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Triumph der Tierschützer

First things first – auch wenn die Viennale kein Filmfestival mit großem Wettbewerb ist, heißt es bei der Abschluss-Gala doch mehrmals … and the winner is: Diesmal wurde Gerald Igor Hauzenberger gleich mit zwei Preisen für seinen Film Der Prozess aka: §278a - Die Maßnahme ausgezeichnet. Von Antiterror-Einheiten überfallene Tierschützer, eine monatelange Untersuchungshaft (ohne Beweise), Rasterfahndung, Handyortungen, eine (wie sich herausstellt) in die Gruppe eingeschleuste Ermittlerin… und ein über ein Jahr lang dauernder Strafprozess sind Thema. Die packende und spektakuläre, aber nie spekulative Art der Vorgänge und Positionen (Tierschützer, Verteidiger, Ermittler und Rechtsexperten) überzeugte die Jury. De facto war die filmische Begleitung der Tierschützer bei ihren Protest-Aktionen, vor allem aber in der Zeit der Gerichtsverhandlungen, nicht nur eine höchst Nerven zermürbende Anspannung und persönliche Belastung (bis hin zur anfänglichen Frage, ob dem Filmteam zu vertrauen ist) für alle Beteiligten vor und hinter der Kamera, sie war und ist auch ein finanzielles Debakel. Endete es für die Tierschützer wohl vorerst mit Freispruch, so bedeutet es für manche den finanziellen Ruin. Die unerwartet vielen Verhandlungstage waren auch Drehtage und schlagen insofern beim Filmemacher aufs Budget. So mag nun der mit 11.500 Euro dotierte Wiener Filmpreis doppelt erfreulich sein. Zusätzlich sichert der MehrWERT-Filmpreis Hauzenberger ein Aufenthaltsstipendium in New York. Welche Themen er, der zuletzt immer die Kamera auf menschliche Extremsituationen richtet (Einst süße Heimat, 2007; East Timor – In the Eye of the Beholder, 2002; East Timor – The forgotten Resistance, 2003), dort aufspürt, darauf kann man gespannt sein. Mit „Home Run“ hat es heuer erstmals eine eigene, tägliche Filmschiene – same time, same station im Künstlerhauskino - für österreichische Filme in der sonst gewohnt international gemischten Viennale gegeben. Macht ja auch Sinn: Zum einen konnte man zehn Weltpremieren starten zum anderen gab es einen weiteren Preis, eben den MehrWERT-Filmpreis, für einen heimischen Film der Viennale zu verteilen. Als Home Run wurden als Weltpremieren gezeigt: Tlatelolco von Lotte Schreiber, Filme von Sascha Pirker, Low Definition Control (Malfunctions #0) von Michaels Palm, Kurzfilme, der Prozess (s.o.), der letzte Jude von Drohobytsch (Paul Rosdy), Way of Passion (Joerg Burger), Boxeo Constitución (Jakob Weingartner), Stoff der Heimat (Othmar Schmiderer) und Das Weiterleben der Ruth Klüger (Renata Schmidtkunz). Weiters Ruth Beckermanns American Passages, Ibiza Occident von Günter Schwaiger und Stillleben von Sebastian Meise – mit Ausnahme des letzten sind allesamt Dokumentationen, die den Blick beharrlich auf spezifische Örtlichkeiten, Geschichte/n und Rituale richten - sei es auf Ibiza, in Sizilien, in der Ukraine, den USA, in Mexiko City oder Argentinien - und beiläufig oder sehr direkt Details ausfindig machen, die sonst der Wahrnehmung leicht entgehen. Einige wenige nehmen höchst heimische Befindlichkeiten (s.u.) unter die Lupe, wobei sich Stillleben thematisch nahtlos als Bericht aus den Abgründen der österreichischen Seele (Pädophilie), Zitat: Viennale Pocketguide) einfügt. Tracht – Pflicht. Nein, es wurde doch statt des kantig gefeilten Arbeitstitels von Bodo Hell der Titel „Stoff der Heimat“ für Othmar Schmiderers filmischen Überblick zu Kleidungssitten gewählt. Der Film wird freundlich „eingeläutet“, dann geschniegelt und gestriegelt einmarschiert, aufmarschiert, salutiert und getanzt, in Tracht, in Tirol, in Kärnten, in Südtirol und in der Schweiz… Man pocht auf Tradition, Zugehörigkeitsgefühl, Volkskultur. „Wir tragen Niederösterreich“, sagt der Landeshauptmann. Das Gewand, das (täglich) Getragene, die Tracht – als persönlicher/regionaler Ausdruck, als Uniform, als genormte Vorschrift oder sogar Verbot, getragen zu werden, ständig im Wandel, von Moden zitiert, verballhornt, listig-lustvoll weiterentwickelt, Feiertags- und Alltagstracht. Da mögen Trachtenkundige, ErzeugerInnen, Wissenschafterinnen und PolitikerInnen ihre Statements abgeben, was Tracht ist bzw. optimal sein kann, wie es sich nach dem Film zeigt, reagiert jeder auf diese Bilder und auf diesen Film nach seiner persönlichen Erfahrung mit Tracht, nämlich ob die Darstellung der Schützenkompanie oder die Dirndl-Moschee, ob die schwulen Schuhplattler, das Archivmaterial oder der handgewebte Jackenstoff in (positiver oder negativer) Erinnerung bleibt. Wiewohl durch manche Einstellungen im Film Distanz durch extreme Nähe geschaffen wird und die Ambivalenz zwischen Faszination (oder Schaulust), misstrauischem Unbehagen, Kuriosität und neutralem, professionellem Interesse spürbar wird. Portrait hat viele Gesichter Wer den heurigen Ehrengast Harry Belafonte, dem auch eine Tribute-Reihe gewidmet war, nicht live erleben konnte, dem erzählte der Star in Sing Your Song seine Geschichte. Mama Afrika lässt die wichtigsten Stationen von Miriam Makeba Revue passieren. Dem aussergewöhnliche Verschmelzungsversuch von Genesis P-Orridge und Lady Jaye zu einem Pandrogyn wird im Film nachgespürt als parallel-Entwicklung zu ihrem musikalischen Werdegang. Das Leben des letzten deutschen Playboys – Rolf Eden – (nomen est omen?!) rauscht in The Big Eden in 90 Minuten vorbei. – Die Kehrseite des prominenten Lebens hat andere Gesichter: Als Proposition angeboten und mit dem Fipresci-Preis schließlich bedacht wurde Yatasto …für sein realistisches und eindringliches Porträt einer Gruppe Müll sammelnder Kinder in der argentinischen Provinz Córdoba (Jurybegründung). Ebenso in Apenas me filme, für den die Straßenkinder einer brasilianischen Kleinstadt vor 20 Jahren von Regisseurin Claudia Nunes eine Kamera bekamen, um ihre Welt zu filmen… Der deutsche Filmemacher Thomas Heise tauchte mit seiner Kamera in das Leben einer indigenen bäuerlichen Gemeinschaft eines abgelegenen Hochplateaus in Argentinien ein und schuf ein Proposition würdiges Portrait. Wie ein Abgesang einer Kultur, einer Lebensweise nehmen sich auch die Bilder und Statements in The Last Buffalo Hunt, in Bachelor Mountain, wo im Nordosten Chinas die einzige im Dorf verbliebene junge Frau umworben wird – oder Ben Rivers’ Film Two Years at Sea, das fade away Portrait eines schottischen Fischers… Aufarbeitung von Geschichte und ziviler Ungehorsam Das filmische Festhalten von aktuellem Geschehen, das schließlich als Zeitdokument später aussagekräftig oder interpretationsbedürftig noch einmal weiterverwendet wird, persönliche Rückblicke auf Fotos, Landschaften, Gebäude, Erinnerungen, Erzählungen, Interviews – all das sind die Ingredienzien individuellen Gedächtnisses, das durch Film zu einem kollektiven Nachvollziehen anregt. Das Aufarbeiten von Erlebnissen in repressiven Regimen, freiwilliges oder erzwungenes Auswandern und der Blick zurück auf die Herkunftskultur und -Gesellschaft bzw. auch deren Veränderung, offene Fragen, die geklärt werden wollen. Einzelschicksale wie im Fall Patrice Lumumbas in Spectres, von Ruth Klüger, die als Holocaust-Überlebende ihr Leben in den USA und ihre Jugend in Wien reflektiert, des niederländischen Regisseurs Leonard Retel Helmrich, der seine Wurzeln in Indonesien hat und in Stand van de Sterren nachgeht . Die Suche in Barzakh – dem Zwischenreich von Leben und Tod (wo man Verschleppte, Verschwundene Angehörige in Tschetschenien vermutet) oder betroffene Gruppen etwa die Black Power Bewegung in den USA der 1970er Jahre, ebenso wie die Bauernaufstände dieser Zeit in Frankreich, in Larzac; dagegen höchst rezent die Videosequenzen der Demonstrationen am Platz der Befreiung in Kairo: Tahrir – um nur einige zu nennen, der Prozess eingangs gehört selbstredend dazu. Grenzgänge im Dokumentarischen In Film Nist (This is Not a Film), also kein Film, aber zwei Regisseure: offiziell Mojtaba Mirtahmasb und „undercover“ Jafar Panahi, der im Iran zu 6 Jahren Haft verurteilt ist. Uraufführung war dieses Jahr in Cannes. Gezeigt wird ein Tag im Lebens Panahis, während er über Monate auf seine Verurteilung warten musste. Doch durch die Inszenierung dieser Filmminuten schiebt sich eine fiktiv erscheindende, ans Absurde gehende Ebene ein. In Low Definition Control spinnt Michael Palm die beiden konträren Ebenen Bild und Ton zu einem Filmfaden zusammen. Entlang von schwarz/weiß Bewegungsabläufen, die den statischen Blick eines Beobachters auf ein Geschehen „draußen“ (Überwachungskameras von Plätzen, Straßen...) oder „ganz drinnen“ (im Mutterleib) oder Kamerafahrten durch Nowhereland wird der Blick gefangengenommen auf der Suche nach den Details, etwas Auffälliges, Ungewöhnliches am sich unbeobachtet wähnenden Alltagsgeschehen. Dazwischen realisiert man die Worte, Kommentare, Analysen von insgesamt 30 Experten, etwa das Statement von Wolfgang Ernst, Professor für Medientheorie an der Humboldt-Universiät Berlin: „Bilder – analoge wie digitale - liefern Unbeabsichtigtes mit, im Unterschied zu Worten.“ - Schließlich identifizieren farbige Umrandungen einzelne Personen auf den Monitoren, registrieren ihre Bewegungsabläufe, „verfolgen“ sie... Sicherheit ist das Thema, die Aussagekraft und Interpretierbarkeit von Bildern, die Sicherung und Sicherheit von Bildern, deren Archivierung, Wiederholbarkeit – Verpikselung, Reduktion auf Null-Eins – und wieder zurück in „Bild“. Palms grundsätzliche und höchstpersönliche Fragestellungen über das Sein der Bilder. Retrospektiv vom Feinsten - Roberto Rosselini untrenahm mit India, Matri Bhumi aus dem Jahr 1959 eine „experimentelle Recherche“ und man muss den Meister selbst zitieren: „Es ist eine meiner schönsten Arbeiten und ich liebe diesen Film über alles.“ In vier Episoden wird das Leben einfacher Menschen wie einem Elefantentreiber und einem Dammarbeiter mitgezeichnet, der Wandel durch den Einzug von Maschinen und Großtechnologien und die daraus entstehenden persönlichen Vorteile und Verluste registriert, berührend erzählt wie von einem zur Ruhe gekommenen Weisen.
Mehr Texte von Aurelia Jurtschitsch

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