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Mythos Atelier - Von Caspar David Friedrich bis Bruce Nauman: Im Labor der Künstlerhelden

Die Schwarzweiß-Fotografie zeigt den Blick in einen vollkommen leeren Raum. Am hinteren Ende schließt das Bild mit drei Fenstern ab, durch die gleißendes Licht einfällt. Der lichtdurchlässige Stoff davor streut die Helligkeit. Unterhalb der Bildmittelwaagrechten sieht man ein unregelmäßiges Quadrat, das auf geheimnisvolle Weise auf den Holzbohlen zu stehen scheint. Des Rätsels Lösung: es ist gemalt. Jan Dibbets nahm 1969 diese "Perspektivische Korrektur – Mein Atelier II" vor. Der bedeutende Konzeptkünstler schuf das vielleicht beispielhafteste Werk für ein Thema, das in vielfältigen Variationen von der Staatsgalerie Stuttgart ausgebreitet wird. "Mythos Atelier. Von Spitzweg bis Picasso, von Giacometti bis Nauman" heißt das in gut zwei Jahren realisierte Projekt mit rund 200 Arbeiten von über 70 Künstlern auf gut 2500 Quadratmetern in beiden Gebäudeteilen. Und mit dieser Ausstellung meldet sich die Staatsgalerie nach dem Dirigat von Sean Rainbird eindrucksvoll in der ersten Bundesliga der deutschen Museen zurück. Die Leihgeberliste ist beeindruckend. "Für derartige Themenausstellungen müssen sie anders als für monografische Projekte ganz genau begründen, warum sie genau dieses Bild ausleihen möchten", beschreibt Ina Conzen, Kuratorin und stellvertretende wissenschaftliche Direktorin des Hauses eine der Schwierigkeiten. Aber die Mühe, die sie sich zusammen mit ihrer Assistenzkuratorin Dagmar Schmengler gemacht hat, lohnte sich. Akquiriert wurden Arbeiten aus den Top Adressen des Planeten: dem New Yorker Museum of Modern Art, der Londoner Tate, dem Pariser Centre Pompidou oder der Washingtoner National Gallery, um nur wenige zu nennen. Darüber hinaus stiftete sie offensichtliche Begründungszusammenhänge: Picassos "Atelier" (1927/28, MoMA) hängt neben dem zitierenden Roy Lichtenstein von 1989 (Berlin, Hamburger Bahnhof). Jan Dibbets' Arbeit wiederum findet sich direkt gegenüber der Rekonstruktion des nur zwölf Quadratmeter kleinen Pariser Werkraums von Daniel Spoerri. Aber seine Bedeutung ist universeller. Das Quadrat ist schließlich eine höchst ikonische Elementarform aus dem Vokabular der visuellen Erkenntnistheorie konkret-konstruktiver Kunst, einer Richtung, die näher als alles zuvor am Wesen des Künstlerischen sein wollte. Dieser Essentialismus ist hier als simples Trugbild entlarvt. Auch ein Quadrat ist nur Bestandteil der Mythenmaschine des Betriebs. Und das nur, weil Dibbets uns zu erkennen gibt, dass es sich bei dem irritierenden Blick um seine eigene Produktionsstätte handelt. Dazu passt übrigens ganz wunderbar auch eine weitere Installation im Museumsraum: Piet Mondrians Ort der Schöpfung und sein Versuch, seine neoplastische Theorie dreidimensional erlebbar zu machen, kann begangen werden und zeigt für heutige Betrachter, wie befremdlich diese Ausstaffierungen sind, obschon sie der doch so gewohnten Formen- und Farbenlehre Mondrians folgen. Spätestens seit dem Mittelalter sieht man Skribenten und Kopisten an ihren Pulten in der Buchmalerei auftauchen. Das blendet die Ausstellung allerdings aus – genauso wie die Meisterwerke Jan Vermeers oder Diego Velázquez' – und konzentriert sich auf die Zeit seit dem 19. Jahrhundert, als der Beruf des Künstlers in vielerlei Hinsicht neu definiert wurde. Die Entwicklung des Typus seitdem zeigt, wie Atelierbilder das Imago des Künstlers je unterschiedlich wiedergeben. Das Atelier ist nicht nur ein Ort, an dem Bilder gemalt, Plastiken geformt, Environments assembliert, Konzepte erdacht werden. Hier trifft man sich, schaut ganz frische Kunst, und darf bisweilen auch dem Genius beim Wirken zusehen. Das ist wirklich aufregend. Als Kunstkritiker erlebt man es ja immer wieder: In diesen Räumen steht die Zeit still. Besuche dauern in der Regel viel länger als geplant. Kein Wunder, dass es bildwürdig geworden ist. Ein vollkommen eigenes Genre der Kunstgeschichte hat sich herausgebildet – das suggeriert die Schau. Und spiegelt sich auch in Dieter Roths "Bar 0". Hier kann, wenn es nicht allzu voll ist, der Besucher sich an Wodka und anderem Hochprozentigem bedienen und von einer Videokamera aufnehmen lassen. Das Material wird dann wieder in der Installation gezeigt. Auffällig, dass sich laut Ina Conzen noch keine nennenswerten kunsthistorischen Ausstellungen mit dem Thema auseinander gesetzt haben. Auffällig ist gleichfalls, wie viele Künstler sich mit ihrem Arbeitsplatz auseinander gesetzt haben. Conzen konstatiert: "In der Frühphase, im Alter und zu besonderen Situationen widmen sich Künstler vornehmlich dem Atelier." Die Ablehnung durch den Pariser Salon muss das Dauerärgernis der Impressionisten gewesen sein. Kein Wunder also, dass Frédéric Bazille 1870 seine Räumlichkeiten inszenierte. Hier hängen identifizierbare Gemälde, die es nicht in die damals wichtigste Verkaufsausstellung geschafft haben. Drei Männer diskutieren vor einer Staffelei, einer spielt Klavier, einer sitzt, und ein letzter geht links die Holzstiege in einer Haltung hoch, als laste das große Bild im Bild mit der nackten Rückenansicht hinter ihm auf seiner Schulter. Aus dem 19. Jahrhundert stammen Bilder von Camille Corot, Édouard Manet, John Singer Sargent oder den Romantikern Carl Gustav Carus oder Georg Friedrich Kersting. Sie alle waren irgendwie Outlaws, doch was ist mit den Populären von damals? Ein wenig tiefer hätte man schon in die riesenhaften Malerfürstendomizile blicken können. Diese nette Kleinigkeit, ein Aquarell von Rudolf von Alt, die einen Blick in Hans Makarts Wunderstube an der Gusshausstraße in Wien wirft (Wien Museum), ist ein bisschen wenig, spiegelt sich doch in ihren Werdegängen und Bildern die andere Seite der Künstlerpsyche, die nicht vom drückenden Alp, Not und gärenden Philosophien, von idealistischem Abarbeiten an der Konkurrenz oder Innovationsdruck berückt wird, sondern deren Werke und Ateliers ein schieres Display von Geld und Prunksucht sind. Das ist ein genereller Zug der Schau: Die Blue-Chips des Markts, die ohne großen Tiefgang unverschämt Kasse machen, haben in dieser Ausstellung keine Chance. Es wäre dennoch interessant gewesen, ob und wie Jeff Koons, Damien Hirst oder Takeshi Murakami ihre gigantomanischen Werkstätten in ihren Produkten spiegeln. Nicht zuletzt um deren Banalität – etwas das Hans Makart in keiner Weise auszeichnet – vorzuführen. Vor allem wenn die gezeigte wunderbare Arbeit "Painter" von Paul MacCarthy die Marktpervertierungen aufs Deftigste zu spiegeln scheint. Vielleicht hätte der Ausstellung außerdem eine Sektion zum Thema Gefahren wohlgetan. Dass das Künstlerdasein auch Risiken birgt, darauf spielt schon Matthew Barney in "Drawing Restraint 6" an. Der Künstler springt in diesem frühen Video aus dem Jahr 1989 wieder und wieder auf einem Trampolin und versucht dabei, unter der Decke zu zeichnen. Primär ist das ein Sisyphos-Unterfangen. Doch was, wenn der Superstar einen Unfall produziert hätte? In den Werkräumen lagern schleichende Gifte: Terpentin oder andere Lösungsmittel. Schwermetalle in Pigmenten, Bleiweiß etwa. Heikel wird es, wenn Künstler mit neuen, industriellen Werkstoffen experimentieren. Denn auch das gehört bekanntermaßen zur schöpferischen Leistung der Künstlerheroen, dass sie bisweilen ziemliche Gefahrensucher sind. Dennoch: Die Schau lohnt auf jeden Fall. Und sie zeigt teilweise ganz wunderschöne Räume. Einer ist Alberto Giacometti gewidmet. Da sieht man dann große Tafeln aus Stein, die eine Bronze flankieren. Ina Conzen bestätigt, es sei eine ironische Überhöhung gewesen, die herausgetrennten Wände seines Ateliers, auf denen sich Einritzungen wie typische Zeichnungen des Schweizers finden, in dieser sakralen Weise zu inszenieren. Selbst wenn es keine Werke im eigentlichen Sinne sind, schön sind sie dennoch. Perspektivwechsel, das Gesehene noch einmal von anderer Seite betrachtend, führt zu einer anderen Sichtweise. Im Innersten regt sich nämlich ungeachtet der Schmankerln und Kostbarkeiten eine kritische Stimme. Denn bei all den Meisterwerken, bei Spitzwegs "Armem Poeten" aus der Münchner Neuen Pinakothek, den kubistischen Stars von Georges Braque oder den Beckmanns und Kirchners, aber auch den Stuttgarter Preziosen etwa von Giorgio de Chirico oder Édouard Manet darf nicht aus dem Blickwinkel geraten, dass die Schau sich zu selten auf riskante Abwege wagt. Man hangelt sich an einem festgeschriebenen, aber mittlerweile längst infrage gestellten Kanon der Ismen und Kardinalfiguren entlang. Das geht bis ins Heutige: Warum beispielsweise dieses "Glaube, Liebe, Hoffnung" von Anselm Kiefer? Die beiden anderen Arbeiten mit Bezug zum Thema hätten gereicht. Aber vielleicht wollte Stuttgart auch nur zeigen, was es hat. Mit der Schau riskiert man nichts und entspricht geflissentlich den Erwartungen eines Mainstream-Publikums. Ausnahmen wie Dibbets bestätigen die Regel.
Mehr Texte von Matthias Kampmann

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Mythos Atelier - Von Caspar David Friedrich bis Bruce Nauman
07.10.2012 - 03.03.2013

Staatsgalerie Stuttgart
70173 Stuttgart, Konrad-Adenauer-Strasse 30-32
Tel: +49 711 470 40 0, Fax: +49 711 236 99 83
Email: info@staatsgalerie.de
http://www.staatsgalerie.de
Öffnungszeiten: Mi, Fr, Sa + So 10-18, Di + Do 10-20 h


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