Mutatis Mutandis - kuratiert von Catherine David: Der Reiz der verschobenen Patina
Die Intentionen mancher Austellungen lassen sich wie herabfallende Äpfel fangen, andere wiederum verstehen es, kolibrigleich, sich vor der Ratio der Ausstellungsbesucher im Elfenbeinturm des Kunstdiskurses zu verstecken. Beides trifft hier nicht zu, denn diese Austellung gleicht mehr einem Rätsel, oder einem dreidimensionalen Puzzle. Der Titel gibt kaum Aufschluss über die Intentionen von Catherine David, die Arbeiten stehen nebeneinander, manchmal ergeben sich Verbindungen zwischen einzelnen Werken. Es muss erst alles gesehen werden, um die Fragmente zu einem facettenreichen Ganzen verschmelzen zu lassen. David selbst sagte, dass sie sich nicht für Dinge interessiert die zusammenpassen und doch findet sich ein Thema in dieser Austellung, selbst wenn es sich ein wenig versteckt. Oft wird Geschichte selbst wie ein Versatzstück verwendet, verzerrt und in einen anderen Ort gepresst.
Einige Arbeiten stechen heraus, wie die Arbeit von Babak Afrassiabi. Hier wird ein Teilbereich der iranischen Revolution aufgearbeitet. Damals wurde das Rex-Kino von 4 Personen angezündet, 400 Menschen starben. Drei der Brandstifter überlebten das Feuer selbst nicht, der Überlebende Bandstifter Hossein wurde 1980 verurteilt und erschossen. Während 1979 mehrere Kinos brannten, erlangte diese Brandstiftung besondere Wichtigkeit durch die nahezu 400 Personen, die im Feuer umkamen. Es wird heute angenommen, dass dies die damalige Revolution noch weiter anfachte. Bei Afrassiabi wird die Geschichte radikal anders erzählt: In seinem Film wurde der Brandstifter Hossein nicht verurteilt, obwohl er sich wünscht, für seine Taten sterben zu dürfen. Den fiktiven Aufnahmen von Hossein wurden Einstellungen des Films, der zum Zeitpunkt des Anschlags in Kino lief, gegenübergestellt.
Woanders treffen wir dann auf die Arbeiten von Elisabetta Benassi, wobei besonders ihre Arbeit „Memorie di un Cieco“ im Geiste dieser Austellung zu stehen scheint. Es ist eine modifizierte Mikrofilmlesemaschine, die uns die Bildrückseiten von Fotografien zeigt, die zu unserem kollektiven Bildgedächnis zählen. Es wirkt, als würde hier der Geist eines Medienarchäologen die Archive nach einer für die Betrachter nicht dekodierbaren Vorgehensweise durchsuchen. Die einzelnen Werke könnten wie Modelle für den Umgang mit Geschichte angesehen werden, gerade durch die Umarbeitung werden neue Zugänge zu nur scheinbar verstaubten Fakten geschaffen. Wenn die üblichen Betrachtungsmöglichkeiten wie eine Patina sind, die auf Teilen der uns bekannten Geschichtsbilder liegen, so trägt diese Austellung ebendiese Patina ab, um sie versuchsweise andernorts aufzutragen.
29.06 - 02.09.2012
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