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Kris Martin - Every Day of the Week: Der Bleistift, nicht der Zeichner sein

Das mit den Schädeln ist so eine Sache. Sie mögen ja als memento mori taugen, doch sobald man sie für eine gewisse reliquiare Authentizität bemühen will, wird es schwierig. Bei Schillers Schädel ist man sich seit jeher unsicher, von Johannes dem Täufer soll es gar mehrere geben, einer davon -so hält sich die Mär hartnäckig- wäre das Haupt des 12-jährigen Johannes. Soweit, so kopflos. Meret Oppenheim nutzte 1964 die Möglichkeiten der Röntgenaufnahme für ein transluzides Selbstportrait, knapp ein halbes Jahrhundert später gibt es mit „Still Alive“ von Kris Martin den Schädel des Künstlers als 33-jährigen, kühl glänzend aus versilberter Bronze. Es gibt kaum eine Arbeit des 1972 im belgischen Kortrijk geborenen Künstlers, die nicht Zeit in ihrer Vergänglichkeit aber auch Immaterialität zum Thema hat und es ist weniger Pathos als Humor, der dieses Œuvre ausmacht. Kris Martin erfindet keine Kunst, er findet sie. Sein Material hierfür ist das Inventar der Welt und nicht der Kontext wird dabei verändert, sondern die Information. Und oft ist es nur eine Sache des Blickes. Ein Grüppchen von Steinstelen wird durch ihre winzigen aufgesetzten Papierkreuze zu einer Felslandschaft von Casapar David Friedrischem Ausmaß, die für die Serie „Spatium“ im Inneren eines vor 650 Jahren gestorbenen Mönches aufgenommenen Furchen und Fugen, erinnern an kahle Landschaften, die sich „Heaven on Earth“ nicht als die Unendlichkeit des Sternenhimmel, sondern als Relikt der Endlichkeit eines staubigen Fußbodens. Kafkas „Verwandlung“ übereinander auf ein einziges Blatt Papier geschrieben macht aus der weißen Seite ein schwarz unleserliches Nichts. In „End-Points“, de fein säuberlich ausgeschnittenen und aufgeklebten Satzzeichen werden unvergleichliche Werke der Weltliteratur auf ihren einzigen gemeinsamen Nenner gebracht, den finalen Punkt. Da gibt es keine individuelle Geste, keine persönliche Handschrift, sondern Aneignung und perfekte Ausführung, oder wie es der Künstler selbst formuliert: „Ich bin der Bleistift, nicht der Zeichner.“ Für „trinity I“ eine der bekanntesten Arbeiten Martins, wurden von einer Anzeigetafel, wie wir sie von Flughäfen und Bahnhöfen kennen, die Ziffern und Buchstaben entfernt. Mit dem vertrauten Klappern bewegen sich nun die leeren, schwarzen Täfelchen. Abfahrt?Ankunft? Ziel? -alles ist einerlei, das Museum ein Nicht-Ort, das Leben eine Durchreise. Weitere Stationen der Ausstellung sind das Kunstmuseum Aargau und die Kestnergesellschaft Hannover.
Mehr Texte von Daniela Gregori

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Kris Martin - Every Day of the Week
02.02 - 22.04.2012

Kunstmuseum Bonn
53113 Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 2
Tel: +49 228 77 6260
Email: kunstmuseum@bonn.de
http://www.kunstmuseum-bonn.de/
Öffnungszeiten: Di-So 11-18, Mi 11-21 h


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