entrüstung

340 Werke von mehr als 200 Künstlern, Künstlerinnen und Künstlergruppierungen, eine Megaschau, die sich inklusive der trendigen Begleitveranstaltung „Vollmilch. Der Bart als Zeichen“ über die gesamte Ausstellungsfläche erstreckt und ein mächtiges Katalogbuch obendrein: Man kann nicht direkt behaupten, dass Größe keine Rolle spielen würden, wenn das Lentos Kunstmuseum Linz einen feministisch angehauchten Blick auf den nackten Mann wirft. Dass sich die Show in solche Dimensionen emporgeschwungen hat, hat einerseits mit dem ambitionierten Anspruch der drei Kuratorinnen zu tun, auf der anderen Seite ganz einfach mit der Tatsache, dass der Überblick über die unverhüllte Lebens- und Leidensform Mann schon jetzt auf das zehnjährige Bestehen des Museums im Jahr 2013 vorausweisen soll. Nichts aber ist in „Der nackte Mann“ auf Provokation, Entrüstung durch Entblößung aus. Vielmehr wird wie nebenbei eine sozialgeschichtlich unterfütterte Geschichte der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts, Stichwort Emanzipation, erzählt und wie sie sich an den verschiedensten Aggregatzuständen des männlichen Nacktseins festmachen lässt. Vor dem Hintergrund der grundlegenden Fin-de-Siècle-Gestimmtheit der Zeit um 1900 kann die Verabschiedung des Manns-Bild von seiner mythologisch-religiösen Instrumentalisierung, seiner interpretativen Inanspruchnahme als Held und / oder Heiliger mehr bis minder anschaulich und einleuchtend vermittelt werden. Nur logisch scheint die Zusammenarbeit mit dem Ludwig Museum in Budapest. Parallel zum Base Jump in die abgründigen Tiefen männlich-menschlicher Selbstzerfleischung und Seelenschau à la Schiele und Co., vollzog sich die Zersplitterung der österreichisch-ungarischen Donaumonarchie: Auflösung hier wie dort. Was jetzt allerdings zu einer Auswahl von Exponaten führt, deren kunsthistorischer Rang zumindest aus westlicher Sicht bezweifelt werden kann, die aber stilistisch den themenübergreifenden Spagat zu einem konzentrierten Best-of der Sammlung des Lentos schaffen. Dabei ist es eine ganz eigene Qualität der Show, im kuratorisch (zu) wenig gezügelten visuellen Angebot und einer diskutierbaren Einteilung in 12 Kapitel einen lange tabuisierten Blickkontakt aufzuzeigen, und sofort wieder zum Verschwinden zu bringen: Der nackte Mann ist nicht nur unsichtbar, wie es im Katalog heißt, also schambewusst in diversen Geheimkammern verborgen, sondern er wird es als bürgerschrecklicher Stein des Anstoßes im Verlauf eines Rundgangs erst – er löst sich auf und wird verschwunden sein. Zwar nicht wie bei Ovid in den Metamorphosen, aber immerhin. Und doch gibt es Arbeiten, die eine allzu linientreue Anbindung an die altbekannte Genderproblematik per se sprengen. Anna Jermolaewas Video „ON / OFF“ zum Beispiel. In der Betätigung eines Lichtschalters stellt sich kaum noch ernsthaft die Frage, wer oder was denn da ausgeknipst wird, wenn sich der männliche Lümmel ins Bild schiebt. Denn das Spiel der Geschlechter hatte von Anfang an etwas von Slapstick, oder?
Mehr Texte von Stephan Maier †

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Der nackte Mann
26.10.2012 - 17.02.2013

Lentos Kunstmuseum Linz
4020 Linz, Ernst-Koref-Promendade 1
Tel: +43 70 7070 36 00
Email: info@lentos.at
http://www.lentos.at
Öffnungszeiten: täglich außer Mo 10-18 Uhr, Do 10-21 Uhr


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