Werbung
,

Russian Renaissance: Die Zweite Generation

Kaum einen besseren Titel hätte es für diese Ausstellung geben können, selbst wenn dessen Versprechen nicht ganz eingelöst wird. Mit „junger Kunst“ soll eben wieder Aufmerksamkeit für die nach wie vor fragmentarisch gefestigte Kunstszene in Russland erzeugt werden. Angesteuert wird die Folgegeneration nach der Perestroika. Allein das ist eine Ansage! Denn was kam nach dem großen Boom in den 1990er Jahren? Nach einigen engagierten Ausstellungen und dem Boris Groys-Hype? Wenig Russisches, dafür aber 17 China-Ausstellungen! In Russland selbst lief die Abfolge der politischen Systeme stets auf die Aufrechterhaltung von Klassen- und Kastenunterschieden und damit verbundenen Repressionen hinaus. Dementsprechend aufgespalten ist das Publikum aktueller Kunst in reiche Lifestyle Gesellschaft und interessierte Szene. Starr sind noch die meisten Kunstinstitutionen, was die Dynamisierung des internationalen Austauschs betrifft. Für die Einstellung innerhalb der EU-Grenzen gilt Ähnliches. Doch vergessen wir mal die allgemeinen Rahmungen. Man betritt eine vom ersten Moment an erfrischende Ausstellung, strukturiert durch ähnliche Motive und Topoi. Es ist die Lust oder die existentielle Notwendigkeit an der Provokation. Es sind Fragestellungen um Diskurs in der Öffentlichkeit und um Demokratie. Nicht zuletzt werden etablierte Zeichensysteme und Symbole cool aufgewirbelt und subversiv unterlaufen. Es braucht sich nur die PG-Group mit Panzerfäusten bewaffnen und prominente Gebäude in Moskau in Brand zu stecken als Inszenierung in deren Fotoarbeiten. Es braucht nur Anton Nikolaev von der Gruppe Bombily – ebenfalls fotografisch – demonstrieren, was Performance heißt: nämlich öffentliche Auspeitschung irgendwo in einem Hinterhof. Oder Victoria Lomasko: Datiert mit 10. 12. 2011. protokolliert sie zeichnerisch die Demonstrationen gegen die offenbar manipulierten Wahlen vom letzten Dezember. Besonders im Verein mit den relativ ausgebreiteten Blue Noses könnten all diese Positionen schnell zusammenwachsen zu einem homogenen Format „russische Kunst“. Gewisse Zeitverschiebungen tragen ihr Schärflein bei. Denn Oleg Kulik ist längst nicht mehr der wilde Hund von einstmals, wie in der Ausstellung, sondern mittlerweile auf Esoterik Trip. Das die Ausstellung bewerbende Sujet der AES+F Group, die mit einem Schleier versehene Freiheitsstatue wiederum stammt aus dem Jahr 1996. „Junge“ Kunst. Einige AES+F Mitglieder sind über fünfzig und Sergey Chilikov, dessen Fotowerke auf inszenierte Weise den Alltag von ArbeitsmigrantInnen porträtieren, wird bald 60! Egal, der kleine Etikettenschwindel stört nicht. Jede Ausstellung braucht zudem ein Eventelement als Auftakt, um eine These anzureißen. Dem Galeristen und Kurator Hans Knoll gelang es gemeinsam mit Kuratorin Vasilina Verdi ein interessantes Statement zu setzen. Klar, dass es nicht um museologische Feinarbeit ging. Konstruktion ist sowieso jede Ausstellung. Wichtig ist die Beleuchtung eines aus irgendwelchen seltsamen Gründen immer noch wenig berücksichtigen Terrains aktueller Kunstproduktion. Offenbar leben wir weiterhin im Schatten von Jalta. Umso mehr ist hervorzuheben, dass ein kleiner Katalog hergestellt wurde. Leider fehlen diesem Kurzporträts der KünstlerInnen. Schade auch, dass in der ersten Woche noch nicht alle Werke beschriftet waren. Doch „Russian Renaissance“ ist keineswegs so monothematisch angelegt wie es scheint. Die tatsächlich jüngere Generation bringt nämlich oft ironische Momente ein, oder überlagert mehrere Motive. Die aktuell vielbeachtete Polina Kanis, Jahrgang 1985, geboren in Petersburg, bezieht sich in einem Video auf ein russischen Märchen, in dem sie auf einer Terasse mit Blick auf Moskau in ihrem Rock auf sie zugeworfene Eier einfängt. Gewalt wird hier nur subtil angedeutet. In der Videoarbeit der – übrigens in der Nähe von Wien lebenden und in Kurgan im Südwesten Sibiriens geborenen – Lena Lapschina begegnet ein Mann einem offensichtlich schrumpfendem Schneemann. „every person needs a friend“. Zum Schreien komisch oder existentiell tragisch? Auch zu erwähnen die sehr junge Ystina Yakovleva mit sensiblen Bleistiftzeichnungen und Beleg der KuratorInnen für die Befreiung der Kunst von den gesellschaftlichen Verhältnissen. Zu diskutierende Grundsatzfrage. Sicher, es handelt sich um eine Verkaufsausstellung. Doch zugleich um ein durchdachtes Projekt mit Standpunkt. Der Frage, in welche Richtung die Kunst des 21. Jahrhunderts leitet, sollten wir uns immer wieder stellen. Während anderswo, relevante Positionen zerschnipselt und in irgendwelche schwarzen Puppenhäuschen hineingezaubert werden, wird diese Frage hier in einer der wichtigen Außenstellen des Wiener Ausstellungslebens zumindest ernsthaft aufgeworfen.
Mehr Texte von Roland Schöny

Werbung
Werbung
Werbung

Gratis aber wertvoll!
Ihnen ist eine unabhängige, engagierte Kunstkritik etwas wert? Dann unterstützen Sie das artmagazine mit einem Betrag Ihrer Wahl. Egal ob einmalig oder regelmäßig, Ihren Beitrag verwenden wir zum Ausbau der Redaktion, um noch umfangreicher über Ausstellungen und die Kunstszene zu berichten.
Kunst braucht Kritik!
Ja ich will

Werbung
Werbung
Werbung
Werbung

Russian Renaissance
18.01 - 25.02.2012

HilgerBROTKunsthalle
1100 Wien, Absberggasse 27
Tel: +43 1 512 5315 220, Fax: +43 1 603 0639
Email: brot@brotkunsthalle.com
http://www.brotkunsthalle.com
Öffnungszeiten: Di-Sa: 12-18h


Ihre Meinung

Noch kein Posting in diesem Forum

Das artmagazine bietet allen LeserInnen die Möglichkeit, ihre Meinung zu Artikeln, Ausstellungen und Themen abzugeben. Das artmagazine übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der abgegebenen Meinungen, behält sich aber vor, Beiträge die gegen geltendes Recht verstoßen oder grob unsachlich oder moralisch bedenklich sind, nach eigenem Ermessen zu löschen.

© 2000 - 2024 artmagazine Kunst-Informationsgesellschaft m.b.H.

Bezahlte Anzeige
Bezahlte Anzeige
Gefördert durch: