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Art Basel Miami Beach: Würste mit Schleudertrauma

Zehn Jahre Art Basel Miami Beach. Ein schönes Jubiläum. Hätte man gebührend feiern können. Hat man aber nicht. Bis auf ein weniger begeisterndes, eher zaaches Hochglanzmagazin, das man editiert hat, gab’s praktisch nix. Jedenfalls nichts Spektakuläres. Schade. Und das Angebot der Messe? Ja, klar, gut, hohe Qualität im Kernbereich, aber mit nur wenigen Glanzlichtern. Kann das heißen, dass auf dem Markt immer weniger Erste-Sahne-Werke verfügbar sind? Kann es, in der Tat. Ausnahmen bestätigen die Regel: Bei Gmurzynska (Zug, Zürich, St. Moritz) hatte es zum Beispiel eine kleine Sonderschau (kuratiert von Joachim Pissarro) mit John Cage und Yves Klein (Feuerbilder, 1961) von musealer Qualität und Bedeutung. Hauptattraktion auf dem Stand war aber wohl „Indiana“, eine Installation von Robert Indiana. Sein einziges Werk, das „Indiana“ im Titel hat. Sein einziges figuratives Werk. Und sein größtes Unikat. Mathias Rastorfer, Direktor und Miteigner der Galerie Gmurzynska, sagte dem artmagazine.cc: „Es war eine tolle Messe. Die Art Basel Miami Beach hat es geschafft, hat einen großen Einfluss auf den Markt, vor allem auch was Lateinamerika angeht. Und natürlich auf die großen Sammlungen. Man kann aber feststellen, dass der Markt zweigeteilt ist: Im Spitzenbereich finden wir einen Anbietermarkt, im mittleren Segment aber einen Käufermarkt.“ Auch anderweitig wurde man gut bedient, und die ABMB ist eben keine innovative cutting-edge-Messe (mehr?), sondern der Kunstmarktplatz hoch oben in den Wolken. Da, wo Spitzenwerke zu Spitzenpreisen gehandelt werden, und die Sammler kaum das bekommen, was sie wollen. Und etwas unterhalb ist es zwar auch wuselig, aber da herrscht ein Überangebot, da ist der Sammler wählerisch. In der Mitte spielen sich immer die Dramen ab, denn wer ein Werk um 90.000 Euro kauft, der ist zwar nicht arm, in aller Regel aber kein Multi-Millionär. Der nämlich nimmt Angebote dieser Preisklasse erst gar nicht wahr. Das ist Basel, das ist Miami Beach, Champions’ League halt. Das Ereignis ABMB erfreute sich viel medialer Aufmerksamkeit, und im Magazin Newsweek gab es, einmal wieder, eine Erörterung, warum Kunst so teuer ist. Als wüsste man nicht, wie ein kapitalistischer Markt funktioniert. Blake Gopnik fragt da, wieso jemand 575.000 Dollar für einen Haufen alter Hocker ausgibt (Ai Wei Wei) oder 2,5 Millionen für einen Schrank mit medizinischen Geräten (Damien Hirst, White Cube, verkauft). Dabei ist die Antwort, jenseits der kapitalistischen Marktstrukturen so einfach: So viel Geld gibt niemand für einen Haufen Hocker aus. Sondern für ein Kunstwerk. Es kommt ja auch niemand auf den Gedanken, sich darüber aufzuregen, dass jemand eine Million für etwas ölige Schmiere auf einem alten Lappen aus Rupfen ausgibt. Ja, natürlich wurde verkauft. Und wie immer lukrierten einige mehr, andere weniger. Allzu viele Sektkorken flogen allerdings nicht durch die Gegend, der Markt boomt hauptsächlich auf den Auktionen, wo Rekordpreise purzeln wie die Kegel. Diese Stimmung ist noch nicht so ganz auf den Messen angekommen. Ein sehr differenziertes Bild also. Das spiegelte sich in den Kojen auch von führenden Händlern. Bei Kicken (Berlin) etwa, wo vierzig (!) Fotos von Charles Fréger weggingen, die Mummenschanz-Männer zeigen während ihrer apotropäischen, böse Geister vertreibenden Aktivitäten. Das Stück um 1000 Euro. Gegengewicht: Absolute Top-Vintages wie Moholy-Nagys „Sicht vom Funkturm Berlin im Winter“ oder Rodchenkos „Pferderennen“. Da wird ebenfalls sofort zugegriffen. Niedlich-Nettes, wie etwa der „Curious Bear“ von Tom Otterness (6er, Bronze, 63,5 cm hoch) der vergebens ein Loch in der Wand zum Durschschauen sucht, einigermaßen preiswertes von Super-Namen, wie Roy Lichtensteins „Modern Head Relief“ (1970, Messing, 100er, um 38.000 Dollar; beides bei John Berggruen, L.A.), farbig Ansprechendes wie die etwa 180x120 cm großen Gemälde von Katharina Grosse (mehrere weitergegeben bei Rosemarie Schwarzwälder, Galerie nächst St. Stephan, Wien, um 45.000 bis 54.000 Dollar) – das hat kommerziellen Erfolg. Rosemarie Schwarzwälder zum artmagazine.cc: „Mit der Aufteilung des Standes in drei klar fokussierte Solo-Shows, Katharina Grosse, Helmut Federle und Ernst Caramelle, kann man jeweils besser einsteigen, man erreicht einen wohltuenden Kontrast gegen das immer Schnellere. Das mögen auch die Besucher offensichtlich gern.“ In der Tat kontrastierte der Stand positiv gegen die versammelten Gemischtwarenläden, die leider immer noch das Gesicht fast jeder Messe prägen. Bei denen bricht einem der Ruf nach mehr Strukturierung und Choreographie aus der Besucherbrust. Bei Hans Mayer (Düsseldorf) dominierte eine großartige Foto-Arbeit von Jürgen Klauke die Wand: „Konfrontation“, ein Triptychon aus dem Jahr 1983, mit schwarzem Schirm, Figur, Besen und Skelett im Monumentalformat (3er, um 80.000 Dollar). Klauke wird international immer stärker beachtet, und das ist nun wirklich einmal etwas Gutes. Den Raum bei Mayer beherrschte Tony Craggs Referenz an Rodins „Bürger von Calais“ (um 550.000 Dollar). Tony Cragg dürfte einer der meistausgestellten Künstler der ABMB gewesen sein, an jeder Ecke sah man seine Würste mit Schleudertrauma. Es wäre mal wieder Zeit für einen Entwicklungsschritt. Installationen erregen oft das Interesse des Kunstpublikums, so auch Yinka Shonibares „Little Rich Girls“ bei Stephen Friedman (London), oder der Riesenbaum von Ai Wei Wei, aus 18 toten Bäumen zusammengesetzt; ein Mahnmal gegen das Wachsen der Wüsten, das als Umweltproblem wohl drängender ist als das Kohlendioxid. Urs Meile konnte Ais Megapflanze für 350.000 Euro (480.000 Dollar) an den Sammler bringen. Auch sonst gibt es immer wieder Bekenntniskunst zu sehen: Bei Nils Staerk aus Kopenhagen etwa eine Flagge der „Superflex“-Gruppe, die sich für die Teilnahme Palästinas am Eurovisions-Sängerkrieg einsetzt. Das gefährlichste Kunstwerk der Messe, das daher auch abgesperrt war, zeigten Sies+Höke (Düsseldorf). Der belgische Künstler Kris Martin hat Fußfallen des 1. Weltkrieges ins Riesenhafte vergrößert (etwa 180 cm hoch) und das Gefährdungspotenzial so besonders stark betont. Der bewusst so gestaltete, am wenigsten farbenfrohe, aber gerade deshalb beeindruckende Stand der Messe war der von Judy Lybke (Galerie Eigen+Art, Leipzig und Berlin). Ganz in Schwarzweiß, sah man Neo Rauchs neue Skulptur „Jägerin“, eine Art Mischwesen, mit denen er es ja so hat, und vor allem Olaf Nicolais „Black Pearl Curtain“ (um 240.000 Dollar), eine schwarz-transparente, rotunde Installation beinahe ohne Gleichen. Gleichsam ohne Gleichen ist auch das Werk von Gavin Turk. Sein überaus ausladendes Gemälde „Fuit Hic“ (Er war hier; 2003; Öl/Lw, 257x187 cm), das eine Ziegelwand mit einem Fehlfarbenstein zeigt, beeindruckt nicht nur durch die Lateinkenntnisse. Turk ist ein Minimalist mit maximaler Wirkung. Diese entfaltete er bei Krinzinger aus Wien. Auch eine große Installation (360 cm hoch): Yukata Sones „Tropical Composition“ aus Rattan und Stahl, grün angestrichen, Palmwedel darstellend. Größe ist eben stets auch eine ästhetische Kategorie (David Zwirner, New York, der alle fünf Installationen – je etwa vier bis fünf Kubikmeter groß – von Carol Bove verkaufen konnte. Die vorgeblich frischeren Ecken, hie „Art Nova“, da „Positions“ versprühten eine fast schon unglaublich lange Weile. In diesem Bereich zweifelt man an der Messe. Ein Lichtblick dennoch: Bei Eleni Koroneou aus Athen die Schrottbilder unterschiedlichster Formate mit maritimen Szenen, die Eftihis Patsourakis so nebeneinanderhängt, dass sich eine durchgehende Horizontlinie ergibt. Das macht er zwar auch schon eine gewisse Zeit lang, aber man ergötzt sich.
Mehr Texte von Gerhard Charles Rump †

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Art Basel Miami Beach
01 - 04.12.2011

Art Basel Miami Beach
Miami, Miami Beach Convention Center
http://www.artbaselmiamibeach.com/go/id/ss/lang/eng/


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