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Ein lichter Pavillon und eine unsichtbare Gruft als Symbolbauten der Republik

Folgt man der Werbekampagne für das neue Ausstellungshaus des Belvedere, so ist nun endlich auch Österreich im neuen Jahrhundert angekommen. Tendenziös Kurzsichtige wie ich erkennen auf den allgegenwärtigen Werbeplakaten jedenfalls vor allem die Zahl 21, die Farben Rot Weiss Rot und denken sogleich an das 21. Jahrhundert, an die Zukunft des Landes und erwarten sie nicht anders als modern und frisch.(1) Nun handelt es sich beim aktuell beworbenen „21er Haus“ zwar nicht um die Heimstatt eines politischen Thinktanks sondern ein normales Kunstmuseum – genau genommen um die zeitgenössische Abteilung der Österreichschen Galerie (kurz: Belvedere) –, aber den Pars-pro-toto-Gestus nimmt man der Kunst ja gerne ab. Zudem ist das neue Haus am Hügel erfreulich luftig geraten. Solche „Einraummuseen“ sind zwar ausstellungstechnisch schwierig und daher seit Jahrzehnten aus der Mode gekommen, aber ihre durch große Glasflächen scheinbar nach außen fließenden Räume haben ihren Reiz.(2)Beim 21er-Haus sind zudem auch die neuen Zubauten erstaunlich großzügig ausgefallen.(3) Doch zurück zur „staatstragende“ Kampagne: Sie hätte dem ursprünglichen Architekten des adaptierten ehemaligen Weltausstellungspavillons von Brüssel 1958, Karl Schwanzer, auf jeden Fall gut gefallen. Schon für die EXPO in Brüssel hatte Schwanzer seinen Pavillonbau als abstrakt-metaphorisches Symbol für die junge Republik konzipiert. Dargestellt werden sollte die „Brückenfunktion“ des neuen österreichischen Staates zwischen West und Ost, und umgesetzt hat Schwanzer diese Vorgabe ganz buchstäblich durch eine als Brücke konstruierte schwebende Halle. Als der Pavillon später nach Wien transferiert und 1962 als Museum des 20. Jahrhunderts im Schweizergarten eröffnet wurde, wurde seine exemplarische Funktion sogar volkstümlich. In Wien sprach man über das Museum nur mehr noch als vom „20er Haus“. Mochte das Land im Übrigen so rückständig und grau sein wie es wollte: Mit diesem einen Haus allein hatte man schon seinen Passierschein für die Gegenwart gelöst. 50 Jahre später hat man diesen Hebeleffekt nun noch einmal angewendet. Diesmal mit einer Generalsanierung und einem zeitlichen Upgrade. Ob der Effekt aber gelingt, hängt nicht allein vom Haus ab. Nur allzu leicht zu übersehen, hat Karl Schwanzer (1918 – 1975) in Wien damals ja nicht nur das legendäre 20er Haus als Symbolbau für die junge Republik umgesetzt. Tatsächlich spannte sich erst mit seinem zweiten Bauwerk der „staatstragende“ Bogen so richtig. Zeitgleich zum Museum arbeitete Schwanzer nämlich auch an der „Neuen Gruft“, einem ebenfalls 1962 eröffneten unterirdischen Erweiterungsbau der Grablege der Habsburger unter der Kapuzinerkirche. Bis heute ist diese große dunkle Halle eines der schönsten modernen Bauwerke, das Wien zu bieten hat: Die Wände sind aus sedimentartigem Stampfbeton und erinnern an ein ausgeschachtetes Grab; der Plafond wiederum ist eine atemberaubend kubistisch plissierte Betondecke. Ihre exquisite Ästhetik allein macht die Halle aber noch nicht „staatstragend“, auch nicht, dass sich darin die Metallsärge von toten Habsburgern aneinanderreihen wie Autos in einer Tiefgarage – obwohl dies damals möglicherweise noch als ein reales Fundament für die Republik wahrgenommen wurde. Nein, das „staatstragende“ an dieser Halle ist vor allem die Inschrift auf einer steinernen Tafel, die an zwei abwesende Tote erinnert: an Franz Ferdinand von Österreich-Este, den 1914 in Sarajewo ermordeten Thronfolger, und seine damals ebenfalls ermordete Frau Sophie. Nun hätte man auf diese Tafel vieles schreiben können, z.B. dass sie Opfer eines Attentats wurden, das vom überlebten Kaiserreich als Anlass genommen wurde, einen Weltkrieg zu entfesseln, oder auch dass der Kaiser die beiden wegen ihrer „unstandesgemäßen Heirat“ nicht in der Kapuzinergruft beerdigt wissen wollte. Die tatsächliche Inschrift aber lautet: „Zum Gedenken an die ersten Opfer des Weltkrieges 1914-1918“. Man sieht: für das „Staatstragende“ kommt es nicht nur auf die Symbolik von schönen Gebäude an, sondern auch auf die Dinge, die in ihnen präsentiert, und auf die (Opfer-) Mythen, die in ihnen behauptet werden. Trotzdem finde ich den Spannungsbogen zwischen lichtem Museumspavillon und verborgener Gruft für Österreich als Geburtsort der Freudschen Psychoanalyse und der Charakteranalyse von Wilhelm Reich schlicht großartig, verhalten sich die beiden Bauten doch zueinander wie ÜBER-ICH und ES. Wäre es nicht vielleicht auch für heute eine passende Ausponderierung, wenn parallel zum neuen Belvedere-Museum wiederum eine schöne neue „Gruft“ etabliert werden würde? Das Betreuungszentrum „Gruft“ unter der Wiener Mariahilfer Kirche ist seit 25 Jahre Anlaufstelle und Wärmestube für Obdachlose. Eine zweite Gruft wurde nötig, da in dieser „ersten Gruft" Ausländer – so wie in allen anderen Obdachloseneinrichtungen der Stadt – laut Sozialhilfegesetz kein Recht (siehe “unstandesgemäße Heirat“) auf einen Schlafplatz haben. Die Wiener Caritas hat ihre „zweite Gruft“ derweil allerdings nur provisorisch untergebracht.
Mehr Texte von Vitus Weh

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