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Heidrun Holzfeind - Strictly Private: Entlang der Bruchlinien der Moderne

Interessant, dass aus einem Fehler heraus, der sich im Zuge der Entwicklung von Fotografien ergab, eine sehr eigenwillige Poesie entstehen kann. Und interessant, dass sich im Werk einer Künstlerin gleich in zwei Zyklen in derselben Ausstellung Fehler manifestieren. Noch bemerkenswerter allerdings, dass sie den Entschluss fasste diese einfach so zu belassen. Tatsächlich wirken sie wie visuelle, fast poetische Verstärker in den Arbeiten von Heidrun Holzfeind. Wie Akzente der Verfremdung, um die Annährung an ihren zentralen Forschungsgegenstand, an verschiedene Sichtweisen und Wahrnehmungsformen des Privaten zu verdeutlichen. Und soziologisch existiert dieses nur im Kontrast zum Öffentlichen als erweiterter kommunikativ, gesellschaftlich, ökonomisch und architektonisch strukturierter Zusammenhang. Die sogenannten Fehler in einigen Fotoarbeiten von Heidrun Holzfeind sind strukturierte Schleier, die entweder durch Rinn- oder Wischspuren nicht korrekt abgeronnenen Entwicklers oder direkt in der Maske, in der das Foto zur Entwicklung lag, entstanden sind. Sie wirken fast logisch als Fortführung ihres Konzepts. Denn auf den ersten Blick generieren sie die Vorstellung einer Perspektive von einem Innen auf ein Außen und bilden einen wunderbaren, der euklidischen Geometrie widersprechenden Kontrast zu drei zwischen 1954 und 1960 errichteten Gebäuden Mies van der Rohes in der Siedlung Collonade Park in Newark. Die Ansichten der Wohntürme, die Sicht aus den Fenstern und die Einblicke in die Wohnungen (entstanden 2011) ergänzt die Künstlerin durch Interviews mit BewohnerInnen über ihr Leben in diesen klassischen modernistischen Gebäuden. Recherchen über die Moderne wurden zu einem zentralen Topos in der Kunst der Gegenwart. Interessant hier ist die Sicht auf die Qualität der Innenräume in den von außen cool und extrem anonym wirkenden Ikonen der Architekturgeschichte; und natürlich der Einblick auf die formatierte Individualität des Lebens verbunden mit den Reflexionen über die persönlichen Errungenschaften und den Standpunkt in der Gesellschaft der einzelnen BewohnerInnen im Videofilm Heidrun Holzfeinds. Doch verweilen wir noch kurz beim „Fehler als Konzept“. Die Fotoserie "Friday Market" (2008), fokussiert das Leben auf einem Wochenmarkt auf einem stillgelegten Eisenbahngelände in Kairo: Teils devastierte Gebäude, auf jeden Fall aber Verdichtung bunten Treibens, das so gar nicht geordnet wirkt im Vergleich zu Märkten in europäischen Großstädten. Zu eigentümlichen Farbveränderungen kam es hier im Zuge der Ausarbeitung der Fotografien. „Wie in einem alten Film“, meint die Künstlerin. Ja, faszinierend! Zwar überlagert die sich seit der späten Neuzeit ausbreitende kapitalistische Weltökonomie alles. Doch hier blicken wir durch den Filter eines alten Films auf eine frühere Schicht der ökonomischen Entwicklung. auf ein ganz anderes Treiben und Feilschen und eine andere Vitalität, als jene Hysterie an der Börsen des Westens, die mit Wirtschaft verwechselt wird. Daran zeigt sich, wie breit Heidrun Holfeind ihr Verständnis der Recherche entlang der Demarkationslinien zisachen privat und öffentlich auffasst. Auch "CU" (Mexico City, August 2006) und "Mexico 68" (2007), eine Diainstallation und ebenfalls eine Serie von Videointerviews über die Ciudad Universitaria in Mexico City, den prominenten Campus der Universidad Nacional Autónoma de México und die Studentenproteste 1968 dort dokumentieren dies. Durch ihre erste breit angelegte Einzelausstellung erhält Holzfeind Gelegenheit ihre sehr ausführliche Forschungsarbeit zur Moderne adäquat zu dokumentieren. Diese ist großartig und detailliert. Dennoch entsteht gelegentlich der Eindruck, dass die Künstlerin etwas zu routiniert arbeitet. Zu bekannt erscheinen manche der Ansätze. Durch die Gegenüberstellung verschiedener Flächen, Nahaufnahmen und gesellschaftlicher Strukturen wiederum gelingt ihr eine Aufwertung des Themas. Ästhetisch konzise durchgearbeitet lädt sie dazu ein unterschiedliche historische und weltökonomische Schichtungen zu vergleichen. Geradezu sensationell jedoch ist Holzfeinds Aufarbeitung der Geschichte des Gebäudes, in dem sich der Ausstellungsraum BAWAG Contemporary befindet. Hier befand sich nämlich der Schauraum der Keramikfirma des 1938 nach New York emigrierten Architekten Ernst Schwadron (1896-1979). Im Zuge ihrer Arbeit entdeckte die Künstlerin eine nie publizierte Fotoreportage des "Life"-Magazins sowie Interviews mit Bobby Lach, das die Nichte des Architekten mit Ernst Schwadron gefu?hrt hat. Es muss kaum erwähnt werden, dass diese Darstellung des Lebens eines aus dem Zentrum Wiens Vertriebenen den Begriff des Privaten noch um eine Dimension erweitert. Dass dazu nun im Katalog Bildmaterial in höchster s/w Qualität veröffentlicht wird, ist nicht bloß Kontrast, sondern einer der Verweise auf den sehr reflektierten und themenadäquaten Umgang der Künstlerin mit dem fotografischen Bild. Dem für diese Ausstellung aufgearbeiteten Material sollte man Zeit widmen und Heidrun Holzfeind weiterhin Aufmerksamkeit.
Mehr Texte von Roland Schöny

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Heidrun Holzfeind - Strictly Private
09.02 - 01.04.2012

BAWAG P.S.K. Contemporary
1010 Wien, Franz Josefs Kai 3
http://www.bawagpskcontemporary.at
Öffnungszeiten: täglich 14-20h


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