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Künstlerateliers als Chambres d’amis

„Unter allen [...] Hüllen und Grenzen, die das Kunstwerk umschließen und es „machen“ (Rahmen, Einfassung, Sockel, Schloß, Kirche, Galerie, Museum, Macht, Kunstgeschichte, Ökonomie, Markt usw.) gibt es eine Sache, von der nie gesprochen und die noch seltener befragt wird, die aber unter all dem, was die Kunst umgibt und bedingt, an erster Stelle steht, nämlich: das Atelier des Künstlers. Das Atelier ist für den Künstler meistens noch notwendiger als die Galerie und das Museum. [...] Aber welches ist denn nun die Funktion des Ateliers? 1. Es ist der Ursprungsort der Arbeit 2. Es ist ein privater Ort (in der Mehrheit der Fälle), und es kann ein Elfenbeinturm sein. 3. Es ist ein fester Ort der Herstellung von zwangsweise transportablen Dingen. [...]“ Als der Künstler Daniel Buren 1970 diese, im Zuge der Institutional Critique berühmt gewordenen Sätze niederschrieb, konnte er nicht ahnen, wie grundlegend sich die Situation vierzig Jahre später geändert haben würde. Die Literatur zum Thema Atelier ist mittlerweile stark angewachsen.(1) Atelierbesuche werden heute nicht mehr wie in den 1950er Jahren als Geniebegegnungen, sondern als Einblicke in jeweils spezielle Lebens- und Arbeitsbedingungen beschrieben. Manche Ateliers wie jenes von Olafur Eliasson in Berlin oder von Franz West in Wien gleichen heute eher einem modernen Think Tank, einer arbeitsteiligen Manufaktur oder einer sozialen Begegnungsstätte (siehe Andy Warhols Factory ab 1962) als einem Elfenbeinturm,(2) und in zahlreichen Fotobänden wird die „Atmosphäre“ dieser Orte immer wieder versucht zu dokumentieren.(3) Einige Ateliers wie jenes von Constantin Brancusi in Paris oder jenes von Francis Bacon (heute in Dublin) wurden sogar museal rekonstruiert. Kein Wunder also, dass das Interesse am Atelierbesuch auch beim breiten Publikum stark gestiegen ist. Solch ein Besuch verspricht zumindest einiges mehr an Lebensnähe als ein Museums- oder Galerienbesuch mit seinen bereinigten Räumen. Auch wenn das Atelier nur der „Ursprungsort“, nicht aber der „natürliche Ort“ eines Kunstwerks ist (darauf wies auch Daniel Buren hin: Kunstwerke werden transportabel geschaffen, also explizit dafür, das Atelier schnell zu verlassen), so ist es doch die eigentliche und bleibende Werkstatt des künstlerischen Denkens. Nur: wie kommt man in ein Künstleratelier? Viele Künstler öffnen ihre Ateliers zwar gerne der Öffentlichkeit, da es für sie mitunter die einzige praktische Möglichkeit ist, überhaupt eine Öffentlichkeit zu erreichen, manche produzieren sogar wie im Zoo vor Publikum wie im Berliner Tacheles, aber im ernsthaften Normalfall ist ein Studiobesuch nach wie vor eine Ausnahmesituation: Es gibt keine regulären Öffnungszeiten und ein Besuch ist in der Regel potentiellen Käufern oder professionellen Vermittlern wie Kuratoren oder Autoren vorbehalten. Umso erfreulicher ist es daher, dass die Vienna Art Week heuer eine ganze Reihe solcher Besuche öffentlich anbietet: Das Programmangebot reicht von Führungen durch die Künstlerstudios des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) bis hin zu so genannten „Studio Visits“.(4) Ein/e Kurator/in führt dabei jeweils zu drei von ihr/ihm ausgesuchten KünstlerInnen. Solch ein Studio Visit ist eine Art „chambre d’amis“ für einen Nachmittag: Man besucht Freunde mit Freunden.(5) Die Gruppe ist maximal 15-20 Personen groß. Der Vorteil gegenüber Veranstaltungen wie „Tage der offenen Ateliers“ (auch dieses Format hat sich mittlerweile in vielen Städten etabliert) liegt schlicht in der höheren Konzentration und Intensität. Der Nachteil: Alle Touren sind bereits ausgebucht.
Mehr Texte von Vitus Weh

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