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Anstrengender Spagat: Berliner Kulturpolitik im O-Ton

Von Zeit zur Zeit müssen die causeries du lundi den Kopf heben und nach Außen sehen, um nicht zu sehr mit Wiener Verhältnissen zu hadern. Da trifft es sich, dass heute in Berlin eine neue Stadtregierung, gebildet von SPD und CDU, vorgestellt wird. Bereits am vergangenen Donnerstag wurde Klaus Wowereit erneut als regierender Bürgermeister angelobt, der weiterhin persönlich für die Kultur zuständig bleiben will. Neben fallweiser Kritik an der «Kultur als Nebenjob» scheint die unaufgeregte Aufnahme dieser Kontinuität primär damit zu tun zu haben, dass allgemein erwartet wird, dass Wowereit den von vielen geschätzten André Schmitz auch weiterhin als Staatsekretär beschäftigen würde - eine Lösung, die hierzulande wohl auch eine Option wäre, wo die zuständige Ministerin die Kultur ja neben der umfassenden Bildungszuständigkeit zu schultern hat. Doch wieder nach Norden: Arbeitsgrundlage für die Berlin Koalition ist ein 98-seitiges Abkommen (1) mit dem fast sozialpartnerschaftlichen Titel «Berliner Perspektiven für starke Wirtschaft, gute Arbeit und sozialen Zusammenhalt», dessen erster Satz lautet: «Berlin hat großes Potenzial.» Nun spricht man ja gerne vom «Potenzial», um zu umschreiben, dass etwas noch nicht ausgeschöpft wäre, und tatsächlich liegt der Berliner Reiz noch immer in der Möglichkeit, von brachliegenden Leerstellen aus Hoffnungen in die Zukunft projizieren zu können. Bereits ein paar Zeilen weiter machen die politischen Lebensabschnittspartner klar, welche Hoffnung sie zur koalitionären Verbindung führte: «Wir wollen, dass Berlin reicher wird, und sexy bleibt» verkünden die früheren Großparteien (SPD 28,3%, CDU 23,4%) und auch in weiterer Folge liest sich das Papier wie die Bibel des politischen «sowohl als auch». Nun stellt die Kompromissorientierung großer Koalitionen zwar im besten Fall die Essenz des demokratischen Interessensausgleichs dar, verkommt jedoch unter ungünstigeren Bedingungen zu einer Klientelgießkanne, die immer nur gießt, was bereits besteht, ohne Neues zu wagen. Nicht zuletzt aus dieser Erfahrung ist zu hoffen ist, dass rhetorische Doppelabsicherungen wie «Wir stecken unsere Energie in die Zukunft ebenso wie in den Alltag; in die Weltstadt genauso wie in den Kiez» nicht dazu führen, dass die Akteure aus der anstrengenden Spagatübung nicht mehr in die Höhe kommen. Die Fähigkeiten dazu werden insbesondere in der «Berliner Kultur und Kreativlandschaft» gebraucht, die von der «modernen Hochkultur» bis zu den «bezirklichen Kultureinrichtungen» reicht, wie es in der Einleitung zum Kapitel «Kreatives Berlin: Kultur, Medien und digitale Gesellschaft» heißt. Zu welch umfassender Agenda das Aufeinandertreffen erweiterter Kulturbegriffe und großkoalitionärer Flügelspannweite führen kann, zeigt die hübsche Fundstelle, in der von Berlin als Stadt mit «vibrierendem kulturellen Tag- und vor allem Nachtleben» die Rede ist. Folgerichtig verpflichten sich die Partner des Abkommens zu einem austarierten Mix aus «reich» und «sexy» bzw. groß und klein, zu dem nicht zuletzt eine «Fortschrittliche Netzpolitik» beiträgt, die Berlin – wohl bestärkt durch den Wahlerfolg der Piratenpartei – «künftig neben der Medienpolitik zu einer eigenständigen Säule entwickeln wird». Die im Abkommen vorrangig angeführten Punkte illustrieren den Mix: Während im Bereich der «Grands Projets» der Neubau der Zentral- und Landesbibliothek am Tempelhofer Feld angekündigt wird und die Koalition das Engagement für das Humboldt-Forum bekräftigt, kommen Pop- und Clubkultur durch die Ankündigung eines «Music Board» zu kulturpolitischen Ehren. Eine Zeile weiter erfolgt die biedere Anbiederung an die Netzcommunity mit dem Versprechen eines «gebührenfreien WLAN», ein Tonfall, der in dem virtuell-heimeligen Satz von der «Netzneutralität als der Grundlage der digitalen Daseinsvorsorge» gipfelt. So leicht es fällt, das ständige Pendeln des Texts zwischen den Polen eines «High» und «Low» zu persiflieren, so stimmig fügen sich jedoch die kulturpolitischen Arbeitsfelder in das Klima einer Stadt, die mit Fug und Recht von sich behaupten kann «globale Kulturmetropole» zu sein, deren politischer Alltag jedoch von zweistelligen Arbeitslosenzahlen, leeren Kassen und einem starkem Grün-Links-Piraten-Protest Segment geprägt ist. Es wird wohl auch dieser Druck gewesen sein, dem das Abkommen einen seiner deutlicheren Absätze verdankt. Wiewohl wir uns mit dieser causerie nicht mit dem feudalen Wien beschäftigen wollten, in dem das «Fundraising-Dinner» und «die Sponsoren» immer noch als dernier cri des Kunstmanagement gelten, sei zum Thema «Soziales Engagement der Kultureinrichtungen» doch noch ungekürzt zitiert, was in Berlin ziemlich unvermutet zwischen «Gedenkarbeit» und «Zukunftsfähige Medienpolitik» steht: «Von den Kultureinrichtungen, insbesondere von den aus öffentlichen Mitteln geförderten Institutionen, muss eine gesellschaftspolitische Nachhaltigkeit gefordert werden. Erwartet wird von Einrichtungen: Leistung für den Bürger vor Ort, Traditionspflege und Mobilisierung der Zukunft. Zur Zukunft gehört die Mobilisierung der bisherigen Nicht-Besucherinnen und Nicht-Besucher für die Kultur. Es ist zu überprüfen, in wieweit die Kultureinrichtungen innovativ, effektiv und nachhaltig sind. Dies setzt kulturelle Bildung und kulturelle Vielfalt voraus. Wir werden die Berliner Kultureinrichtungen gezielt dazu anhalten, die kulturelle Vielfalt durch geeignete Maßnahmen systematisch auf den entscheidenden Ebenen (Programm, Personal, Publikum) zu fördern.»
Mehr Texte von Martin Fritz

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