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Große Vorzimmer

Die Stadtwerke Wolfsburg, Balkan Air in Sofia und die Metro Verwaltung in Tokyo haben zwei Gemeinsamkeiten. Das eine ist eine durchgestaltete Lobby; das andere ein Foto derselben in Wolfgang Thalers jüngstem Band \"Mep\Yuk\", einem der schönsten Fotobücher der letzten Zeit. Gleich 37 dieser großen, öffentlichen \"Vorzimmer\" versammelt dieses Buch, nebst einer Doppelseite mit einer Abbildung von Claes Oldenburgs Installation \"Bedroom Ensemble\" von 1963, das Christian Kobald als eigenen Beitrag \"Mep\Yuk\" gewidmet hat. Das Hotelzimmer, das darin nachgestellt ist, spiegelt und konterkariert die Idee von \"Mep\Yuk\". Mep\yuk ist ein erfundenes Wort, das so viel bedeuten soll wie \"Die Zentrale\", der Untertitel des Buches. Es klingt irgendwie nach Balkan, und auch die menschenleeren, wie für ein Hochglanz-Magazin fotografierten Hotel-, Flughafen- und sonstigen Lobbys, Eingangshallen und Warteräume sehen ein wenig aus, als stünden sie am Balkan, auch wenn die meisten nicht in Sofia, sondern in Tokyo, Mexico City, Tel Aviv, Wolfsburg und Wien zu finden sind. Es war ein geschickter Schachzug Thalers, für sich zu behalten, welcher Raum wohin gehört. Auch zeitlich sind sie schwer einzuordnen, doch dürfte die Geburtsstunde dieses \"internationalen Stils\" irgendwann in den frühen Siebzigern geschlagen haben. Beim Blättern erschließt sich ein seltsames Phänomen: Wir blicken in die Räume hinein, sie aber schlucken unseren Blick wie der häufig zu sehende Spannteppich den Schall. Nichts blickt zu uns zurück. Zum einen liegt das daran, dass \"Mep\Yuk\" menschenleer ist. Ein zweiter Grund dafür besteht in Wolfgang Thalers Understatement. Er vermeidet es strikt, Einzelheiten in Szene zu setzen. So wird aus der abgebildeten Bandbreite von Lampen, Tischen, Sesseln, Fußböden, Türen, Treppen, Wänden, Decken, Aufzügen, Rolltreppen, Aschenbechern und Telefonen ein Formenvokabular des Überindividuellen. Wolfgang Thalers Mep\Yuk ist nie das Gesicht eines Gebäudes, auch nicht sein Nabel, wie man vielleicht vermuten würde, sondern viel mehr der Ellenbogen oder das Knie. Diese \"Gesichtslosigkeit\" ist es, die kongenial zum Thema passt. Mep\Yuk - das ist der Ort der Anonymität schlechthin. Wolfgang Thaler, Mep\Yuk - Die Zentrale, Fotohof editionen, Salzburg 2001
Mehr Texte von Andrea Winklbauer

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Ihre Meinung

1 Posting in diesem Forum
Danke für den Artikel
Gabi Wagner | 13.10.2003 01:58 | antworten
Ist zwar schon etwas her, aber hoffentlich noch nicht zu spät für die Rückmeldung. Sehr einfühlsam geschrieben und man bekommt direkt Lust im Buch zu blättern.

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